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Thomas Bernhard und seine Fans Wie sehr ein Autor seine Leser infizieren kann

Goethe-Verehrer pilgern nach Weimar, Literatur-Touristen wandern auf den Spuren von James Joyce in Dublin, Thomas Mann-Fans besuchen das Lübecker Buddenbrookhaus. Der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard hat in Bayern Liebhaber, die von der Thomasbernhardorteaufsuchkrankheit infiziert sind. Bernhard Setzwein besuchte diese erstaunlichen Menschen. Hörstück zum 30. Todestag von Thomas Bernhard am 12. Februar 2019.

Von: Bernhard Setzwein

Stand: 09.02.2019 | Archiv

Thomas Bernhard bei den Proben zur Uraufführung von "Die Berühmten". Akademietheater, Wien. (1976) | Bild: picture-alliance/dpa/IMAGNO/Barbara Pflaum

Zwar heißt es in Thomas Bernhards Opus magnum "Auslöschung" unmissverständlich: "Hüten Sie sich, die Orte der Schriftsteller aufzusuchen, Sie verstehen sie nachher überhaupt nicht", nichtsdestotrotz gibt es Leser dieses süchtig machenden österreichischen Schriftstellers, die genau dies tun müssen, weil sie nämlich unheilbar infiziert sind mit einer seltsamen Krankheit: der Thomasbernhardorteaufsuchkrankheit!

"Wir dürfen nicht nachlassen in unserer Intensität"

Thomas Bernhard (Weihnachten 1957/58)

Auch und gerade in Bayern gibt es Objekte für diese seltsame Begierde. Dazu gehören ganz sicher die sechs Jahre, die er in Traunstein verbrachte, eine Zeit, die der Autor in dem autobiographischen Buch "Ein Kind" Jahrzehnte später noch einmal auf beklemmende Art und Weise evozierte.

Darin ist die Rede vom erfolglos schriftstellernden Großvater Johannes Freumbichler, der im nahen Ettendorf lebte, vom Eisenbahnviadukt, bei den Traunsteinern als "Selbstmörderbrücke" bekannt, sowie vom Wohnhaus am Taubenmarkt, aus dessen Fenstern die Mutter - zur Schande des bettnässenden Sohnes - die vollgepinkelten Bettücher hängte.

Typische Thomasbernhardorte also, zu denen es einen kundigen Führer gibt: den Traunsteiner Realschullehrer Willi Schwenkmeier. Er ist genauso ein Thomasbernhard-verfallener wie die Mitglieder des Kreises "Passauer Thomas Bernhard Freunde". Sie muten ihrem Publikum sogenannte "Volltextlesungen" zu, zum Beispiel die ganze "Auslöschung" - 700 Seiten, vorgetragen nonstop an drei Tagen. Ihr Motto - natürlich ein Thomas-Bernhard-Zitat: "Wir dürfen nicht nachlassen in unserer Intensität."

Thomas Bernhard liebte es, Skandale zu provozieren

Thomas Bernhard, Provokateur aus Leidenschaft

Legendär sind die Skandale, die Thomas Bernhard provozierte, wenn es darum ging, daß ihm Literaturpreise verliehen werden sollten. 1972 war der Franz-Grillparzer-Preis an der Reihe, eine von rund einem Dutzend Auszeichnungen, die der Autor innerhalb eines Jahrzehnts bekam – ganz entgegen seiner später in Interviews gerne verbreiteten Darstellung erhielt Bernhard nämlich soviel österreichische Steuergelder wie kein zweiter seiner Kollegen.

Bei der Grillparzer-Preisverleihung jedenfalls war er der Meinung, daß er nicht mit dem gebührenden Respekt empfangen worden sei, und setzte sich deshalb, schwer erreichbar, mitten unters Publikum. Der Bitte, nach vorne zu kommen, leistete er erst Folge, nachdem der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sich höchstpersönlich zwischen den Stuhlreihen zu ihm vorgearbeitet hatte.

"Ein Preis wird einem immer nur von inkompetenten Leuten verliehen, die einem auf den Kopf machen wollen und die einem ausgiebig auf den Kopf machen, wenn man ihren Preis entgegennimmt ..."

... schrieb Bernhard später in der Erzählung "Wittgensteins Neffe", in der er die ganze Affäre ausbreitete.

"Und sie machen einem mit vollem Recht auf den Kopf, weil man so gemein und so niedrig ist, ihren Preis entgegenzunehmen. Nur in der äußersten Not und in Lebens- und Existenzbedrohung und nur bis vierzig hat man ein Recht, einen mit Geldbetrag verbundenen oder überhaupt einen Preis oder eine Auszeichnung entgegenzunehmen."

Die Thomasbernhardorteaufsuchkrankheit

Bernhard Setzwein besuchte all diese erstaunlichen Literatur-Liebhaber und spürt am Ende seiner Reise selbst schon erste Anzeichen einer Thomasbernhardorteaufsuchkrankheit.

Wiederholung einer Sendung aus dem Jahr 2008 - zum 30. Todestag von Thomas Bernhard am 12. Februar 2019.

Veranstaltungshinweis:

Lesung: Thomas Bernhard Freunde Passau
"... es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt"
zum 30. Todestag Thomas Bernhards


Thomas Bernhard, am 9. Februar 1931 geboren, starb am 12. Februar 1989.
Anlässlich des 30. Todestages erinnern die Passauer Thomas-Bernhard-Freunde an das umfangreiche Gesamtwerk eines der größten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart, beginnend mit den journalistischen Arbeiten, gefolgt von seiner Lyrik, sowie seiner Prosa und  den Theaterstücken. Dabei wird auch eher selten Vernommenes zu hören sein.

Heute zählt Thomas Bernhards Werk zweifellos zur Weltliteratur, seine Bücher sind in ca. 45 Sprachen übersetzt. Wie sagte er doch einmal in einem Interview? Er schreibe immer, "was niemand schreibt" und "Ich hab' praktisch eh alle gegen mich" - uns nicht, ganz im Gegenteil!

Termin: Di, 12. Februar 2019, 20:00 Uhr
Adresse: Bräugasse 17 | 94032 Passau
Eintritt: FREI
Website:
www.cafe-museum.de

Buchtipps:

Auslöschung: Ein Zerfall

  • Autor: Thomas Bernhard
  • Taschenbuch: 651 Seiten
  • Verlag: Suhrkamp Verlag; Auflage: 15 (28. August 1988)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 9783518380635
  • ISBN-13: 978-3518380635
  • ASIN: 351838063X


Städtebeschimpfungen

  • Autor: Thomas Bernhard
  • Herausgeber: Raimund Fellinger
  • Taschenbuch: 178 Seiten
  • Verlag: Suhrkamp Verlag; Auflage: 3 (12. Dezember 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3518460749
  • ISBN-13: 978-3518460740


Ein Kind

  • Autor: Thomas Bernhard
  • ISBN: 3701715629 
  • EAN: 9783701715626 
  • Verlag: Residenz Verlag
  • Lesebändchen. 5. Oktober 2010 - gebunden - 113 Seiten


Thomas Bernhard. Werke: 22 Bände

  • Autor: Thomas Bernhard
  • Taschenbuch: 10324 Seiten
  • Verlag: Suhrkamp Verlag; Auflage: 1 (12. Februar 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3518468502
  • ISBN-13: 978-3518468500

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