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Meinung Wie Dicken-freundlich ist die Welt nach Body Positivity

Dünn sein ist wieder in und vielleicht war es sogar nie out. Unsere Autorin Alba Wilczek blickt zurück und zieht Bilanz darüber, wie es in Zeiten von Ozempic und Co. um die Body Positivity und ihre eigene Körperreise steht.

Von: Alba Wilczek

Stand: 11.04.2025 | Archiv

Wie Dicken-freundlich ist die Welt nach Body Positivity | Bild: picture alliance / Sipa USA | imageSPACE

Ich bin Dick und das ist okay. Um diesen Satz wirklich zu verinnerlichen, habe ich acht Jahre, eine Langzeittherapie, unzählige Instagram-Posts, und drei Texte über Gewichtsdiskriminierung gebraucht. Mittlerweile steht er fest in meinem Gehirn, wie eine Mauer, die ich über Jahre Stein für Stein aufgebaut habe. Eine Mauer, die aktuell wieder bröckelt. Denn wir befinden uns in einer Welt post BP, nach Body Positivity. 

Es hat sich was verändert - oder?

"Show me something natural like ass with some stretch marks", rappte Kendrick Lamar noch 2017. Dem Jahr, in dem die Body Positivity-Bewegung in aller Munde war. Seitdem wurde so ziemlich jeder Blickwinkel, jeder Aspekt, jede Kritik und jede Metaebene mindestens einmal beleuchtet. Und es veränderte sich was.

Warum in diesem Artikel "Dick" großgeschrieben ist:

Das Wort ist bis heute negativ konnotiert. Doch in diesem Text holt die Autorin sich den Begriff zurück und nutzt ihn neutral beschreibend - für die Selbstermächtigung. Ein großes "D" betont das.

Dicke Musikerinnen wie Lizzo oder Meghan Trainor trällerten uns Empowerment ins Ohr, Dicke Influencer:innen auf Social Media wurden immer sichtbarer und auch die Fashion-Industrie schien Fortschritte in Sachen Diversität zu machen. Mehr Plus-Size-Mode und mehr Repräsentation. Paloma Elsesser läuft in Paris, Ashley Graham bei Victorias Secret und die Dicke Penelope Featherington kriegt den Mann in der Netflix-Serie Bridgerton. Auch bei mir heilte einiges. Ich lernte, meinen Körper weniger im Blick der Öffentlichkeit zu betrachten, versagte der Diätkultur und meiner Waage für immer und gelangte so, langsam, aber sicher auf die nächste Stufe: Körperneutralität.

Die irische Schauspielerin Nicola Coughlan und Zündfunk-Autorin Alba. | Bild: dpa/Alba Wilczek zum Artikel Meinung Als dicke Frau ist die neue Staffel Bridgerton für mich eine Art Befreiungsschlag

In der neuesten Staffel geht es für eine Frau zu Sache, die für viele nicht dem Schönheitsideal entspricht: Sie ist dick, klein und nerdig [mehr]

Den Körper nicht mehr krass positiv oder krass negativ labeln. Ihn gar nicht mehr labeln, sondern einfach nur gucken, ob und wie es ihm gut geht. Mehr Bewegung. Mehr Fashion. Und die Beziehung zu Essen heilen. Riesenfortschritte legte ich zurück. Doch seit ein paar Monaten wird der Druck von außen wieder mehr. Oder war er nie weniger?

Auf Tiktok gehen zum Beispiel gerade zwei Filter viral, die dich entweder dicker oder dünner machen. Viele Menschen nutzen sie als Motivation für Gewichtsabnahme. Dann reden und schreiben alle über Ozempic und dichten so ziemlich jedem sichtlich dünneren Promi ein "Ozempic-Face", also eine Behandlung damit an. Meghan Trainor zum Beispiel, oder Katy Perry, oder Kelly Clarkson – alles Frauen, die in der Vergangenheit oftmals für ihre angeblich "Dickheit" verunglimpft wurden. Die Repräsentation von Dicken in den Medien nimmt ab, und auch in der Modewelt sieht es nicht anders aus. Im Jahr 2023 zum Beispiel waren 24% weniger Dicke Models auf den Fashionweeks zu sehen als in den Jahren zuvor.

Der Druck von außen bleibt groß

Dünn sein ist back, so richtig - proklamieren auch die Medien und unzählige Inhalte in den sozialen Netzwerken. Ich selbst denke, der Skinny-Hype war nie weg. Er wurde nur kurzzeitig verdrängt. Doch jetzt sind wir in der Post-Body-Positivity-Ära. Und selbst meine Identifikationsfiguren scheinen sich dem Zeitgeist anzupassen. Ricarda Lang zum Beispiel gibt der ZEIT ein großes Interview zu ihrer Gewichtsabnahme. Wie keine andere musste sie über die letzten fünf Jahre Bodyshaming über sich ergehen lassen.

