Achtsamer Kapitalismus Warum Wokeness auch Schattenseiten haben kann
Peter Fox besingt die pinke Zukunft, Deichkind weinen im Bentley, Amazon fördert „Body Positive Peers“. Über das neue, kommerzielle Interesse an progressiven Themen wird gestritten. Einige feiern den Fortschritt, andere warnen vor den Schattenseiten des „woken Kapitalismus“.

Liebe für alle, Frauen rulen die Welt! Alles wird gut mein Kind, die Zukunft wird pink, bunt, divers, klimafreundlich, vegan, fair trade und queer! Und das geht auch im Kapitalismus! So lautet nicht nur das Versprechen von Peter Fox in seinem neuen Song „Zukunft Pink“, sondern auch das der modernen, achtsamen Wirtschaftswelt. Allem Anschein nach setzen die Firmen mehr und mehr progressive Talkingpoints um. Amazon zum Beispiel fördert „Body Positive Peers“, Nike verbündete sich mit antirassistischen Aktivist*innen und wirbt mit Football-Star Colin Kaepernick. Und selbst, die Klima-Krise zu bewältigen, traut man den Konzernen mittlerweile zu. Bundeswirtschaftsminister Habeck träumt von einem grünen Brutto-Inlandsprodukt.
Der Streit um den achtsamen Kapitalismus
Der Organisationwissenschaftler Carl Rhodes von der technischen Universität Sidney nennt diese Entwicklung „Woke Capitalism“. Achtsamer Kapitalismus. Ja, das Wort Wokeness sei ein politischer Zankapfel. Ursprünglich war es das antirassistische Bewusstsein gewesen, mittlerweile gilt der Begriff aber universeller und beschreibt im Grunde progressive Verhaltensweisen. Rhodes weiter: „Das ist ein Phänomen unserer Gegenwart. Große Unternehmen, CEOs und in manchen Fällen sogar Milliardäre unterstützen politische und soziale Themen öffentlich und finanziell, die man eigentlich der progressiven Linken zuordnen würde.“ Obwohl Rhodes sich als progressiver Theoretiker mit vielen dieser Themen identifiziert, warnt er: „Das große Risiko, wenn Unternehmen sich für diese Themen einsetzen, ist folgendes: Sie tun das meistens nur in einem sehr engen Rahmen. Und das sind meistens die Themen, bei denen sich sowieso schon alle Progressiven einig sind. Das Problem ist aber, dass dadurch viele, sehr wichtige Kritikpunkte progressiver Bewegungen aus dem Fokus geraten. Und klar, es sind natürlich die Kritikpunkte, die die Wirtschaft selbst betreffen.“ Was Rhodes meint: Kaum ein Konzern thematisiert gern die eigenen Steuersünden. Amazon Chef Jeff Bezos zum Beispiel zahlt kaum welche, und der Konzern unterbindet bei seinen Mitarbeitern – trotz aller Solidarität mit Body Positivity – die Teilnahme an gewerkschaftsnahen Veranstaltungen.
Diversity in Unternehmen? Nicht nur kritikwürdig
Schlechte Aussicht für die Demokratie also im achtsamen Kapitalismus? Die Ansicht teilt nicht jeder. Viele Menschen finden es wichtig, dass Konzerne das Thema Diversität auf den Schirm bekommen. Mit dem „Diversity Management“ hat sich ein Wirtschaftszweig herausgebildet, der damit wirbt, dass Unternehmen mit diversen Teams effizienter arbeiten. Darin arbeitet zum Beispiel Martha Dudzinksi. Sie hat die SWANS-Initiative ins Leben gerufen. Ein Netzwerk für junge Berufstätige mit Zuwanderungsgeschichte, schwarze Frauen und Women of Color. Dudzinski sagt: „Wenn wir uns für eine Demokratie halten, wenn wir unsere Gesellschaft für gerecht halten, dann muss das auch unser Arbeitsmarkt wiederspiegeln. Das muss bedeuten, wenn jede Person die gleichen Chancen hat in Deutschland, dann muss auch die Wahrscheinlichkeit da sein, dass die Hälfte der Bevölkerung, die weiblich ist, dieselben Chancen hat, nach oben zu kommen. Und dann müssen auch 25 Prozent der Menschen, die eine Einwanderungsgeschichte haben, zu einem Viertel oben repräsentiert sein.“ Dass Unternehmen sich zum Beispiel antirassistisch engagieren, hält Dudzinski nicht nur für Fassade, sondern für notwendig. Denn aktuell sei die Diversität in den Konzernen noch viel zu gering.
Rassismus in der Arbeitswelt
Wie nötig eine Verbesserung sei, zeigen die Geschichten betroffener Frauen, erzählt Dudzinski: „Es fängt an mit rassistischen Fragen im Bewerbungsgespräch. Da wirst du gefragt, gerade, wenn du als muslimisch wahrgenommen wirst, ob dir das dein Vater erlaubt, ob dir das dein Bruder erlaubt, da werden deine Deutschkenntnisse in Frage gestellt. Wenn du ein Kopftuch trägst, dann wirst du gebeten es erstmal abzunehmen. Und im Job geht es dann weiter. Dir wird alles abgesprochen, was du kannst. Du bist ja hier nur die Quotenmigrantin, du bist ja die Quotenfrau und dann wird dir deine ganze Diskriminierungserfahrung vor die Füße geworfen und es wird so getan, als ob du jetzt plötzlich bevorzugt wirst auf dem Arbeitsmarkt.“
Ist es die Aufgabe von Konzernen, diese Themen zu besetzen?
Carl Rhodes dagegen glaubt, dass diese strukturellen, tief in der Gesellschaft verwurzelten Probleme von Politik und Zivilgesellschaft gelöst werden müssen, nicht von den Konzernen. Denn die nutzen solche Debatten immer erst dann für sich aus, wenn sie nichts mehr zu verlieren haben. „Die richtigen Aktivisten erkennt man daran, dass sie diese Risiken auf sich nehmen. Die Konzerne kommen immer erst am Ende, wenn die harte Arbeit getan ist und es sich finanziell lohnt“, sagt er. Außerdem findet der Organisationswissenschaftler, könne man es mit der Demokratie auch bleiben lassen, wenn man Konzernen die progressiven Themen überlasse. Denn dann sei das, was am Ende dabei herauskomme, abhängig von willkürlichen Investments einiger Milliardäre und getrieben von Profitinteressen. Es könne mal sein, dass man sich damit identifiziere, aber was wenn nicht? Was Unternehmen zu einer „wokeren“ Welt wirklich beitragen könnten? Sich weniger mit Diversität schmücken, sondern stattdessen angemessen Steuern und faire Löhne bezahlen, meint Rhodes.
Noch ausführlicher mit dem Thema „Achtsamer Kapitalismus“ setzt sich das Nachtstudio auseinander. Darin zu hören: Unter anderen Carl Rhodes und Martha Dudzinski, aber auch die Kulturtheoretikerin Catherine Liu, die den Aufstieg der Achtsamkeit mit dem einer neuen politischen Klasse in Verbindung bringt und die Diversitäts-Trainerin Floria Moghimi, die in großen Konzernen Anti-Rassismus-Trainings gibt.