Bayern 2

Zuckerkrank Leben mit Typ-2-Diabetes

Typ-2-Diabetes ist eine der großen Volkskrankheiten. Derzeit leidet weltweit einer von elf Erwachsenen unter Diabetes - zehn Millionen Menschen mehr als noch 2015. Immer häufiger sind auch Kinder betroffen. Dazu kommt eine Dunkelziffer von geschätzt zwei Millionen Menschen, die noch nicht wissen, dass Sie Typ-2-Diabetiker sind.

Author: Katharina Hübel

Published at: 18-5-2022

Blutzuckermessung mit Blutzuckermessgerät | Bild: picture-alliance/dpa

Eine Vielzahl von Medikamenten, so genannte Antidiabetika, können Typ-2-Diabetikern helfen. Insulin ist dabei meist das letzte Mittel der Wahl. Viele Jahre war nicht bekannt, welchen Effekt Antidiabetika auf die Langzeitfolgen der Krankheit haben. Inzwischen liegen für einige Medikamente Langzeitstudien vor.

Experte:

Dr. Arthur Grünerbel, Diabetologe, Lipidologe und Ernährungs- und Sportmediziner; Vorstandsvorsitzender in der Fachkommission Diabetes Bayern, Begründer des “Fußnetz Bayern“

Was Diabetespatienten hoffen lässt, ist eine ganz neue Generation von Medikamenten, die helfen könnten, die so genannten "harten Endpunkte" der Krankheit zu verhindern: Medikamente, die tatsächlich folgendes vermeiden könnten:

  • Erblinden
  • Amputationen
  • Nierenschäden mit Dialysepflicht
  • Herzinfarkte
  • Schlaganfälle

Das Ziel einer zeitgemäßen Diabetes-Therapie ist es nicht nur den Blutzucker für den Moment in den Griff zu bekommen, sondern auch Langzeitfolgen zu verhindern oder wenigstens abzumildern.

Der Text beruht auf einem Interview von Katharina Hübel mit Dr. Arthur Grünerbel, Diabetologe, Lipidologe und Ernährungs- und Sportmediziner; Vorstandsvorsitzender in der Fachkommission Diabetes Bayern, Begründer des “Fußnetz Bayern“.

Weiterführende Links:

Typ-2-Diabetes ist eine chronische Stoffwechselerkrankung, die im Verlauf des Lebens ausbrechen kann. Sie zeigt sich durch erhöhte Blutzuckerwerte, die durch eine Insulinresistenz zustande kommen.

Hohe Blutzuckerwerte bedeuten folgendes: Insulin, das im Körper ausgeschüttet wird, kann den Blutzuckerspiegel nicht mehr ausreichend senken, weil die Körperzellen gegen Insulin immer unempfindlicher werden. Am Ende steht die Resistenz. Die Betazellen der Bauchspeicheldrüse bekommen also das Signal, immer mehr Insulin auszuschütten - bis sie erschöpft sind. Kann der Körper kein Insulin mehr produzieren oder ist dieses wirkungslos, so können die Blutzuckerwerte des Patienten mit Typ-2-Diabetes um ein Vielfaches erhöht sein. Auf Dauer und ohne Therapie nehmen dadurch die Blutgefäße und Nerven Schaden:

  • Blindheit
  • Nierenversagen
  • Amputationen
  • Herzinfarkt
  • Schlaganfall
  • Erektionsstörungen

sind mögliche Folgen.

Wie kommt Typ-2-Diabetes zum Ausbruch?

Typ-2-Diabetiker tragen immer eine gewisse Anzahl an Diabetes-Genen in sich. Man vermutet derzeit, dass es mindestens 15, wenn nicht sogar 18 oder 20 sind. Bis die Wissenschaft hier fortgeschrittener ist, sind die genetischen Blutuntersuchungen daher kein klarer Beweis, dass die Krankheit sicher ausbrechen wird. Zumal, da der Lebensstil zusätzlich eine wichtige Rolle spielt. Es gibt Risikofaktoren, die schneller zu Typ-2-Diabetes führen können:

  • Ungesunde Ernährung
  • Bewegungsmangel
  • Übergewicht

Das bedeutet aber auch, dass gesunder Lebensstil den Ausbruch von Typ-2-Diabetes verzögern oder sogar dafür sorgen kann, die Erkrankung zu verhindern. In manchen Fällen bessert sich ein ausgebrochener Diabetes durch eine Ernährungsumstellung und Sport.

