Prokofjew in Ettal "Wo die Glocken meine Füße lockten ..."
Im Jahr 1922 zog der Komponist Sergej Prokofjew, des Großstadtlebens überdrüssig, nach Ettal. In den eineinhalb Jahren, die er dort lebte, verfasste er mehrere Werke, widmete sich der Hühnerzucht – und heiratete seine Geliebte Lina Codina.
In Paris und New York feierte der russische Komponist große Erfolge. Aber Sergej Prokofjew fühlte sich bald überfordert von "all der Aufregung". Er suchte einen stillen und billigen Rückzugsort. Und fand ihn im oberbayerischen Ettal am Fuß der Ammergauer Alpen.
Das Enfant terrible der modernen Musik
Anfang März 1922 bezog der 30-jährige Künstler mit seiner Mutter die "Villa Christophorus" in der Werdenfelserstraße 6. Dass das Enfant terrible der modernen Musik in dem abgeschiedenen Klosterdorf mit der "Fünften Klaviersonate C-Dur" ein geradezu pastoral klingendes Werk verfasste, verwundert nicht.
"Ich kann hier sitzen, mir ruhig die Zeit vertreiben und dicke Werke schreiben."
(Sergej Prokofjew)
Es dauerte eine Weile, bis er sich ein eigenes Klavier beschafft hatte. Ansonsten war die Villa Christophorus bereits bestens ausgestattet, als Sergej Prokofjew hier im Frühjahr 1922 einzog.
Es gab eine wohl sortierte Bibliothek, gemütliche Sofas, elektrisches Licht und sogar ein Badezimmer mit fließend kaltem Wasser. Das Haus, das einer Münchner Familie gehörte, erfüllte moderne Standards. Im Wohnzimmer sorgt der alte grüne Kachelofen heute noch für anheimelnde Wärme.
"Der feurige Engel"
"Der feurige Engel", Oper von Sergej Prokofjew in einer Aufführung der Komischen Oper Berlin (Januar 2014)
Allerdings arbeitete er hier auch an der bizarren Oper "Der feurige Engel", die in einem satanistischen Exzess unter Nonnen gipfelt.
Wollte der Komponist, der gerne in der Gegend herumwanderte, ein teuflisches Gegenstück zu den Passionspielen im nahen Oberammergau schaffen?
Die junge Sängerin Carolina Codina jedenfalls, die ihn regelmäßig in Ettal besuchte, trug eher zur bürgerlichen Konsolidierung bei. Kurz bevor Prokofjew im Dezember 1923 den Ort für immer verließ, heiratete er die von ihm schwangere Geliebte.
Wie Lina Codina trotz Glockengläut auf dem Weg hinter dem Kloster schwanger wurde
Sergej und Lina wanderten viel in der Gegend herum. Sie bestimmten Pflanzen oder diskutierten über Mystik und andere heiße Themen rund um den "feurigen Engel". Waren es wirklich "die Glocken, die hier Prokofjews Füße lockten", wie ein deutscher Musikwissenschaftler behauptet?
Oder handelt es sich um einen Übersetzungsfehler? In der englischen Version des betreffenden Prokofjew-Briefes ist nämlich von "clouds", also Wolken, die Rede, die den Komponisten immer wieder hinaus in Wälder und Berge zogen. Der Abt von Kloster Ettal jedenfalls meint:
"Es haben die Glocken sicher am frühen Morgen, mittags, am frühen Abend und am späteren Abend geläutet. Ich denke, mindestens viermal am Tag und an Feiertagen öfters. Und da kann es durchaus Situationen gegeben haben an hohen Feiertagen mit sehr intensivem Glockengeläut."
Hans Dieter Conrady, der Nach-Nachmieter Prokofjews in der Ettaler Villa, fühlt sich als überzeugter Katholik hier pudelwohl. Aus gesundheitlichen Gründen spaziert er täglich um die Klosteranlage herum. Oft denkt er dabei an ...
"Die Spaziergänge von Prokofjew über den Enzianweg und den Höhenweg, wo er dann seine damalige Freundin, die Lina, mitgenommen hat, weil er im Haus ja keine Gelegenheit hatte, ihr näher zu kommen. Er hat sie wohl auf dem Höhenweg hinter dem Kloster geschwängert."