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Kolorektales Karzinom Therapiemethoden bei Darmkrebs

Jährlich erkranken über 60.000 Menschen in Deutschland an Darmkrebs. Das sogenannte kolorektale Karzinom ist bei Frauen die zweithäufigste, bei Männern die dritthäufigste Tumorform. Besonders oft treten Tumoren im Enddarm auf. Diagnostiziert wird Darmkrebs zumeist im Rahmen einer Darmspiegelung beim Gastroenterologen.

Von: Susanne Dietrich

Stand: 31.05.2022

Symbolfoto: Ein Therapiepass ist zu sehen, darauf verteilt unterschiedliche Tabletten. | Bild: picture-alliance/dpa

Die Therapie erfolgt idealerweise an einem zertifizierten Darmkrebszentrum, an dem Ärzte verschiedener Fachdisziplinen gemeinsam einen individuellen Behandlungsplan für Betroffene erstellen und sich regelmäßig abstimmen.

Experte:

Prof. Dr. Jens Werner, Chirurg und Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie der Ludwig-Maximilians-Universität München

Dank moderner Therapiemethoden – medikamentös und operativ – ist Krebs im Dick- oder Enddarm in vielen Fällen heilbar: Bei frühen Tumorstadien liegt die Wahrscheinlichkeit, wieder gesund zu werden, bei über 90 Prozent, bei fortgeschrittenen Stadien bei rund 70 Prozent.

Der Text beruht auf einem Gespräch mit Prof. Dr. Jens Werner, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie der Ludwig-Maximilians-Universität München.

An einem zertifizierten Darmkrebszentrum arbeiten Ärzte verschiedener Fachrichtungen in einem sogenannten Tumorboard zusammen. Grundlage für die Behandlung ist meist die Diagnose des Gastroenterologen, der im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung eine Darmspiegelung vorgenommen hat. Während der Spiegelung wird von auffälligen Befunden in der Regel eine sogenannte Biopsie, eine Gewebeprobe des Darms, entnommen und durch den Pathologen untersucht. So ist eine Unterscheidung von gut- und bösartigen Wucherungen möglich.

Zudem können unterschiedliche Symptome (beispielsweise Blutungen, Darmverschluss oder Schmerzen) auf Darmtumoren hinweisen, die weitergehende Untersuchungen und manchmal auch Notfallmaßnahmen inklusive Operationen notwendig werden lassen. 

"Eine gute Diagnostik ist für eine an das Tumorstadium angepasste Therapie essenziell. Auf Basis von Gewebeprobe und Bildgebung kann festgestellt werden, wie weit der Tumor fortgeschritten ist und ob Organ- oder Lymphknoten-Metastasen bestehen. Im Tumorboard wird dann mit allen Fachdisziplinen festgelegt, wie der Patient behandelt werden kann. Dann kommen die Therapeuten ins Spiel: Einerseits der Strahlenonkologe und der Onkologe, die Bestrahlung und Chemotherapie einleiten – und andererseits der Chirurg, der die Operation vornimmt."

Prof. Dr. Jens Werner

Ein zentraler Begriff in diesem Zusammenhang ist die "Personalisierte Medizin" oder "Personalisierte Onkologie". Das bedeutet: Für jede Patientin und jeden Patienten wird ein individueller Behandlungsplan ausgearbeitet, der festlegt, welche medizinische Fachrichtung zu welchem Zeitpunkt tätig wird und wie eine gute Lebensqualität und eine Heilung erreicht werden können.

"Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle – etwa das Tumorstadium, die molekulare Charakterisierung des Tumors und der Gesamtzustand des Patienten. Vor allem aber auch: Was möchte der Patient? Seine Wünsche und Erwartungen müssen immer mitberücksichtigt werden. Personalisierte Medizin ist nichts Abstraktes, sondern das, was man unter Arzt-Patienten-Beziehung versteht – mit ganz modernen Möglichkeiten."

Prof. Dr. Jens Werner

Darmpolypen, also Schleimhaut-Auswölbungen, die noch keine Tumoren sind, sind zumeist ungefährlich. Sie werden während der Früherkennungs-Darmspiegelung abgetragen und benötigen dann keine weitere Maßnahmen. Kleinere Tumoren, die mit einer geringen Wahrscheinlichkeit Metastasen, also Absiedlungen in Lymphknoten oder anderen Organen entwickelt haben, können häufig ebenfalls während der Darmspiegelung lokal entfernt werden. Kleinere Enddarmtumoren trägt der Chirurg meist über einen Eingriff durch den Schließmuskel ab. Sind die Tumoren weiter fortgeschritten, unterscheidet man in der Therapie zwischen Dickdarm- und Enddarmkrebs.

"Dickdarmkrebs, der nicht metastasiert ist, wird eigentlich immer primär operiert und muss nicht vorbehandelt werden. Wenn Lymphknoten befallen sind, wird nach der Operation eine Chemotherapie durchgeführt. Beim Enddarmkrebs – und das ist der häufigste Darmkrebs – muss dagegen häufig vorbehandelt werden, etwa wenn der Tumor besonders groß ist oder nah an den Schließmuskel heranreicht."

Prof. Dr. Jens Werner

Vor der Operation erhalten Patientinnen und Patienten mit einem fortgeschrittenen Enddarmtumor eine Chemotherapie oder eine Kombination aus Bestrahlung und Chemotherapie, um den Tumor zu verkleinern.

"Zweck einer Operation ist es immer, die körperlichen Funktionen – etwa die sexuelle und die Blasen-Funktion – zu erhalten. Man kann so auch in einigen Fällen einen dauerhaften künstlichen Darmausgang vermeiden. Durch die Vorbehandlung schrumpft der Tumor und man kann ihn durch die Operation effizient entfernen."

Prof. Dr. Jens Werner

Die Zytostatika, die bei Chemotherapien verwendet werden, hemmen das Tumorwachstum, greifen aber auch gesunde Körperzellen an, die sich schnell vermehren – etwa Zellen der Schleimhäute, Haare oder der Haut. Daher kann es während der Chemotherapie zu Nebenwirkungen wie Durchfall, Entzündungen der Mundschleimhaut, Haarausfall oder Blutbildveränderungen kommen. Auch eine Strahlentherapie ist häufig nicht nebenwirkungsfrei. Während und nach einer Bestrahlung des Bauchraums können Müdigkeit, Übelkeit oder Durchfall auftreten. Diese Nebenwirkungen sind jedoch zumeist vorübergehend und lassen sich medikamentös lindern.

Als Immuntherapie werden Behandlungsmethoden bezeichnet, die das Immunsystem für die Krebsbekämpfung nutzen. Dabei werden durch bestimmte Medikamente, die meist als Infusion verabreicht werden, die Abwehrkräfte des Körpers so gestärkt, dass sie sich gezielt gegen Tumorzellen richten und die Wucherungen zerstören können.

Eine Immuntherapie ist allerdings nicht für alle Menschen mit Darmkrebs sinnvoll. Bei Erkrankten mit einer sogenannten Mikrosatelliteninstabilität (MSI), die als Schädigung bestimmter DNA-Reparaturproteine definiert ist, schlägt sie jedoch häufig gut an. Die Anzahl der Patienten mit MSI hängt vom Tumorstadium ab und liegt bei fünf bis 20 Prozent. Den Ärzten stehen aktuell sogenannte Inhibitoren des PD1-Rezeptors zur Verfügung, die bewirken, dass körpereigene Abwehrzellen die Krebszellen erkennen und bekämpfen können.

"Patientinnen und Patienten die mikrosatelliteninstabil sind, lassen sich auch im metastasierten Stadium gut mit einer Immuntherapie behandeln. Auch bei großen, fortgeschrittenen lokalen Tumoren könnte man diese Behandlung anwenden. Wenn jedoch keine Mikrosatelliteninstabilität besteht, macht die Immuntherapie keinen Sinn."

Prof. Dr. Jens Werner

Eine Immuntherapie wird zu Beginn der Krebsbehandlung oder in Studien auch nach erfolgreicher operativer Therapie in Kombination mit konventioneller Chemotherapie durchgeführt. Sie kann ein langsameres Tumorwachstum, manchmal sogar ein Verschwinden des Tumors bewirken.

"Erste Ergebnisse kleinerer Studien legen nahe, dass in Zukunft nach einer Kombination von Chemotherapie und Immuntherapie in manchen Fällen gegebenenfalls keine Operation mehr notwendig sein wird."

Prof. Dr. Jens Werner

Darmkrebs wird in der Regel minimalinvasiv nach dem sogenannten Schlüssellochprinzip operiert. Das bedeutet: Statt einen großen Schnitt vorzunehmen, werden Instrumente über mehrere kleinere Schnitte in den Bauchraum eingeführt. Im Anschluss an diese Form des Eingriffs haben Patientinnen und Patienten zumeist weniger Schmerzen und einen schnelleren Heilungsverlauf.

Klassischerweise erfolgt eine minimalinvasive Operation mit einem sogenannten Laparoskop. Hierbei wird mit dünnen Geräten, an deren Spitze Kamera oder Instrumente eingearbeitet sind, operiert. Zunehmend häufig werden statt einer Laparoskopie moderne Operations-Roboter eingesetzt. Bei diesen Telemanipulatoren werden die Instrumente für die Operation vom Chirurg über eine Konsole bedient.

"An der Konsole sitze ich als Chirurg bequemer, habe eine bessere Vergrößerung und damit bessere Sichtverhältnisse – das geht bis zu 16-facher Vergrößerung. Außerdem besteht aufgrund der feineren und beweglicheren Instrumente eine wesentlich höhere Bewegungsfreiheit. Die Robotik bietet damit die Möglichkeit, sehr sicher zu operieren. Erste Studien zeigen, dass man gerade bei großen Tumoren in der Nähe des Schließmuskels exakter operiert als mit dem Laparoskop."