"Der falsche Lebenswandel ist eine Hauptursache. Deswegen versuchen wir von der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin als auch von der Deutschen Diabetesgesellschaft auf dem Nahrungsmittelsektor etwas zu unternehmen. Lange Zeit war die Ampelkennzeichnung im Gespräch oder eine höhere Steuer für kalorienreiche Süßgetränke, damit man bewusster konsumiert. Leider kann sich die Politik nicht so recht entschließen, da etwas durchzusetzen. Aber es ist klar, dass ungesunde Ernährung, also schnell resorbierbare Kohlenhydrate, Zucker ganz allgemein, natürlich wesentlich zur Entwicklung des Diabetes beiträgt."

Dr. Arthur Grünerbel, Vorsitzender Fachkommission Diabetes Bayern

Wie zeigt sich Diabetes?

Der Typ-2-Diabetes beginnt schleichend. Über ein, zwei Jahre zeigen sich die Symptome nicht deutlich oder fallen nicht so sehr ins Gewicht, dass sie den Patienten einschränken würden. Der sogenannte Nüchtern-Zuckerspiegel steigt schleichend, unter hundert ist normal. Aber bereits eine leichte Erhöhung wie beispielsweise auf 102 führt dazu, dass das Risiko an Diabetes zu erkranken fünffach erhöht ist. Mögliche Symptome sind:

  • Müdigkeit
  • häufige Infektionen an Fingern, Zehen oder Genitalien

"Leider ist es nach wie vor so, dass die allermeisten viel zu spät zum Diabetologen kommen. Dennoch kann ich über die vergangenen zwei, drei Jahre sagen, dass sich das Gesundheitsbewusstsein zu verbessern scheint und doch mehr Menschen den Check-Up, den die Kassen zahlen, machen und die Hausärzte mehr versuchen, Patienten zu motivieren, die regelmäßige Gesundheitsvorsorge durchzuführen, zu der mindestens die Bestimmung des Blutzuckers und des Cholesterinwertes gehören."

Dr. Arthur Grünerbel, Vorsitzender Fachkommission Diabetes Bayern

Typ-2-Diabetes muss nicht chronisch werden. Erkennt man die Krankheit früh, wenn die Blutzuckerwerte erst leicht erhöht sind, so hat der Patient selbst noch viel in der Hand.

Prädiabetes - so heißt der Fachausdruck für leicht erhöhte Blutzuckerwerte. Dr. Arthur Grünerbel, Vorsitzender der Fachkommission Diabetes Bayern, spricht von einer "Grauzone", in der man den Typ-2-Diabetes noch zurückdrehen kann. Konsequente Lebensstiländerung ist jedoch die Voraussetzung dafür.

"Da gibt es aber leider noch keine von den Krankenkassen finanzierten Programme, an denen die Patienten teilnehmen könnten. Wir bieten den Patienten das natürlich an, leider müssen sie dafür selbst bezahlen. Dann entscheiden sich nicht alle für das Programm, das in etwa zwischen 100 und 150 Euro kostet. Sie lesen im Internet nach, was sie tun können, machen dann womöglich aber doch nicht genug und sind in zwei Jahren dann wieder da als Diabetiker."

Dr. Arthur Grünerbel, Vorsitzender Fachkommission Diabetes Bayern

Ein Risikofaktor für Diabetes ist Übergewicht. Früher haben Diabetologen angenommen, dass der Diabetes verschwindet, wenn ein Patient deutlich abnimmt. Ganz so einfach ist es leider nicht, so hat die Forschung und die Erfahrung mit der Krankheit inzwischen gezeigt. Die genetische Belastung bleibt nämlich bestehen, auch wenn diese unterschiedlich ausgeprägt ist.

"Allerdings ist es, laut einer Studie, die beim Deutschen Diabeteskongress im Herbst 2018 vorgestellt wurde, so: Wenn es tatsächlich gelingt, dass Menschen mit einem BMI über 30 15 Kilo abnehmen und das neue Gewicht dauerhaft halten können, dann ist bei diesen Menschen der Diabetes auch erstmal weg. Natürlich haben wir auch hier keine Langzeitdaten über zehn, 20 Jahre."

