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Urban Gardening Es grünt so grün – mitten in Nürnberg

Einen Acker bestellen mitten in der Stadt? Das nennt sich Urban Gardening. Dahinter steckt bürgerschaftliches Engagement, um Städte grüner und lebenswerter zu machen. Tobias Föhrenbach ist in Nürnberg unter die Stadtgärtner gegangen.

Von: Tobias Föhrenbach

Stand: 09.04.2021 | Archiv

Der Bedarf an Wohnraum in Bayerns Städten ist enorm. Der Druck auf die Politik nimmt immer mehr zu. Umso größer ist aber auch die Gefahr, dass wichtige Grünflächen in den Städten verschwinden oder verkleinert werden. Ein Trend, der sich da dagegen stellt, ist das Urban Gardening. Dabei erobern sich Großstädter brachliegende Flächen, um meist gemeinschaftlich Gemüse, Obst, frische Kräuter oder bunte Blumen zu pflanzen und anzubauen. Gärtnern mitten in der Stadt eben.

Zu Besuch beim Nürnberger Saatgutfestival

Hunderte kleine, weiße Tütchen wechseln beim Nürnberger Saatgutfestival die Besitzer. Ungeheuerlich das Angebot hier und das ganz öffentlich an einem Samstag-Mittag im Kunstkulturquartier Nürnberg. Das Nürnberger Saatgutfestival findet jährlich Ende Februar statt. Hier wimmelt es vor Gartensachverstand. Stiftungen stellen sich vor, Projekte zur Nachhaltigkeit präsentieren sich an kleinen bunten Ständen, größere Saatguthändler werben mit professionellen Kampagnen, aber auch viele Privatpersonen haben einen Stand, an dem sie ihr selbst hergestelltes Saatgut verkaufen - alles biologisch versteht sich.

Blauer Mais, Mexikanische Minigurken, Erdkastanien

Jeder ist hier bereit, seine Gärtnertipps weiterzugeben und so wird aus dem Saatgutkauf schnell ein ausführlicher Expertenplausch. Was auffällt: Die meisten Spezialisten und Hobbygärtner hier kommen aus den Städten. Mittendrin ist Frank Braun, einer der Initiatoren des vierten Nürnberger Saatgutfestivals. Braucht es das überhaupt? Diese riesige Palette der Sortenvielfalt: Blauer Mais, Mexikanische Minigurke, Erdkastanie. Ist das nicht viel zu kompliziert? Reichen nicht auch einfach Tomaten, Kartoffeln und Rüben?

"Letztlich fängt mit dem Saatgut alles an, wenn wir Vielfalt wollen, wenn wir wollen, dass unsere Städte Orte des Lebens sind und Orte, die letztlich auch Zukunft schaffen, dann brauchen wir auch in den Städten Nahversorgung mit guten, qualitativ hochwertigen und vielfältigen Lebensmitteln und nicht Monokulturen und Flächen, die für Energiepflanzen verwendet werden."

Frank Braun

Frank Braun ist Mitbegründer des Nürnberger Vereins "bluepingue", der sich mit Fragen der Ökonomie, Ökologie und des Sozialen beschäftigt. Der gelernte Industrie Kaufman betont immer wieder, dass es ihm darum geht, jedem interessierten Bürger seine Möglichkeiten aufzuzeigen, zu einer gesunden Umwelt und sozialen Gesellschaft beizutragen. Ein wichtiger Punkt ist dabei das Gärtnern in der Stadt – Urban Gardening.

