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Und Action! Spektakel in der Natur

Seilrutschen, Canyoning-Touren, Baumwipfelpfade: Die "Natur" hat jede Menge zu bieten. Doch braucht es die ganze Action überhaupt? Ist Natur pur langweilig geworden? Über das Spektakel in der fränkischen Natur.

Von: Tobias Föhrenbach

Stand: 04.07.2020 | Archiv

Das Fränkische Seenland an einem sonnigen Samstag. Die Parkplätze und Strände sind ausgesprochen gut gefüllt, von einer Corona-Lethargie nichts zu sehen. Es wird geradelt, gebadet, gewalkt und auch im in Strandnähe gelegenen Abenteuerwald Enderndorf geklettert. Die Extra-Portion Adrenalin findet man hier, dank Inhaber Michael Emig.

"Wir haben 2006 mit einem kleineren Kletterpark angefangen und haben uns kontinuierlich immer erweitert mit vielen Parcours. Hier am Brombachsee gibt es sehr viele Touristen, die auch gerne jedes Freizeitangebot nutzen. Man ist in der Natur, man bewegt sich. Alle Gäste, die bei uns sind, geben zu 99 Prozent ein positives Feedback."

Michael Emig, Inhaber Abenteuerwald Enderndorf

Outdoorspaß – ein Touristenmagnet

Kind in einem Klettergarten

Der Outdoorspaß hier ist ein wichtiger "Frequenzbringer" für die Region, ein Touristenmagnet, und anscheinend einer mit Relevanz, denn der Abenteuerwald war der erste seiner Art in Franken, der nach dem Corona-Shutdown wieder öffnen durfte. Das Highlight des Parks ist nicht sofort ersichtlich. Lediglich rote Schwimmbojen auf der anderen Uferseite des angrenzenden Sees verraten, wohin die Reise geht. Sie markieren die Einflugschneise. Ja, richtig gehört. Immer wieder rasen vereinzelte Personen in luftiger Höhe an einer Seilbahn über das Wasser. Da muss man schon genauer hinsehen. Die Zip-Line ist 560 Meter lang, misst 36 Höhenmeter und mit Rückenwind kommt man auf Geschwindigkeiten von bis zu 70 Stundenkilometern. Immer weiter hoch hinaus? Noch mehr Action? Das Angebot müsste doch bestimmt ausreichen. Oder nicht?

"Durch den Klimawandel haben wir hier an dem Standort – Südhang – auch Probleme mit dem Wald, weil es einfach viel zu trocken ist. Uns sterben die Bäume weg, wir müssen viel Geld ausgeben, um die Parcours regelmäßig umzubauen. Und deshalb brauchen wir ein Konzept weg vom Wald. Geplant ist ein Multifunktionsturm von 40 Metern Höhe, von dort soll eine 1.500 Meter lange Zipline starten. Es soll ein Aufzug hoch und runterfahren, barrierefrei. Es soll ein Erlebnispfad sein, mit Kletterwand und Gastronomie dabei. Parkplätze müssen noch gebaut werden. Das ist also ein großes Projekt."

Michael Emig, Inhaber Abenteuerwald Enderndorf

Tourismus sichert 177.000 Arbeitsplätze in Franken

Der Spessart, die Rhön, das Fichtelgebirge, das liebliche Taubertal – Franken ist insgesamt in 16 Reiselandschaften gegliedert. Dazu kommen noch zehn Naturparks, sagt Jörg Hentschel. Er ist zuständig für die Presse und Öffentlichkeitsarbeit im Tourismusverband Franken.

"Im letzten Jahr hatten wir über 25 Millionen Übernachtungen, davon rund 20 Prozent aus dem Ausland und 80 Prozent aus Deutschland. Insgesamt wurde im letzten Jahr ein touristischer Umsatz von 10,5 Milliarden Euro erwirtschaftet. Das sichert insgesamt über 177.000 Arbeitsplätze bei uns in Franken. Also da sieht man schon die große wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus bei uns hier in der Region."

Jörg Hentschel, Presse und Öffentlichkeitsarbeit des Tourismusverband Franken

Ein Fachwerkhaus vor Jurafelsen in Tüchersfeld in der Fränkischen Schweiz

Hentschels Ziel ist es, die gesamte Bandbreites Frankens aufzuzeigen – und verschiedene Gästegruppen anzusprechen. In den letzten Monaten war dieses Vorhaben aber alles andere als einfach. Hentschel hat zahlreiche Krisensitzungen und Besprechungen hinter sich, denn Corona und die ergriffenen Eindämmungsmaßnahmen haben den Tourismussektor hart getroffen. Doch zu lange lamentieren wollte man nicht, sondern sich auf seine Stärken besinnen. Vielfalt zum Beispiel.

Wandern, Radfahren und Klettern vs. Spaßparks und Actionangebote

Der Tourismusverband Franken steht dabei im engen Austausch mit anderen Verbänden. Sei es mit der Bayern Tourismus Marketing GmbH, oder mit der Tourismusabteilung im Bayerischen Wirtschaftsministerium.