Dr. Arthur Grünerbel, Vorsitzender Fachkommission Diabetes Bayern

Gesunde, ausgewogene Ernährung (wenig Zucker, wenig Cholesterin), nicht rauchen und ausreichend Bewegung: Das nennen Diabetologen "Lifestyle-Modification" - die erste Maßnahme nach der Diagnose. Aber der Effekt ist oft kurzzeitig: Nach zwei, drei Jahren nivelliert er sich leider oft, so die Erfahrung des Diabetologen Dr. Arthur Grünerbel. Hier gibt es für Interessierte mittlerweile auch ein online-Programm mit Kochrezepten unter dem Namen "mindCarb", dessen Kosten manche Krankenkassen übernehmen.

"Weil eben die Lebensstiländerung alleine doch nicht konsequent über Jahrzehnte durchgehalten werden kann. Unsere Gesellschaft ist ganz anders gepolt: Wir müssen nicht mehr jeden Tag 15 Kilometer gehen, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Wir sind aber genetisch noch darauf programmiert. Man könnte Diabetiker besser gesellschaftlich unterstützen, indem man zum Beispiel die Süßgetränke höher besteuert. In Großbritannien klappt das auch hervorragend."

Dr. Arthur Grünerbel, Vorsitzender Fachkommission Diabetes Bayern

Viele Patienten kommen aber erst zum Diabetologen, wenn sie schon Typ-2-Diabetes entwickelt haben. Sie kommen beispielsweise erst dann, wenn sie an den Füßen Empfindungsstörungen, also eine Neuropathie, eine diabetische Nervenschädigung, haben. Manchmal wird Diabetes auch erst diagnostiziert, wenn schon ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall eingetreten ist.

Die exakteste Art, derzeit Typ-2-Diabetes zu diagnostizieren, ist für viele Patienten nicht gerade die schmackhafteste: 75 Gramm Zuckerlösung wollen geschluckt und im Magen behalten sein.

Die Diagnose von Typ-2-Diabetes kann man auf verschiedene Arten stellen. Wenn der Nüchtern-Blutzuckerspiegel zwischen 100 und 126 liegt, dann handelt es sich um Prädiabetes, über 126 gilt die Diagnose Diabetes als gesichert. Man kann auch den Langzeitzucker im Blut messen, den HbA1c-Wert. Ein Wert zwischen 5,7 und 6,5 bedeutet Prädiabetes, 6,5 oder mehr heißt: Diabetes. Stellt man Prädiabetes fest, bringt ein oraler Glucose-Toleranztest, also ein Zuckerbelastungstest, weitere Klarheit. Der Patient trinkt dabei 75g Zuckerlösung und der Arzt testet, wie sich der Zucker nach zwei Stunden entwickelt hat. Normal ist, wenn der Wert innerhalb dieser Frist wieder unter 140 sinkt; wenn er nach zwei Stunden jedoch noch bei über 200 ist, handelt es sich gesichert um Diabetes; ein Wert zwischen 140 und 200 bedeutet Prädiabetes.

"Leider ist da ein für uns Diabetologen unverständliches Problem aufgetreten: Es gibt eine einigermaßen wohlschmeckende Traubenzuckerlösung mit Johannisbeer-Geschmack, die die Patienten trinken können, in der die Zuckermenge von 75 Gramm fertig gelöst ist. Die kostet knapp 4,50, wird aber von den Kassen nicht mehr bezahlt. Die Patienten müssen jetzt Zuckerwasser trinken, das wir selbst anrühren. Das schmeckt für manche Patienten widerlich. Wir haben immer wieder damit zu kämpfen, vor allem bei den Schwangeren, dass die Patienten das wieder erbrechen müssen. Vor allem ist durch das Anrühren die Diagnostik nicht mehr so exakt, weil ein Rest im Becher bleibt oder der Zucker nicht optimal gelöst ist."

Dr. Arthur Grünerbel, Vorsitzender Fachkommission Diabetes Bayern

Der Langzeitzucker, genannt HbA1c, ist für jeden Diabetiker wichtig, weil er über die Qualität seiner Blutzuckereinstellung der vergangenen acht bis zwölf Wochen Aussagen trifft. HbA1c ist ein Hämoglobin (roter Blutfarbstoff, Bestandteil der roten Blutkörperchen), an das sich ein Molekül Zucker, also Glucose, angelagert hat. Bei Gesunden sind in etwa fünf Prozent der Moleküle verzuckert. Je nach Therapieziel ist der so genannte Zielkorridor des HbA1c-Wertes des Patienten festgelegt. Für jüngere Patienten beispielsweise weniger als 7 Prozent, für ältere Patienten mehr als 7 Prozent. Das jedenfalls sagt die internationale Versorgungsleitlinie.

