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„ACAB“ Woher die Parole kommt, und was sie mit Popkultur zu tun hat

Nachdem Grüne-Jugend-Chefin Jette Nietzard im „ACAB“-Pulli posierte, ist der Wirbel groß. Doch woher kommt die Parole, was hat sie mit Popkultur zu tun – und was mit Neonazis? Eine Kulturgeschichte.

Von: Paula Lochte

Stand: 28.05.2025 | Archiv

Slime - die deutsche Punk-Band mit Saenger Dirk Dicken Jora bei einem Konzert auf der Jolly Joker-Buehne beim 827. Hafengeburtstag in Hamburg am 08.05.2016. | Bild: picture alliance / Jazzarchiv | Jazz Archiv/Michi Reimers

Kleiner Schriftzug, große Aufregung: Nachdem die Grüne-Jugend-Chefin Jette Nietzard ein Selfie in blaugrünem Pulli gepostet hat, steht sie in der Kritik. Sie wird zur Entschuldigung aufgefordert, auch aus ihrer eigenen Partei. „ACAB“, auch mit der Zahlenfolge „1312“ abgekürzt, steht für „All Cops Are Bastards“ – frei übersetzt „Bullen sind Schweine“. Aber woher kommt die Parole, was hat sie mit Popkultur zu tun, und was mit Neonazis? Eine kleine Kulturgeschichte. 

Die Anfänge: Gefängnis-Graffiti und Ganoven

Eine Gefängniszelle im Großbritannien der 1970er Jahre. Festgenommen bei einem Streik, findet sich plötzlich ein Journalist aus Newcastle in dieser für ihn unbekannten Umgebung wieder. Die Wände sind vollgekritzelt. „A.C.A.B. – was bedeutet das?“, fragt er einen erfahreneren Häftling. „All coppers are bastards“, antwortet der. „Coppers“ ist die Langform von „Cops“ und im britischen Englisch gebräuchlich.  

Während Polizisten das Akronym heute, auf Pullis oder anderswo, schnell zu entschlüsseln wissen, war die Bedeutung der vier Buchstaben damals nur Eingeweihten bekannt. Zu diesen gehörte fortan auch der Journalist und Gefängnisnovize. Und da der sein Aha-Erlebnis schriftlich festgehalten hat, lässt sich sicher sagen: Die Abkürzung kursiert spätestens seit den Siebzigern.  

Der ganze Satz ist laut „Dictionary of Catch Phrases“ allerdings älter. Dessen Autor, der 1894 geborene Slang-Experte Eric Partridge, hat ihn Ende der 1920er Jahre zum ersten Mal gehört und verortet seinen Ursprung unter Gangstern und Ganoven. Andere schreiben den Satz und dessen Abkürzung der britischen Arbeiterbewegung der 1940er zu.  

Und jetzt mit Musik: Arbeiterkinder, David Bowie und Punks

„I’ll sing you a song, it’s not very long: All coppers are bastards.“ – laut Slang-Chronist Partridge ist dieser Reim eine der frühsten Verwendungen der Parole. Genau diese Zeilen singt in den Fünfzigern auch eine Gruppe Londoner Arbeiterkinder, als sie an einem Polizisten vorbeikommen. Das belegt eine Doku, die das Vice-Magazin ausgegraben hat. Spätestens dann war der Satz also nicht mehr nur Ganovenslang. In den Sechzigern greift auch David Bowie die Parole auf, leicht abgeschwächt: „All coppers are nanas“ (also Trottel), textet er im Song „Over The Wall We Go“, der von einem Gefängnisausbruch erzählt.   

Als sich ab den Siebzigern Punks gegen Autoritäten und Staatsgewalt auflehnen, scheint die Parole wie für sie gemacht. Besonders beliebt ist sie im von der Arbeiterklasse geprägten Subgenre Oi! – und besonders bekannt der 1982 veröffentlichte Song „A.C.A.B“ von der Band 4 Skins:  

"Copper come up say what's the matter with you. Now they see what we can do. Next thing I know, I was in a cell. All my mates were there as well said: A.C.A.B, A.C.A.B, A.C.A.B. All cops are bastards."

Aus dem Song ‚A.C.A.B.‘ von The 4 Skins

Die deutsche Punkband Slime war sogar ein Jahr früher dran: 1981 releast sie den gleichnamigen Song „A.C.A.B.“ Im Refrain singen sie über Angst vor Polizisten, Recht und Ordnung: „They say it's law and order but we live in fear/ Fuck off cops, get out of here/ All cops are bastards.“ Unzählige Punksongs folgten. Neben Graffiti, Mode und Tattoos hat Musik die vier Buchstaben um die Welt getragen. Von den Punkbands haben Polizeivertreter und Grünen-Politiker allerdings bisher keine Entschuldigung gefordert.

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Die Parole „ACAB“ ist auch bei Neonazis beliebt

„ACAB“ ist auch in anderen Subkulturen seit langem etabliert. Darunter Hooligans und Skinheads – auch rechtsextreme. Die US-Nichtregierungsorganisation Anti-Defamation League, die sich gegen Hetze einsetzt, schreibt in ihrem Wörterbuch des Hasses: „ACAB ist ein langjähriger Slogan in der Skinhead-Subkultur. Da sowohl nicht-rassistische Skinheads als auch rassistische Skinheads das Akronym verwenden, muss jedoch immer der Kontext einbezogen werden.“ In Deutschland hatte sich zweitweise die unter Hools und Neonazis beliebte Marke Troublemaker die Rechte an der Chiffre „ACAB“  gesichert und etwa auf T-Shirts gedruckt.

Strafbar oder von der Meinungsfreiheit gedeckt? 

Das Bundesverfassungsgericht hat 2016 entschieden, dass die Parole nicht immer strafbar ist: Sie ist nur dann eine Beleidigung, wenn sie sich konkret an einen oder mehrere Polizisten richtet. In ihrer allgemeinen Form ist sie von der Meinungsfreiheit gedeckt. Was aber schnell vergessen wird bei einem flapsig daher gesagten „ACAB“ oder „Alle Bullen sind Schweine”: Der Slogan macht Polizisten verächtlich – und entmenschlicht sie auch. Das kann in Gewalt umschlagen, wie bei der Terrororganisation RAF. Ulrike Meinhof 1970 in einem Spiegel-Interview, kurz nachdem sie in den Untergrund abgetaucht war:

"Wir sagen natürlich, die Bullen sind Schweine, wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen. Das heißt wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden, und natürlich kann geschossen werden."

Ulrike Meinhof, 1970  

Harmlos oder gefährlich? ACAB kann alles sein 

Grüne-Jugend-Chefin Jette Nietzard

Ist das Akronym „ACAB“ und die Parole, für die es steht, nun also gefährlich oder harmlos, links oder rechts? Beides. Oder genauer gesagt: alles. Es kursieren auch augenzwinkernde Umdeutungen der Abkürzung. Die österreichische Band „Ja, Panik“ löst ihren Song „ACAB“ etwa auf mit den Worten: „All cats are beautiful.“ Und die Bundespolizei selbst plakatierte 2023 den Slogan: „All Cops Are Beautiful.“   

Auf ihrem viel kritisierten Selfie trägt Grüne-Jugend-Chefin Jette Nietzard übrigens auch eine Kappe mit der Raupe Nimmersatt darauf – und dem Schriftzug: „Eat the rich.“ Aber das ist eine andere Geschichte.