Eine Kletterin in der Fränkischen Schweiz

Wenn es darum geht die fränkischen Regionen im In- und Ausland zu bewerben, dann spielen die touristischen Angebote in den jeweiligen Gemeinden vor Ort eine zentrale Rolle. Naturerlebnisse schaffen - das ist erklärtes Ziel der verschiedenen Regionen, sanft durch Wandern, Fahrradfahren oder Klettern, meist in Verbindung mit Kulinarik und Genuss, oder aktiv durch Spaßparks und Actionangebote. Was auffällt: Letztere scheinen in den vergangen 20 Jahren ganz schön in Mode gekommen zu sein. Die Entwicklung und die Vielzahl der größeren Abenteueranlagen ist rasant.

Wird eine neue Attraktion in einer Region geplant, dann wird neben anderen Gutachtern und Behörden auch der Tourismusverband Franken um eine Einschätzung gebeten, ob diese Neuerung eine touristische Relevanz mitbringt. Muss es dabei immer höher, schneller und weiter gehen?

"Das muss man unterschiedlich betrachten. Die Gäste sind immer reiseerfahrener und wollen auch ein bestimmtes Qualitätsniveau. Das heißt da muss man entsprechend qualitativ hochwertige Angebote vorhalten, damit die Gäste auch zu einem kommen. Und dementsprechend wurde natürlich auch investiert. Sei es eben in der Hotellerie, oder auch bei anderen Angeboten. Auf der anderen Seite ist derzeit das Thema naturnaher Tourismus, Resilienz, zu sich selbst finden ein Trend, bei dem man sagt: ok, man möchte dem Alltag entfliehen. Man möchte zu sich kommen, man möchte Ruhe finden, die Natur genießen. Das sind zwei verschiedene Aspekte, die man nicht gegeneinander ausspielen sollte."

Jörg Hentschel, Presse und Öffentlichkeitsarbeit des Tourismusverband Franken

Waldbaden mit Holger Schramm – Naturspektakel ohne Spektakel

Eine Frau umarmt einen Baum - beim Waldbaden

Holger Schramm sitzt auf einem flachen Stein. Die idyllische Teuschnitz bahnt sich ihren Weg an ihm vorbei und schlängelt sich durch ein naturbelassenes Tal im Frankenwald nördlich von Kronach. Holger Schramm kennt die heilsamen Kräfte der Natur und gibt diese Erkenntnisse an Interessierte weiter, durch Entspannungskurse, Qi-Gong oder Klangschalen-Massagen.

"Es ist unheimlich komplex. Was passiert, wenn wir uns auf die Natur einlassen? Wir haben den Wegfall an Informationen, an Lärm, an Leistung und da machen halt vier Stunden unheimlich viel aus. Du gehst anders in den Wald, als du rauskommst. Das ist ganz normal."

Holger Schramm

Einfach mal die Perspektive ändern. Runterkommen und ein bisschen die Beine ins kühle Nass tauchen. So herrlich erfrischt geht es dann barfuß über eine gemähte Wiese in den angrenzenden Wald. Holger Schramm geht "Waldbaden". Also schon wieder Wasser?

"Waldbaden, das ist eine unglückliche Übersetzung. Das kommt aus dem Japanischen von Shinrin Yoku und das ist eigentlich schöner übersetzt mit 'Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes'. Und das trifft es eigentlich auf den Punkt. Es geht darum, die Leute an die Hand zu nehmen und zu sich selber zu bringen. Je einfacher die Sachen sind, die du machst, desto einfacher ist es für die Leute nachzuvollziehen und desto wahrscheinlicher ist es, dass die selber mal Spazieren gehen und sagen: ich ziehe jetzt mal die Schuhe aus und laufe über die schöne Wiese da, oder ach, ich setze mich jetzt an den Bach und lausche ein bisschen."

Holger Schramm

Manche brauchen den Kick in ihrer Freizeit

Die Sommerrodelbahn in Pottenstein

Naturspektakel, quasi ohne Spektakel. Intensives Naturerlebnis durch Schlichtheit, Reduktion und Rückbesinnung. Wer das möchte, der sollte an einem Sonntag möglichst nicht einen touristischen Hotspot aufsuchen, wie zum Beispiel Pottenstein in der Fränkischen Schweiz. Dort gibt es atemberaubende Natur, kein Zweifel, jedoch führen die vielen touristischen Attraktionen auf engstem Raum zu einem atemberaubenden Gefühl in ganz anderer Hinsicht. Besucherscharen drängen sich vor Teufelshöhle, Sommerrodelbahn und Kletterwald. Es sind vor allem die Touristen aus dem Ausland und dem etwas weiter entfernten Inland, die so ein vielfältiges, intensives Angebot anlockt. Und manche brauchen auch den Kick in ihrer Freizeit, behaupten sie jedenfalls.