"Man versucht nicht mehr, die Diabetiker in den Bereich des Normalzuckers abzusenken, das wäre viel zu niedrig, da besteht die Gefahr der Unterzuckerung, die tödlich enden kann."

Dr. Arthur Grünerbel, Vorsitzender Fachkommission Diabetes Bayern

Regelmäßige Überwachung

Bei gesunden Diabetespatienten sollten folgende Nerven und Blutgefäße einmal im Jahr überprüft werden:

  • an den Füßen
  • an den Augen, vor allem an der Netzhaut
  • an der Niere

Die Gefäße müssen untersucht werden, damit der Patient vor einem Herzinfarkt bewahrt werden kann. Denn der Diabetes ist eine Gefäßkrankheit. Die Blutzuckerspitzen greifen die Gefäße an, sodass Diabetes immer ein großes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall mit sich bringt.

"Ein Diabetiker hat ein mindestens zweieinhalbfach so hohes Risiko, einen Herzinfarkt zu bekommen, wie ein normaler Herzpatient für einen zweiten Infarkt."

Dr. Arthur Grünerbel, Vorsitzender Fachkommission Diabetes Bayern

Spätfolgen von Diabetes abmildern, gar verhindern, das ist das Ziel einer zeitgemäßen Diabetestherapie. Was kann helfen, Amputationen, Dialyse, Erblindung, Herzkrankheiten oder einen Schlaganfall zu vermeiden? Noch sind nicht alle Zusammenhänge der Krankheit so klar, als dass es auf diese Frage ein Patentrezept gäbe.

Blutzucker kann die Gefäßinnenwände, das sog. Endothel, angreifen und zerstören. Oxidative Endprodukte führen dazu, dass die Gefäße nicht mehr glatt sind und das Blut nicht mehr ungehindert durchfließen kann. Die Gefäßinnenwand wird rau, Cholesterin wird eingelagert und es kann dazu kommen, dass Gefäße sogar verschlossen werden.

Neuropathien

Die Forschung ist noch nicht so ganz sicher, warum Diabetes die Nerven schädigt. Man weiß aber auf jeden Fall, dass gerade die peripheren Nerven als erstes zugrunde gehen. Diese Nerven sind - wie ein Elektrokabel mit Isolierung - umhüllt von der sogenannten Schwann'schen Scheide (Stützgewebe aus Schwann-Zellen). Diese Isolierung kann durch die Blutzuckerspitzen zerstört werden und dann andere Impulse empfangen oder leiten als sie eigentlich sollte. Im schlimmsten Fall folgen Neuropathien, die sich z.B. so äußern:

  • Brennen
  • Schmerzen
  • Kribbeln
  • Gefühllosigkeit
  • offene Wunden

Niere

Ist ein Diabetiker "gut eingestellt", sollte er auf Dauer auch keine Nierenprobleme bekommen. Dafür muss der HbA1c-Wert im Zielbereich sein, ebenso der Cholesterinwert und Blutdruck, außerdem darf der Patient nicht rauchen. Es gibt aber viele schlecht eingestellte Diabetiker. In der Folge sind 70 Prozent der neuen Dialysepatienten Diabetiker. Die Niere ist eine Art Filter. Und dieser Filter wird sowohl durch zu hohen Blutdruck als auch durch zu hohen Blutzucker beschädigt. Nikotin trägt ebenfalls zu diesem Prozess bei.

Amputationen

Man hat 1989 in der so genannten St.-Vincent-Deklaration europaweit erklärt, die Amputationszahlen bei Diabetikern halbieren zu wollen.

"Das haben wir leider überhaupt nicht geschafft, im Gegenteil, es sind mehr geworden. Natürlich auch deswegen, weil man damals noch nicht dachte, dass die Zahl der Diabetiker so steil ansteigen wird. Aber auch deswegen, weil die Versorgung der Diabetiker, was die Füße angeht, noch sehr im Argen ist. Deswegen haben wir in Bayern auch das 'Fußnetz Bayern' gegründet, um die Versorgung der Patienten mit diabetischen Füßen zu verbessern."