"Letztlich wollen wir hier auf dem Festival nicht nur zeigen, wie vielfältig Tomaten, Kartoffeln etc. sind, sondern auch ohne Garten kann ich die Stadt grün machen. Denken sie an die vielen Baumscheiben, die oft Hundeklos sind. Stattdessen könnte man da, wir haben das Guerilla-mäßig mal gemacht, dass wir den Nachbarn damit erfreut haben und dort Saatgut ausgeworfen haben und gezeigt haben, wie schön so eine Baumscheibe sein kann, wenn da auf einmal Lavendel blüht. Und selbst wenn man keine Baumscheibe hat, an der Hauswand kann man Vertikalbeete machen, man kann auf dem Balkon wunderbar eigenes Gemüse machen. Garagendächer sind zum Beispiel wunderbare Orte, um die zu begrünen. Die Stadt bietet da wirklich viele Möglichkeiten an, an die man kaum denkt. Um den Raum wieder als CO2-Speicher, als Ort der Vielfalt, als Heimat für Insekten, Bienen, die Grundlage unseres Lebens sind, ganz anders aufzustellen. Man sieht heute schon, dass die Stadt sich viel besser entwickelt, als die ländlichen Flächen, die immer wieder in Monokulturen verkommen."

Frank Braun

Stichwort: Urban Gardening

Die grüne Revolution beginnt in New York. In den 1970er Jahren entstehen dort erste "Community Gardens", die das Gärtnern mit ernährungspolitischen, ökonomischen, sozialen und künstlerischen Fragen verbinden. Ein Trend der nach und nach Nordamerika, Südamerika, Afrika und Europa erobert. In vielen wirtschaftlich angeschlagenen Ländern stehen seither die umfangreichen urbanen Landwirtschaftsprojekte im Fokus, die immer mehr auch zur Ernährung der Bevölkerung beitragen. In den 1990er Jahren erreicht die Idee Deutschland. Erste Interkulturelle Gärten entstehen in Göttingen. Weitere Städte erkennen das Potenzial und stellen brach- und leerstehende Industrieflächen zur Verfügung. Der Trend wird zu einer Bewegung, die immer kreativere Formen annimmt: City Farms, Nachbarschaftsgärten, Selbsterntefelder, Interkulturelle Gartenprojekte, Guerilla Gardening und Solidarische Landwirtschaft.

Viele Gartenformen in Nürnberg

Wenn man sich in Nürnberg für das Gärtnern in der Stadt interessiert, hat man unterschiedliche Möglichkeiten. Auf dem Gelände des ehemaligen Quelle-Versandhauses gibt es gemeinschaftlich genutzte Hochbeete – im sogenannten Nürnberger Stadtgarten. Ein gänzlich anderes Projekt findet sich im Nordwesten der Stadt, in Nürnberg-Wetzendorf, an der Grenze zum Knoblauchsland. Hier hat Andreas Lanzendörfer, genannt "Der Eisbär", einen Acker gepachtet, etwas weniger als einen Hektar. Die Fläche ist in drei etwa gleichgroße Felder geteilt. Das Gemeinschaftsprojekt trägt den Namen "Dein-Gemüse" und bietet für Jedermann die Möglichkeit, die gesamte Wertschöpfungskette des Gemüseanbaus mitzuerleben. Vom Aussäen im Frühjahr, über die Pflege im Sommer bis hin zur Ernte im Spätsommer und Herbst.

"Wir werden heute Kartoffeln setzen beziehungsweise legen. Dann werden wir Zwiebeln setzen und ein paar Sachen aussäen, die wir letzte Woche nicht geschafft haben. Um Gemüse ernten zu können, muss man natürlich auch Gemüse säen und vorher habe ich mit dem Traktor den Acker vorbereitet. und jetzt geht’s eigentlich auch los. Es ist soweit, die Leute werden jetzt mit eingebunden vom Verein. Das soll für sie ein Happening sein, die sollen ihre Pflanzen mitsetzen, die sollen das live miterleben, was für eine Arbeit das alles ist. Damit kommt auch eine gewisse Wertschöpfung, weil nichts ist so gut, wie das, was du selber machst. Dein Salat ist der beste Salat, den du haben kannst. Weil du wirst ihn pflegen und hegen, weil du weißt ganz genau, du isst den selber."

Andreas Lanzendörfer, Urban Gardener

"Dein-Gemüse" im Nürnberger Norden

Andreas Lanzendörfer ist Forstwirt, Baumpfleger, Imker und Jäger von Beruf und Gründer von "Dein-Gemüse". Das Projekt geht ins sechste Jahr. Jeder, der mitmacht, kann hier eine oder zwei oder auch nur eine halbe Parzelle mieten und sein eigenes Gemüse anbauen. Eine Parzelle ist 40 Quadratmeter groß, das gibt schon jede Menge Ertrag und reicht, um eine vierköpfige Familie mit Gemüse zu versorgen.

"Wie viel Arbeit muss ich mir tatsächlich machen, um Kartoffeln zu ernten? Oder Rüben, oder Tomaten. Da steckt überall Arbeit drin und nicht nur wenig. Du musst gießen, du musst sie pflegen. Das ist gut, wenn die Leute das einfach auch lernen, was da dahintersteckt, weil letztendlich schmeißen wir dann nicht mehr so viel weg. Und das geht mir auch so, ich schmeiß auch Lebensmittel weg, die ich eigentlich hätte essen können. Oder die sind verdorben, weil ich zu viel eingekauft habe. Und ich denke, das passiert nicht mehr so viel, wenn du sagst, ey, das war so viel Arbeit den zu machen."

Andreas Lanzendörfer, Urban Gardener

Bis dahin ist aber noch ein Stück Weg zu gehen. Auf einem Feld wird gerade eine weiße Schnur gespannt. Dann schnappen sich gleich mehrere Personen mit Zwiebeln gefüllte Körbchen und kriechen an den Schnüren entlang. Handarbeit wie vor einhundert Jahren. Learning by doing, überall wo man hinschaut. Auf dem Nebenfeld wird derweil großes Gerät aufgefahren. Für das Kartoffelsetzen kommt der Traktor zum Einsatz, der hinter sich eine pflugähnliche Gerätschaft herzieht. Schon bald sind auch in der letzten Parzelle Kartoffeln gesetzt. Für heute ist die Arbeit getan. Die Saat ist im Boden, jetzt heißt es für alle warten und hoffen, dass das Wetter mitspielt.

Ein paar Monate später: auf allen Feldern wächst und blüht es

Ende Juli, zweieinhalb Monate, nachdem die Felder bestellt worden sind. Der Acker in Wetzendorf ist nicht wiederzuerkennen. Auf allen drei Feldern wächst und blüht es. Prächtige Radieschen schauen aus der Erde raus, daneben sprießt scharfer Rettich, riesige Zucchini liegen auf der Erde, Bohnen und Tomaten müssen gestützt werden, weil sie sich vor lauter Frucht-Schwere biegen. Teilweise sind die Gemüsepflanzen an die zwei Meter aus dem Boden geschossen. Andreas Lanzendörfer strahlt.

"Der Ertrag der Felder hängt immer von der Arbeit ab, die man reinsteckt. Also das ist hier etwas vernachlässigt hier, die Parzelle. Das ist aber auch okay. Es soll so sein. Es muss immer auch mal ein paar Zellen geben, wo sich Leute ausprobieren können und dürfen. Aber schau mal, ein wunderprächtiger Mangold, der hier blüht, oder eher wächst. Schön, mit diesen roten Stängeln. Manchmal ist der Ertrag so hoch, dass die Leute im Winter davon noch essen können."

Andreas Lanzendörfer, Urban Gardener

Stichtwort: Bio-Metropole Nürnberg

Die Bio-Metropole Nürnberg wirbt auf Ihrer Internetseite mit unterschiedlichsten Angeboten für Hobbygärtner und die, die es werden wollen. Rund 40 Prozent des Stadtgebiets Nürnberg sind landwirtschaftlich genutzte Flächen, Wälder oder Parks und Grünanlagen. Das urbane gemeinschaftliche Gärtnern auf ungenutzten Brachflächen wird nicht nur geduldet, sondern explizit gewünscht. Fortbildungen und außergewöhnliche Veranstaltungen inklusive. Da gibt es den Baumschnitt-Workshop, Japanische Inspiration in der Gartengestaltung, Ernten auf dem Balkon, Baumpate werden, Flaschengärten bauen, Bienenvölker vermehren, Sensenmähkurs auf der Streuobstwiese, Pflanzentauschbörsen, Kräuterfeste, Wildpflanzen-Kochkurse und so weiter.