"Die einzelnen Teilregionen der Fränkischen Schweiz verfolgen unterschiedliche Strategien. Pottenstein ist das klassische Beispiel, wo sehr viele Attraktionen auf engem Raum vorhanden sind. Das hat natürlich auch sein Klientel, deshalb ist hier aber auch eine gute Frequenz vorhanden. Das ist aber natürlich nicht alles. Gleichzeitig haben wir auch Teilregionen, die eher auf Landschaft, auf Wandern, auf sanften Tourismus setzt. Deshalb muss auch beides da sein. Das ergänzt sich sehr gut und letztendlich profitiert die Gesamtregion auch von der Vielfalt, von den Möglichkeiten für verschiedenste Gruppen."

Hermann Ulm, Landrat Forchheim

Der Baumwipfelpfad bei Ebrach im Steigerwald

Der erst kürzlich wiedergewählte Forchheimer Landrat Hermann Ulm betont die sagenhafte Natur der Fränkischen Schweiz – der Region, für die das Landratsamt Forchheim zuständig ist. Ein Kletterparadies, eine Genussregion, international bekannt für seine einmalige Felsenlandschaft, die Mountainbikestrecken und Wanderpfade. Wenn es darum geht, neue attraktive Angebote zu schaffen, müssen immer viele verschiedene Leute an den konzeptionellen Überlegungen beteiligt werden. Ein Abwägungsprozess, aus dem schnell ein gewagter Drahtseilakt werden kann. Dann, wenn touristischer Kommerz Nachteile für Flora und Fauna mitbringt.

Urteil zu Kanubetrieb auf der Wiesent: Naturschutz sticht kommerzielle Interessen

Kanufahrer auf der Wiesent

Ein Konflikt, der 2019 in einem Gerichtsverfahren mündete, war die Diskussion um den Kanubetrieb auf der Wiesent. Der Bund für Naturschutz hatte sich eingeschaltet. Die Zustände seien nicht mehr haltbar gewesen, meint der Regionalreferent für Mittel- und Oberfranken des BUND, Tom Konopka.

"Das Klageverfahren haben wir zusammen mit unserer Kreisgruppe Forchheim angestrengt. Weil auf der Wiesent der Paddeltourismus so stark zugenommen hat, dass dort Natur zerstört wird. Wir haben an der Wiesent ein europäisches Vogelschutzgebiet, zum Beispiel mit dem Eisvogel. Wir haben dort auch ein Flora-Fauna-Habitat-Gebiet derEeuropäischen Union, wegen der Unterwasser-Vegetation und anderer besonderer Lebensräume, die an der Wiesent zu schützen sind. Und beides, sowohl die Vögel, als auch die Unterwasservegetation sind nachweislich sehr stark beeinträchtigt."

Tom Konopka, Regionalreferent des BUND

Ein Boot auf der Wiesent

Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Bayreuth: Naturschutz geht vor, kommerzielle Interessen müssen hier zurückstehen. Seitdem ist ein Flussabschnitt der Wiesent vom Kanubetrieb ausgenommen, zur Brutzeit des Eisvogels. Ob das ausreicht, um den Eisvogel in der Region zu halten, wird sich zeigen. Im schlimmsten Fall, wenn es zu spät ist.

"Wir befassen uns selbstverständlich mit allen größeren Planungen in dieser Hinsicht, natürlich auch, wenn unsere Kreisgruppen Alarm schlagen, wenn irgendwo Center Parcs 150 Hektar mit Ferienhäusern bebauen will, oder wenn irgendwo eine neue Spaßrutsche in die Landschaft hineingebaut werden soll, oder ein 40 Hektar umfassender Mountainbike-Park im Fichtelgebirge. Da schauen wir genauer hin, wir streiten uns dann auch manchmal, weil wir zwar sagen, wir wollen lokalen und regionalen und überregionalen Tourismus, aber er muss natürlich in Bahnen gelenkt werden und muss im Rahmen dessen passieren was die Umwelt ertragen kann."

Tom Konopka, Regionalreferent des BUND

Strategien zur Entzerrung des Touristenaufkommens

Tom Konopka findet es gut, dass der Tourismusverband Franken an Strategien arbeitet, das Touristenaufkommen zu entzerren.

"Wir haben schon eine gewisse Balance im Fokus und wollen auch einen gewissen Ausgleich schaffen. Zum einen versuchen wir aktuell auf Instagram Hidden Places, also Geheimtipps zu präsentieren. Und in diesem Zusammenhang arbeiten wir auch zusammen mit der Tourenplattform Komoot, die ja verschiedenen Wander- und Radtouren präsentiert. Da haben wir 16 Collections aktuell, weil wir 16 Ferien und Reiselandschaft haben und jede Region kann da bis zu zehn Touren präsentieren. Und da ist auch der Fokus 'Auf unbekannteren Wegen', um auch eine entsprechende Entzerrung und eine sanfte Besucherlenkung zu gestalten."

Jörg Hentschel, Presse und Öffentlichkeitsarbeit des Tourismusverband Franken

Es war der deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky, der mal sagte: "Es gibt keine richtige Art die Natur zu sehen. Es gibt hundert." Und diese Vielfalt wird in den Naturparks und Touristenregionen gepflegt und erweitert. Dabei möchte man auch hier immer wieder mal die Perspektive ändern.


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