Dr. Arthur Grünerbel, Gründer des Fußnetz Bayern

Laut Gesundheitsbericht Diabetes 2021 gibt es alle 13,4 Minuten eine diabetesbedingte Operation. Die Zahl der sogenannten Major-Amputationen, bei denen am Oberschenkel oder Knie angesetzt wird, ist seit zwei Jahren leicht rückläufig.

"Dennoch haben wir insgesamt viel zu viele Amputationen. Das liegt bei uns in Deutschland einfach daran, dass die Menschen nicht so Bescheid wissen – weder über das Krankheitsbild an sich, noch wissen Sie darüber Bescheid, wo sie mit einem diabetischen Fuß medizinische Hilfe bekommen. Dabei gibt es Diabetes-Schwerpunktpraxen mit so genannten Diabetesfuß-Ambulanzen."

Dr. Arthur Grünerbel, Gründer des Fußnetz Bayern

Die EuroDiale-Studie von 2011 hat gezeigt, dass England die geringste Zahl an Amputationen hat. Dort kamen Diabetespatienten mit Fußwunden innerhalb von neun Tagen in eine fachgerechte Behandlung. In Deutschland gab es die höchste Zahl der Amputationen, weil es in Deutschland im Durchschnitt neun Monate gedauert hatte, bis der Patient mit seiner Fußwunde in eine spezialisierte Einrichtung gekommen ist. Spezialisierte Einrichtungen sind in Deutschland noch nicht in großer Zahl vorhanden, "weil das momentan ein Hobby der Diabetologen darstellt, die sich der Fußversorgung verschrieben haben, aber eine spezialisierte Honorierung dieser Versorgung fehlt auch noch", so Arthur Grünerbel vom Fußnetz Bayern.

Fußwunden

Fußwunden kommen beim Diabetiker in erster Linie dadurch zustande, dass der Zuckerwert längere Zeit schlecht eingestellt war, oder der Diabetes gar nicht bemerkt wurde. Die peripheren Nerven nehmen Schaden, sodass der Patient nicht mehr so genau spürt, wie er den Fuß auf den Boden setzt. Das verändert das Gangbild; der Patient bekommt schneller Druckstellen unter den Mittelfußknöchelchen oder Verhornungen, die dann möglicherweise einreißen oder einbluten können. Solche Wunden sind Eintrittspforten für Bakterien. Schließlich entsteht eine Wundinfektion am Fuß, die man gut behandeln könnte, wenn man sie rechtzeitig erkennen würde. Wird die Behandlung der Wunde verschleppt, und ist dann noch die Durchblutung mangelhaft, ist das sehr gefährlich für den Fuß. Am Anfang steht jedoch eigentlich immer die Neuropathie, der Nervenschaden. Das ist die Ursache, die Betroffene solche Wunden nicht ernst nehmen lassen: Sie spüren keinen Schmerz.

Sterblichkeit

"Früher war es auf jeden Fall so, dass die Diagnose Typ-2-Diabetes die Lebenserwartung um zehn Jahre verringert hat. Heute muss man differenzieren: Kümmere ich mich intensiv um meinen Diabetes, dann kann ich dieselbe Lebenserwartung haben wie ohne die Krankheit?"

Dr. Arthur Grünerbel, Vorsitzender der Fachkommission Diabetes Bayern

Je mehr man sich wenigstens die ersten fünf bis zehn Jahren um die Krankheit kümmere, desto weniger Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko gebe es, so der Diabetologe Arthur Grünerbel.

Manches hat der Patient mit Typ-2-Diabetes selbst in der Hand. Er kann seinen Lebensstil ändern, er hat Einfluss darauf, was er isst und wie viel er sich bewegt. Doch oft reicht das nicht aus. Die richtigen Medikamente sollen helfen, den Blutzucker stabil zu halten und Spätfolgen zu verhindern.

Gruppenschulung

"Es ist pädagogisch ein anderes Erlebnis, als wenn ich mir selbst etwas im Internet anlese. Das macht man nicht so konsequent, es fehlt das Feedback. In der Gruppenschulung wird vertieft, was ich im Erstgespräch schon erläutere, dass jetzt die Ernährungsumstellung wichtig ist, und dass der Patient sich intensiver bewegt. Je nachdem wie die Zuckerwerte sind, gibt man gleich ein Medikament oder wartet erstmal bis zu drei Monate den Erfolg der ersten Maßnahmen ab."