Lizzo bei der Vanity Fair Oscar Party (2025).

Auch dicke Influencerinnen wie Remi Bader oder Estefania auf TikTok verlieren Gewicht. Und dann erscheint auch noch eine erschlankte Lizzo auf meinem Instagram-Feed und postet, dass sie sich super fühlt und ihre Gewichtsziele erreicht hat. Da musste ich ziemlich schlucken. "Jetzt hat die Propaganda der Diätindustrie sogar SIE gekriegt!", hätte ich noch vor ein paar Jahren gerufen und den Post wütend mit meiner Community geteilt. 

Mit so einem Urteil aber bin ich heute zurückhaltender. Ich scrolle weiter, wenn auch mit einem wilden Gefühlscocktail. Freude, weil sie gut aussieht und neue Musik angekündigt hat. Wut, weil ich dünner anscheinend immer noch irgendwo mit schöner gleichsetze. Zweifel, ob sie das nur mit Sport und Ernährung geschafft hat. Und dann wieder Wut, dass ein kleiner Instagram-Post so viele ambivalente Gefühle und Gedanken bei mir auslöst. "Muss ich jetzt auch abnehmen?" So ein Quatsch. "Naja, Lizzo war eh viel dicker als ich." Jeder Körper ist individuell. "Aber ich sollte heute Abend zur Sicherheit nichts essen, und morgen direkt in Sport." Ruhe jetzt!

Diätkultur macht krank

Damit das mal gesagt ist: Auch im Fall einer Gewichtsabnahme gilt das Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Und es widerspricht auch nicht der Body Positivity-Bewegung, Gewicht zu verlieren. Body Positivity entstammt eigentlich der Schwarzen Freiheitsbewegung und wollte Dicksein nie glorifizieren, sondern gegen die strukturelle und teils rassistische Diskriminierung und Abwertung dicker und fette Körper kämpfen. Aber wie so oft, wenn Bewegungen in den Mainstream kommen, gehen die wahren Ursprünge verloren und alles wird zu einem undurchsichtigen Brei.

Paris Hilton und Kim Kardashian im Jahr 2006.

Wir sollten aber weniger auf Dicke oder ehemals Dicken rumhacken und stattdessen das Problem adressieren: Die Diätkultur und die Schönheitsideale unserer Zeit. Sie haben uns krank gemacht und verhindern, dass wir heilen können. Verdammt, nochmal! Ich bin aufgewachsen mit Bravo-Artikeln voller Optimierungstipps für 13-Jährige und In-Touch-Fotostrecken über Cellulite-Oberschenkel. Mit Paris Hilton und Kim Kardashian. Und jetzt, 16 Jahre später, sehe ich die gleichen Inhalte und "Vorbilder" – nur auf TikTok? Ein Einhorn ist, wer da unbeschadet davonkommt.

Die Medien und das Internet bleiben ein Minenfeld. Und es ist die Anonymität, die unserem Hass auf Dicke Körper noch größere Flügel verleiht. So easy man als Dicker Mensch im Netz normal existieren und gegebenenfalls auch Content machen kann, so schnell läuft man auch Gefahr, in Grund und Boden gebodyshamed zu werden. Besonders als Frau.

Können es niemandem recht machen

"Ich werde mich nicht shamen lassen. Nicht für meinen Körper, nicht für meine Klamotten oder dafür, wie ich auftrete" sagte die US-amerikanische Schauspielerin Millie Bobby Brown neulich erst in einem Video auf Instagram. Sie möchte sich damit gegen "Journalist:innen" wehren, die seit ihrem Eintritt in die Öffentlichkeit mit 10 Jahren ("Stranger Things") konstant ihren Körper und seine Transformation von Mädchen zu Frau kommentieren.

Schauspielerin Millie Bobby Brown.

"Das ist kein Journalismus, das ist Mobbing!" Ja richtig so, Millie. Und es hinterlässt nachhaltige Schäden in unseren Köpfen. Denn dieser fettfeindlichen Gesellschaft kann man es einfach nicht recht machen. Wir sollen möglichst schnell Gewicht verlieren, werden aber auch fertig gemacht, wenn wir es überhaupt versuchen, oder falsch geschafft haben. Wir werden für unsere Stärke gelobpreist und fünf Minuten später für unsere Schenkel gebodyshamed.

Dabei ist eine gesunde Psyche wichtig. Wir brauchen sie, um klarer den Unterschied zwischen zwei Wegen zu erkennen: Entweder aufgeklärt, nachhaltig und individuell etwas für die eigene Gesundheit tun oder blind der Diätindustrie und unerreichbaren Schönheitsidealen hinterherjagen. Ich für meinen Teil, versuche weiterhin, standhaft zu bleiben und mich nicht wieder blenden zu lassen. Auch, wenn es mir schwerfällt.