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Auch weitere technologische Neuerungen, die zum Teil an den Universitäten weiterentwickelt werden, sind an manchen Darmkrebszentren bereits im Einsatz. So können mit Hilfe des sogenannten Neuromonitorings Nerven von Blase oder Prostata besser sichtbar gemacht und damit geschont werden. Auch Fluoreszenzfärbungen mit dem Farbstoff ICG ermöglichen eine exakte Definition von Operationsschichten und helfen, die Durchblutung der Darmabschnitte besser einzuschätzen. Dank dieser Techniken können die Komplikationsraten der Darmchirurgie immer mehr gesenkt und die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten verbessert werden. 

In manchen Fällen ist der Tumor allerdings weit fortgeschritten und wird dann sicherer konventionell über einem Bauchschnitt entfernt. Diese OP-Technik wird beispielsweise dann angewendet, wenn komplexe Metastasierungen bestehen oder Infiltrationen anderer Organe vorliegen, der Krebs also beispielsweise bereits auch in Prostata oder Blase eingedrungen ist.

"Gleiches gilt für Tumoren, bei denen schon Krebszellen im Bauchraum verteilt sind, also eine sogenannte Peritonealkarzinose besteht. Auch diese Situation ist potenziell heilbar. Die Tumorzellabsiedlungen können heute in einigen Fällen entfernt und der Bauchraum anschließend mit einer Chemotherapie-Lösung behandelt werden. Aber derart komplexe Operationen sind nur an wenigen Darmkrebszentren in Deutschland möglich."

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Um die Heilungschancen der Darmnähte zu verbessern, erhalten Patientinnen und Patienten nach Enddarm-Operationen von Tumoren, die knapp am Schließmuskel lokalisiert waren, einen vorübergehenden Darmausgang, ein sogenanntes Schutzstoma über den Dünndarm.

"Dieses Stoma wird in der Regel für drei Monate belassen, um die Einheilung des Darmes zu gewährleisten, ohne dass Stuhl über die Operationsnaht läuft. Ein Dünndarmstoma kann manchmal zu hohen Wasserverlusten führen – deswegen gibt man in dieser Zeit dann Medikamente, die den Stuhl regulieren beziehungsweise eindicken."

Prof. Dr. Jens Werner

Bei Menschen mit einem vorübergehenden Dünndarmstoma fällt die Funktion des Dickdarms weg, der dem Stuhl Wasser entzieht und ihn fest werden lässt. Deswegen sollten sie keine Nahrungsmittel zu sich nehmen, die abführend wirken. Eine Ernährungsberatung kann während und nach einer Darmkrebstherapie unterstützend wirken.

Allerdings sind Einschränkungen bei der Ernährung während und nach den meisten Darmkrebsbehandlungen nur vorübergehend. Wenn die Therapie abgeschlossen ist beziehungsweise ein künstlicher Darmausgang nach einigen Monaten wieder zurückverlegt wird, können die Betroffenen wieder ganz normal essen. Denn Abschnitte des Dick- oder Enddarms, die bei Tumoroperationen entfernt werden, kann der Körper kompensieren. Ein dauerhafter künstlicher Darmausgang ist nur dann notwendig, wenn der Tumor sich trotz Vorbehandlung auf den Schließmuskel oder den Beckenboden ausgebreitet hat, sodass der Enddarm zusammen mit dem Schließmuskel entfernt werden muss.

Das Wiederauftreten eines Darmtumors kann durch eine effektive Therapie in vielen Fällen verhindert werden, jedoch nicht zu 100 Prozent. Nach einer erfolgreichen Krebsbehandlung ist deswegen eine regelmäßige Nachbetreuung essenziell, um erneut auftretende Tumoren oder Metastasen möglichst frühzeitig zu erkennen und therapieren zu können.

"In der Regel gibt es beim Darmkrebs einen Nachsorgepass, in dem klar festgelegt wird, wie oft man zur Nachuntersuchung kommen sollte. Dies hängt vom Krankheitsstadium und von der individuellen Wahrscheinlichkeit des Wiederauftretens eines Tumors ab, dem sogenannten Rezidivrisiko. Die Nachsorgeintervalle können zwischen drei und zwölf Monaten variieren."

Prof. Dr. Jens Werner

Da diese Krebsform inzwischen gut erforscht ist, sind Tumoren im Dick- und Enddarm heute häufig heilbar – nicht nur die frühen Stufen, sondern auch fortgeschrittene und sogar metastasierte Stadien.

"Im frühen Tumorstadium liegen die Heilungschancen beim Dickdarm- und beim Enddarmkrebs nach einer erfolgreichen Operation bei über 90 Prozent. Im fortgeschrittenen Stadium sind es beim Dickdarmkrebs 70 bis 80 Prozent und beim Enddarmkrebs 60 bis 70 Prozent. Haben sich bereits Metastasen entwickelt, liegt die Wahrscheinlichkeit, wieder ganz gesund zu werden, immer noch bei etwa 50 Prozent."

Prof. Dr. Jens Werner