Dr. Arthur Grünerbel, Vorsitzender Fachkommission Diabetes Bayern

So genannte Diabetikerprodukte sind nicht empfehlenswert, da sie falsche Fette und Zuckeraustauschstoffe beinhalten, die Durchfall verursachen können; außerdem Zuckeraustauschstoffe, die langfristig im Körper zu Glucose abgebaut werden. Einzig Stevia für Kaltgetränke, Taghatose und Erythrit für Koch- und Backrezepte können in Maßen empfohlen werden.

Gesunde mediterrane Kost ist sinnvoll. Wobei damit nicht die Riesenpizza oder der tägliche Topf Spaghetti gemeint sind, sondern viel Gemüse, Ballaststoffe, Fisch. Zucker kann in dem ein oder anderen Produkt durchaus enthalten sein, aber auf keinen Fall sollte ein Diabetiker zuckerhaltige Getränke zu sich nehmen, denn sie schicken den Zucker direkt ins Blut. Auch der Konsum von Weißmehlprodukten sollte verringert werden, denn Weißmehl wird sehr schnell vom Körper aufgenommen und erhöht den Zuckerspiegels rapide. Beim Typ-2-Diabetiker ist diese erste Phase der Insulinausschüttung, die das bekämpfen könnte, etwas abgeschwächt.

Als Bewegung wird empfohlen, zwei Mal die Woche Ausdauersport zu betreiben – am besten in der Gruppe, damit der innere Schweinehund keine Chance hat! 150 Minuten pro Woche sind sinnvoll.

Diabetes bedeutet Insulin spritzen? Das ist oft der erste Gedanke, doch im Fall von Typ-2-Diabetes ist das erst die letzte Maßnahme. Tabletten, so genannte Antidiabetika, die den Blutzucker senken, stehen als Medikation vorher zur Verfügung – unter Umständen in Kombination.

Je nach Alter und Zustand des Patienten legt der Arzt einen Zielbereich des Zuckerwertes fest. Vor allem bei älteren Patienten muss das nicht der Normbereich des Zuckers sein. Denn Medikamente haben Nebenwirkungen. Eine gravierende Nebenwirkung kann der Unterzucker (Hypoglykämie) sein, der im Extremfall sogar zum Tod führen kann. Bei jungen Menschen ist es jedoch wichtiger, den Blutzucker strenger anzugehen, da Blutzuckerspitzen und über lange Jahre erhöhte Blutzuckerwerte die Gefäße und Nerven schädigen.

Kombination von Medikamenten

Bei den Medikamenten hat sich in Deutschland eine relativ einheitliche Vorgehensweise herausgebildet, die auch so von der europäischen und amerikanischen Diabetesgesellschaft festgeschrieben ist. Bei Typ-2-Diabetes wird meist eine Kombination verschiedener Medikamente gegeben.

"Diabetes ist eine chronische Erkrankung, sodass man mit der Therapie in der Regel Zeit seines Lebens dranbleiben muss. Deswegen ist es wichtig, dass man eine Therapie hat, die man mittragen kann, hinter der man steht. Durch unterschiedliche Wirkansätze ergänzen sich die Medikamente hervorragend."

Dr. Arthur Grünerbel, Diabetologe.

Dosierung

Grundsätzlich müssen alle Diabetesmedikamente entsprechend der Funktion der Niere dosiert werden. Nicht, weil die Diabetesmedikamente primär der Niere schadeten, so Dr. Grünerbel, sondern, weil sie über die Niere ausgeschieden werden. Wenn die Niere mit zunehmendem Alter langsamer ausscheidet, muss die Medikamentendosis verringert werden.

Basismedikament Metformin

Metformin ist derzeit das Mittel der Wahl. Es wird in der Regel als erstes Medikament eingesetzt. Metformin schont die Betazellen der Bauchspeicheldrüse und sorgt dafür, dass sie sich erholen können. Es verbessert außerdem die Insulinwirkung an den Muskelzellen. Das ist wichtig, denn, wenn der Typ-2-Diabetiker erst einmal insulinresistent ist, kann das Insulin nicht mehr wirken. Metformin ist in der Regel das Basismedikament, mit dem Folgemedikamente kombiniert werden.

Nebenwirkungen

Die Hauptnebenwirkung von Metformin ist Magendrücken, Übelkeit, Durchfall.

