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Your Stalker’s Playlist Wie Popkultur Beziehungsgewalt romantisiert

Songs, die dir in den Nacken atmen. Hits, die geschundene Frauenkörper besingen. Willkommen auf der problematischen Seite des Pop. Sonja Peteranderl, Maren Kling und Ann Weller aka Cheap Wedding recherchieren die ultimative Stalking-Playlist und erklären, warum Nick Cave progressiver ist, als Sting und ChatGTP.

Von: Eva Deinert

Stand: 30.05.2025 | Archiv

Sting | Bild: Martin_Kierszenbaum

Every breath you take 
And every move you make 
Every bond you break, every step you take 
I'll be watchin' you. 

Die paar Zeilen reichen aus, um Sting und The Police gleich im Ohr zu haben und vielleicht mitzuwippen und mitzusingen. Aber vielleicht sollte man die Zeilen, übersetzen. Gerade bei englischen Hits und Ohrwürmern nimmt man vielleicht nicht gleich wahr, worum es geht. Denn das, was da besungen wird, ist Stalking.

Jeden Atemzug, den du nimmst,  
jede Bewegung, die du machst,  
jedes Band, das du brichst, jeden Schritt, den du gehst,  
Ich werde dich beobachten.

Von welcher Gewalt singt Pop?

Sonja Peteranderl, Maren Kling und Ann Weller auf der Republica 2025

"Every breath you take" ist aber nur einer von vielen Songs der Popkultur über Obsession, Liebe bis in den Tod und Gewaltfantasien. Journalistin Sonja Peteranderl und die Musikerinnen Maren Kling und Ann Weller aka Cheap Wedding gefunden haben gezielt nach Stücken gesucht, die Beziehungsgewalt verherrlichen und verharmlosen. Dabei sind sie auf viele Beispiele gestoßen: Beatles "Run for your life", Elvis "Western Union", Maroon 5 "Animals" oder Death Cab for Cutie ("I Will Possess Your Heart") sind einige der Beispiele.  

In der Popkultur wird Liebe romantisch verklärt. "Es gilt als romantisch und stark und eben auch männlich, um jemanden zu kämpfen, auch wenn diese Person Nein sagt", sagt Maren Kling über "Every breath you take". Damit wird das Verhalten verharmlost. Dabei prägt gerade die Popkultur in Form von Serien, Musik und Filmen auch unsere gesellschaftliche Vorstellungen davon, was dann Stalking ist. Und das kann am Ende gefährlich sein, sagt Journalistin Sonja Peteranderl, die schon viel zu Beziehungsgewalt und Femiziden recherchiert und geschrieben hat:

"Viele der Betroffenen erkennen einfach gar nicht - weil sie selbst diese Stalking-Klischees im Kopf haben - dass sie auch betroffen sind und gerade Beziehungsgewalt erleben. Und Stalking hat viele Formen: Lovebombing, jemand legt vielleicht Rosensträuße überall ab. Aber es wird einfach immer noch romantisiert, dass man um Liebe kämpft, selbst wenn diese Person es nicht will - aber eigentlich ist das schon Stalking", erklärt Peteranderl.

Wo hört Romantik auf?

Offizielle Statistiken wie viele Songs von Stalking, Gewalt oder Obsession handeln, gibt es nicht. Sonja Peteranderl, Maren Kling und Ann Weller haben selber recherchiert, die Songs kategorisiert und systematisch nach Thema erfasst. Dabei haben sie festgestellt, dass 90% der Songs aus der Täterperspektive verfasst sind, nur wenige zeigen die Betroffenensicht. Maren Kling ordnet dazu ein: "Die meisten Täterperspektiven sind ja nicht von tatsächlichen Tätern geschrieben und trotzdem finden sie es irgendwie wild und spannend und vielleicht auch ein bisschen geil, darüber zu singen."

Dass Songs mit solchen problematischen, gewaltverherrlichenden Texten überhaupt ohne Aufschrei und Widerspruch produziert werden, verweist auf ein strukturelles Problem in der Musikindustrie – Führungsetagen, die männlich besetzt sind, Alltagssexismus, sexuelle Übergriffe in der Musikindustrie (was z.B. die Leipziger Initiative musicmetoo dokumentiert) und ein fehlendes Problembewusstsein bei gewaltverherrlichenden und -verharmlosenden Texten. Diese Strukturen spiegeln sich dann auch in den Songs und Hits, die produziert werden.  

Warum Nick Cave immer noch einfühlsamer ist, als ChatGPT

Ein Song aber, das muss erwähnt werden, der die männlich dominante Sicht nicht allein stehen lässt, und damit für einen Perspektivwechsel sorgt, ist "Where the Wild Roses Grow" von Nick Cave und Kylie Minogue. Hier singen Täter und Opfer im Duett und wechseln sich in ihren Perspektiven ab.

Nick Cave & The Bad Seeds: Where The Wild Roses Grow (Videostill) | Bild: Nick Cave & The Bad Seeds / Mute zum Artikel Femizide in Songs Warum im Pop so viele Frauen sterben müssen

Nick Cave, Johnny Cash und Eminem haben es getan. Sie haben in ihren Songs Frauen getötet. Kein Problem, ist doch Fiktion! Doch die Lieder haben mehr mit der Realität zu tun, als uns allen lieb sein kann. [mehr]

Über Stalking-Erfahrung zu schreiben und zu veröffentlichen erfordert von Betroffenen mehr als Mut, denn in der Regel führt Stalking zum Rückzug und zu Isolation, um dem Täter keine Informationen bieten zu können. Öffentlich darüber zu singen, ist das Gegenteil. Auf "Your Stalker’s Playlist: Change of Perspective" haben Maren Kling, Sonja Peteranderl und Ann Weller Songs zusammengestellt, die einen anderen Blickwinkel einnehmen.  

Außerdem haben sie mit ChatGPT experimentiert und geschaut, ob sich mit ihr Texte produzieren lassen, die eine andere Perspektive einnehmen. Doch ChatGPT hat meistens einfach die Täterperspektive gespiegelt, was aber nicht annähernd wiedergibt, wie Betroffene Stalking oder Beziehungsgewalt erleben. Oder ChatGPT hat behauptet, dass zum Beispiel "Jeanny" von Falco ein Song sei, der eine andere Perspektive einnimmt – was schlichtweg nicht stimmt. Der Song hat schon nach seiner Veröffentlichtung zu großen Diskussionen geführt.  

Jetzt hör' ich sie, sie kommen 
Sie kommen dich zu holen 
Sie werden dich nicht finden 
Niemand wird dich finden, du bist bei mir 

Die Playlists für Stalker – und für Opfer

Sonja Peteranderl, Maren Kling und Ann Weller aka Cheap Wedding haben nun zwei Playlisten auf Spotify zusammengestellt: 

Und für den Perspektivwechsel Songs von MusikerInnen, die die Sichtweise der Betroffenen zeigen: