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Meinung Warum ich meine Kriegsdienstverweigerung widerrufe

Zum Widerrufen der Kriegsdienstverweigerung reicht ein Zweizeiler. Ich mache das, weil ich ein schlechtes Gewissen habe, insbesondere seit dem 24.2.2022, dem Tag, an dem Russland die Ukraine angriff. Mein Widerruf ist auch das Eingeständnis, dass ich falsch lag und es etwas zurechtzurücken gibt. Ein Kommentar von Christian Schiffer

Author: Christian Schiffer

Published at: 17-2-2023

Grafik: Zwei Hände zerreißen ein Blatt, auf dem "Kriegsdienstverweigerung" steht | Bild: BR

Schon wieder sitze ich da. So wie vor 25 Jahren. Das Amt hatte mir meinen ersten Antrag zur Wehrdienstverweigerung nicht genehmigt. Am Ende habe ich mir aus dem damals noch neuen Internet einfach eine generische Musterbegründung gezogen und mit der hat es dann geklappt. Dann 13 Monate Zivi in der Bahnhofsmission, anstatt zehn Monate Soldat in irgendeiner Kaserne. Wohnungslose statt Wehrdienst. Fairer Deal.

Diesmal ziehe ich mir meine Begründung nicht aus dem Internet. Das ist auch gar nicht notwendig, denn zum Widerrufen der Kriegsdienstverweigerung reicht ein Zweizeiler. 16 andere Bürger sind im Jahr 2023 diesen Schritt gegangen. Die meisten von ihnen vermutlich, weil sie einen Job bei der Bundeswehr anstreben. Ich hingegen mache es, weil ich ein schlechtes Gewissen habe, insbesondere seit dem 24.2.2022, dem Tag, an dem Russland die Ukraine angriff. Mein Widerruf ist auch das Eingeständnis, dass ich falsch lag und es etwas zurechtzurücken gibt. Für mich fühlt es sich an, wie ein umgekehrter Kirchenaustritt. 

Was, wenn wirklich Krieg ist?

Erst den Wehrdienst verweigern, es sich aber zwanzig Jahre später anders überlegen, wenn die Wehrpflicht praktisch abgeschafft ist? Zugegeben, es gab schon mutigere Entscheidungen. Der Widerruf hat erst einmal keine praktischen Auswirkungen. “Weitere (zukünftige) Rechtsfolgen hängen von verschiedenen individuellen Faktoren ab, die von hieraus nicht allgemeingültig beurteilt werden können”, teilt mir das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben mit. Aber dann gibt es da natürlich den Elefanten im Raum. Was, wenn wirklich Krieg ist? Nach Paragraf 1, Absatz 2 des Kriegsdienstverweigerungsgesetztes, müssen Kriegsdienstverweigerer im Kriegsfall einen Ersatzdienst ableisten. Ich aber würde zur Waffe gerufen werden. Ich stelle mir vor, wie man mir beim Kreiswehrersatzamt eine schief schießendes G38-Gewehr in die Hand drückt, das ich als Bahnhofmissions-Zivi nicht bedienen kann und mit dem ich dann das Autobahn-Dreieck Allershausen oder den Rangierbahnhof Moosach verteidigen soll.

In dummer Arroganz auf Soldatinnen und Soldaten herabgeschaut

Ich weiß, dass vermutlich alles an dieser Vorstellung völliger Unsinn ist, aber das ist nur konsequent, denn so vieles, was ich über die Bundeswehr gedacht habe, ist völliger Unsinn. Den Großteil der letzten 25 Jahre habe ich mit unerträglicher und dummer Arroganz auf Soldatinnen und Soldaten herabgeschaut. Die Bundeswehr war für mich eine überflüssige Institution, so altmodisch wie eine Panzerausstellung im örtlichen Provinzmuseum, ein Relikt aus dem Kalten Krieg, aus dem auch noch dauernd Rechtsextremismus heraussuppte. Soldatinnen und Soldaten waren für mich Trottel in albernen Ganzkörper-Anzügen, die mir den Sitzplatz im ICE klauten. Heute hingegen beeindrucken mich Offiziere mit ihrem Wissen auf Twitter oder in Podcasts. Und es beeindruckt mich, dass in irgendwelchen Bundeswehr-Lagerhallen noch Panzerhaubitzen herumstehen, die es der Ukraine ermöglichen, sich gegen Russland zu verteidigen. Ich hätte sie schon längst verschrottet.

Die Welt hat sich geändert

Die Welt hat sich geändert und damit auch ich. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass der russische Neo-Imperialismus die größte Gefahr für unsere Zukunft ist. Und ich weiß, dass es hier nicht nur um Deutschland geht, sondern vor allem um andere Länder. Um Länder, auf die wir als Deutsche manchmal ähnlich arrogant heruntergeblickt haben, wie ich auf Soldaten in Fernzügen der Deutschen Bahn. Als ich als strammer Anti-Faschist vor 25 Jahren meine Verweigerung abschickte, da fand ich den Gedanken unangenehm, für Deutschland an der Waffe dienen zu müssen. Heute weiß ich, es geht nicht nur um Deutschland, sondern auch um Polen, Moldau und Litauen. 

Und so schicke ich meinen Brief ab. Ich widerrufe meine Kriegsdienstverweigerung zum 24.2.2023. Denn es ist Krieg in Europa und damit auch Zeitenwende für mich.