"Deswegen beginnen wir mit dem Metformin immer in niedriger Dosis. Erstmal nur ein Mal am Tag, zum Teil auch nur eine halbe Tablette, dann steigern wir das Ganze langsam und dann vertragen es die meisten Menschen auch"

, so Dr. Arthur Grünerbel.

Sulfonylharnstoffe

Sulfonylharnstoffe schütten aktiv Insulin aus den Betazellen aus, was im Laufe der Zeit unter Umständen die Betazellen erschöpfen kann, wenn man das Medikament zu lange anwendet. Diese Medikamente können bei manchen Patienten zu Unterzuckerung und zur Gewichtszunahme führen, weshalb sie nur bei bestimmten Indikationen verwendet werden. Zum Beispiel gibt es auch schlanke Typ-2-Diabetiker, die dann lieber so ein Medikament haben. Unterzuckergefahr besteht bei den Sulfonylharnstoffen, weil sie aktiv und kontinuierlich die Bauchspeicheldrüse dazu animieren, Insulin auszuschütten.

Insulin

Wenn die Betazellen erschöpft sind und gar kein Insulin mehr produzieren, müssen Typ-2-Diabetiker Insulin spritzen. Anfangs reichen meist Abnehmen, Sport und Tabletten aus.

Inzwischen gibt es erste Langzeitstudien zu einigen Antidiabetika, die bereits seit gut zehn Jahren auf dem Markt sind, zu den so genannten Gliptinen. Doch die neue Datenlage wirft neue Fragen auf: Nutzen wirklich alle Gliptine? Oder können manche sogar schaden?

Gliptine: Rund zehn Jahre alt

Die Gliptine hätten in Studien nachgewiesen, dass sie die Wirkung des körpereigenen Insulins verbessern, dass sie wie ein Katalysator wirken, so der Diabetologe Arthur Grünerbel. Gliptine unterstützen ein Darmhormon, genauer: bremsen seinen Abbau. So kann es in der Bauchspeicheldrüse die Freisetzung von Insulin anregen. Wenn man die Betazellen schonen möchte, dann würde man beispielsweise ein Gliptin nehmen, empfiehlt Arthur Grünerbel. Allerdings sind die Gliptine nicht kritikfrei.

Kritik an den Gliptinen

Manche Ärzte sehen es kritisch, dass die Langzeitstudien zu Gliptinen nicht belegen konnten, dass sie einen Effekt auf die Spätzeitfolgen haben. Sie konnte nicht beweisen, dass es durch sie weniger Herzinfarkte oder Herz-Kreislauferkrankungen gibt, weniger Erblindung, weniger Dialyse, weniger Amputationen oder gar weniger Sterblichkeit.

Auch das IQWiG, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Medizin hat sich inzwischen mit diesen Medikamenten befasst:

"Wenn man eine Welt hat mit Gliptin und eine Welt ohne Gliptin, dann hätte man sicher keinen Vorteil bezogen auf Folgekomplikationen wie Herzinfarkt oder Sterblichkeit. Diesen Anhalt geben die Studien zu Saxagliptin und Sitagliptin auf keinen Fall. Im Gegenteil. Man muss die Ergebnisse sehr ernst nehmen, dass für beide Gliptine negative Ergebnisse herausgekommen sind. Ich finde, dass man sehr zurückhaltend sein sollte, Gliptine einzusetzen, bei denen in Endpunktstudien sogar negative Ergebnisse zeigen."

Dr. Thomas Kaiser, Ressortleiter Arzneimittel IQWiG

Warnhinweise auf Saxagliptin und Sitagliptin

Die US-Arzneibehörde FDA hat 2016, nachdem die Hersteller für Sitagliptin und Saxagliptin Langzeitstudien vorgelegt haben, einen Warnhinweis für Saxagliptin verfügt, dem sich auch das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte angeschlossen hat: Die Behandlung mit Saxagliptin kann das Risiko auf Herzinsuffizienz erhöhen, insbesondere, wenn die Patienten bereits unter Herz- oder Nierenerkrankungen leiden. Sitagliptin erhöht das Risiko, dass die Netzhaut im Auge erkrankt. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen empfiehlt zurückhaltend zu sein bei Gliptinen, für die in Langzeitstudien negative Ergebnisse herausgekommen sind.

Nutzen von Saxagliptin und Co.