Horten im Herbst

Mitte September. Die Farben auf den Feldern des Selbsternteackers in Nürnberg-Wetzendorf sind bereits etwas vergilbt, einige Parzellen schon gänzlich abgeerntet. Ging es hier im Hochsommer zu wie in einem wuselnden Ameisenhaufen, so trifft man jetzt nur noch auf vereinzelte Vereinsmitglieder, die noch unermüdlich abernten, pflegen, oder sogar hoffnungsfroh weitere Gemüsepflanzen hochziehen.

"Wir sind jetzt quasi im Herbstmodus. Die Natur zieht sich zurück. Die Leute ernten die Felder ab. Es stehen zwar noch Sachen, die Tomaten zum Beispiel sind richtig knackig, süß und rot und schieben immer noch nach. Die Natur selber zieht sich aber immer mehr zurück und das merkt man auch, dass eben nicht mehr so viel nachkommt. Die Früchte reifen aus, Kartoffeln, Kraut, Zwiebeln. Alles ist jetzt reif, Herbst ist Überfluss."

Andreas Lanzendörfer, Urban Gardener

Und, hat sich der ganze Aufwand dieses Jahr gelohnt?

"Das bringt’s jedes Jahr. Die Leute haben Zugang zu einem unbelasteten Gemüse. Die Leute freuen sich, es entspannt die Leute. Jede Minute hat sich hier rentiert. Wir haben jetzt 60 Parzellen, d.h. wir haben bestimmt 90 Leute glücklich gemacht. Weil es ist ja nicht jede Parzelle nur von einem bewirtschaftet, sondern auch oft von Pärchen, oder Familien. Und wenn die Kinder diese Kreislaufkette sehen, wo sie sagen, hey, das war doch mal eine kleine Pflanze, die ich gepflanzt habe, oder ein Salat, ein Kohl oder irgendetwas anderes, das ist dann lehrreich. Und die Wertschöpfung steigt dann mit jedem Jahr. Das ist gut."

Andreas Lanzendörfer, Urban Gardener

Selbsternte-Acker steht vor dem Aus

Trotz Vorfreude weht nun eine gute Brise Wehmut über den Gemüseacker. Das liegt zum einen daran, dass die meisten Paarzellen bereits abgeerntet sind und erstes vertrocknetes Laub über den Boden weht, zum anderen aber auch daran, dass dieser Selbsternte-Acker der Initiative "Dein-Gemüse" vor dem Aus steht. Denn die Nutzung ist nur noch bis nächstes Jahr gesichert, dann möchte die Stadt Nürnberg auf der gesamten Fläche hier Wohnraum schaffen.

"Dann werden wir sehen. Wir hopsen von einem Jahr zum anderen gerade. Ich bin froh, dass wir das nächstes Jahr noch haben. Ich habe erst mit der Stadt Nürnberg telefoniert und habe gefragt, wie schaut‘s aus. Ich bin da immer auch auf der Suche nach neuen Grundstücken und wer da etwas hört, oder weiß, der kann sich ja melden. Großes Feld, Acker, Grundstück, aber Hauptsache, wir können hier dieses Projekt weiterführen. Das wird gut angenommen und ist ein Selbstläufer geworden."

Andreas Lanzendörfer, Urban Gardener

Wohnungen statt Gemüseacker

Leicht fällt das den Verantwortlichen nicht, diesen tollen Standort im Nürnberger Norden aufzugeben. Vielleicht wird das Bauvorhaben ja noch etwas nach hinten geschoben, oder man findet zeitnah einen adäquaten Ersatzacker. Aufgeben steht jedenfalls nicht zur Debatte. Wenn nicht hier, dann eben anderswo. Der Verein um "Eisbär" Andreas Lanzendörfer wird sich weiterhin darum bemühen, Nürnberg ein bisschen grüner, nachhaltiger und lebenswerter zu machen. Weitere Informationen gibt es hier:


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