Dennoch dürfen Gliptine weiterhin verkauft werden, da der Nutzen die Risiken überwiege, so das Urteil des Bundesinstituts. Vorteile der Gliptine seien:

  • Blutzuckersenkung ohne das Risiko, Unterzucker zu provozieren
  • gute Verträglichkeit
  • keine Gewichtszunahme

Neueste Antidiabetika: Gliflozine

Forscher haben erkannt, welch wichtige Rolle die Glucose-Ausscheidung in der Niere spielt. Diese Erkenntnisse haben eine ganz neue Generation von Antidiabetika möglich gemacht. Gliflozine funktionieren so, dass das SGLT2 gehemmt wird, daher heißen sie auch STLG2-Hemmer. STLG2 bedeutet Natrium-Glucose-Cotransporter 2. Dieser ist in der Niere dafür verantwortlich, die Glucose zu resorbieren. Der Effekt: Wer die Tabletten nimmt, scheidet mehr Glucose über den Harn aus, der Blutzuckerspiegel sinkt. Handelt es sich z.B. um einen Patient, der an Herzinsuffizienz oder Herzgefäßerkrankungen leidet, würde man Medikamente aus der Gruppe der sog. SGLT2-Hemmer (genannt Gliflozine) verordnen. Für den Wirkstoff Empagliflozin liegt eine Langzeitstudie vor, die zeigt, dass diese Patientengruppe wesentlich länger verschont bleibt von einem Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Nur Empagliflozin und Dapagliflozin sicher unbedenklich

Allerdings weist das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen auf Anfrage des Gesundheitsgesprächs darauf hin, dass lediglich das Empagliflozin sicher unbedenklich sei. Positiv sieht Dr. Thomas Kaiser, Ressortleiter Arzneimittel beim IQWiG, dass der Hersteller von Empagliflozin auch gleich zur Zulassung eine Langzeitstudie vorweisen konnte.

Auch Dapagliflozin hat inzwischen nachgewiesen, dass es zum Beispielldie Entwicklung einer Herzinsuffizienz vermeiden kann. Aber das sei nicht bei allen Glifozinen so.

Doch auch hier ist mit Nebenwirkungen zu rechnen:

  • Vermehrtes Wasserlassen
  • Durst
  • Hypoglykämie, wenn Gliflozine mit anderen Medikamenten kombiniert werden
  • Infektionen und Entzündungen des Urogenitaltrakts

Warnung vor Canagliflozin

Andere Gliflozine haben teilweise besondere Nebenwirkungen. Für Canagliflozin gibt es eine "ganz explizite Warnungen der Zulassungsbehörde, weil unter der Gabe öfter Amputationen beobachtet wurden", informiert Thomas Kaiser vom IQWiG.

GLP1-Agonisten

Einen festen Platz in der Diabetes Therapie nehmen mittlerweile die so genannten GLP1-Agonisten ein, die die Wirkung des körpereigenen GLP1-Hormons, welches die Insulinwirkung unterstützt, dadurch verbessern, indem sie durch pharmalogische Nachbauten den GLP1-Rezeptor besetzen. Diese Substanzen, wie zum Beispiel Liraglutide und Dulaglutide, haben auch bereits im Langzeitstudien bewiesen, dass sie Herzinfarkte und Schlaganfälle vermeiden.

Wird die Lebensqualität besser?

Es steht also nicht nur in Frage, ob alle Antidiabetika die Folgekomplikationen der Krankheit abmildern oder verhindern helfen. Fraglich ist auch, ob die Lebensqualität der Patienten verbessert wird.

"Was für uns sehr wichtig ist, aber bisher in den Studien zu den Antidiabetika gar nicht untersucht wird, ist: Wie verändern die Antidiabetika eigentlich die Symptome von hohem Blutzucker, also Schlafstörungen, Konzentrationsstörung, Harndrang und ähnliches? Da fehlt uns im Diabetesbereich völlig die Datengrundlage. Diese Kriterien spielen auch für die Zulassung keine Rolle. Das sehen wir kritisch."

Thomas Kaiser, Ressortleiter Arzneimittel IQWiG

Fazit

Die Diabetestherapie ist sehr individuell. Der Nutzen und die Risiken der Antidiabetika müssen vom Arzt für jeden Patienten einzeln abgewogen werden. Grundsätzlich lohnt sich ein Blick in die Studienlage zu den einzelnen Medikamenten. Besonders interessant ist, ob bereits Langzeitstudien vorliegen.