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Soundtrack des Hasses NS-Rap: Die Rolle der Musik beim Terroranschlag von Halle

Der Attentäter aus Halle hörte, wie zahlreiche Terroristen, Musik während seines Anschlags. Dafür kann die Musik zunächst mal wenig. Oder doch? Der Song, die Texte und die Verbreitungsart der Musik verrät viel über das Milieu des Täters – und die Subkultur von Rechtsextremen im Netz.

Von: Sammy Khamis, Malcolm Ohanwe, Aylin Dogan

Stand: 17.10.2019 | Archiv

Eigentlich war schon alles vorbereitet: Die Waffen griffbereit, der Sprengstoff zurechtgelegt, der Livestream angeschaltet. Doch kurz bevor Stephan B. von einem Parkplatz aus über eine Hauptverkehrsstraße zur Synagoge in Halle fährt, hält er inne. Etwas fehlte noch: „Musik! Wo ist der Lautsprecher?“, sagt B. auf Deutsch, nachdem er zuvor in unbeholfenem Englisch seinen Hass auf Frauen und Juden artikuliert hat. B. beugt sich also in den Fußraum seines Mietwagens, schaltet eine Bluetooth-Box an, atmet aus und lässt einen Song laufen. Es klingt nach amerikanischem HipHop. Es klingt wie „Mask Off“ ein Song des afro-amerikanischen Superstars „Future“.

Interpret „covert“ US-Superstar Future

Doch die Lyrics und die wenigen Textbausteine, die man im Video klar verstehen kann, verwirren: Von „master race“, also der „Herrenrasse“, wird gerappt, von der „Antithese zum Judentum“ und von der schwarzen Sonne, einem Neonazi-Symbol, das zum Ersatzzeichen für das Hakenkreuz wurde. Alles in gutem Englisch, aber immer wieder mit deutschen Versatzstücken wie „Ahnenerbe“ oder „Neuschwabenland“ (was sich auf eine Nazi-Expedition zur Antarktis bezieht). Diese Wörter werden in akzentfreiem Deutsch ausgesprochen.

NS-Rap vor dem Anschlag

Der Interpret, der die volksverhetzenden Textinhalte in den Song eingebaut hat, heißt “Mr. Bond” und ist in der englischsprachigen Internet-Nazi-Szene für seine menschenverachtenden Cover-Versionen von bekannten Rap- und Pop-Hits bekannt. Seine Masche: Auf Plattformen wie Youtube hat er Nazi-Parodien von beliebten Songs hochgeladen - mit ähnlichen Titelbeschreibungen und ähnlichen Anzeigebildern wie die Originale. So landete er auf der “Empfohlen”-Sparte von Youtube und konnte damit eine kleine Fan-Gemeinde sammeln. Spätestens zum Jahreswechsel 2018/ 2019 ging die Plattform gegen die Inhalte des Rappers vor, sein Account wurde suspendiert. Aktuell findet sich dort noch ein Video von ihm. Hochgeladen im Frühjahr 2018 von einem Account, der den SS-Totenkopf als Profilbild hat. Allein dieses Video hat über 40.000 Abrufe. Andere White-Supremacy-Sänger hatten zu dieser Zeit wohl teilweise mehrere Millionen Aufrufe, bis Youtube sie letzten Endes auch entfernte.

Auf unbekannteren obskuren Streamingseiten finden sich noch dutzende Songs des Interpreten, alle mit extrem antisemitischen, sexistischen und rassistischen Texten. Texte, die den Nationalsozialismus, den Vernichtungskrieg und die Shoah verherrlichen. Auf Nachfrage des Zündfunks haben sich die entsprechenden Seiten noch nicht zu Künstler oder Inhalten der Texte geäußert. Wer - wie der Attentäter von Halle - diese Musik jetzt noch findet, muss wissen wo, scheint also integrierter Teil dieser Szene zu sein, Teil eines größeren Systems, und weniger ein Laufkunde oder “Einzeltäter”. 

Phänomen „Rechte Parodie“

Fast schon paradox ist, dass sehr häufig R&B- und Hip-Hop-Songs (tatsächlich auch von Deutschrappern) gecovert werden, die dann mit rassistischen Nazi-Texten versehen werden. Dadurch wirken viele der Songs wie eine Art Parodie. Dieser Eindruck scheint gewollt zu sein. Denn zahlreiche Interpreten der Szene bezeichnen sich selbst als “Parody Rapper”. Ihnen geht es darum, ihre Verachtung gegenüber der modernen Welt auf möglichst viele Arten zum Ausdruck zu bringen. Dazu gehören menschenverachtende Texte, aber auch das Plagiieren von Teilen der afroamerikanischen Kultur, progressiver Rockmusik oder auch unpolitischer Weihnachtslieder.

Darüber hinaus gibt es auch andere Querverweise auf die Popkultur. Das Cover eines Albums ist eine Anspielung auf den Film „Kevin allein zu Haus“. Es zeigt aber nicht den Schauspieler, sondern den rechtsextremen Todesschützen Dylann Roof, der das Haus gegen Schwarze und Juden verteidigt – die Ästhetik erinnert an die Darstellung von Juden in der Nazi-Zeitung „Der Stürmer“. Dazu sind zahlreiche automatische Waffen in das Bild montiert.

Identität des Urhebers unklar

Wer sich hinter “Mr. Bond” verbirgt ist unklar. Auf einer Homepage beschreibt sich der Interpret als Österreicher. In Österreich aber ist er nicht bekannt. Auch nicht im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), der führenden Forschungs- und Rechercheplattform für Neonazismus in Österreich. Laut einem Tweet eines US-amerikanischen Netz-Aktivisten lebt er im Vereinigten Königreich. 

Am Telefon erklärt Bernhard Weidinger, Politikwissenschaftler und Mitarbeiter am DÖW, dass er von der Existenz von “Mr. Bond” erst durch den Anschlag in Halle erfahren habe. Auch sei dessen Musik bisher nicht in Magazinen der rechten Szene thematisiert oder besprochen worden. Der Grund dafür, so Weidinger, könnte in den expliziten Texten liegen: „Rapper, die in der zeitgenössischen extremen Rechten positiv rezipiert werden, wie Komplott oder Chris Ares, versuchen im allgemeinen den direkten und positiven Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus zu vermeiden. Hier ist das ganz offensichtlich nicht der Fall.“      

Musik bei Terroranschlägen und School-Shootings

Der Täter des Anschlags von Christchurch im März dieses Jahres hörte, bevor er insgesamt 51 Menschen ermordete, ebenfalls Musik: Ein serbisch-nationalistisches Volkslied aus den 1990er Jahren, das dem Kriegsverbrecher Radovan Karadžić gewidmet ist und in den vergangenen Jahren wegen seiner muslimfeindlichen Inhalte zu einem rechten Meme geworden ist. Wer das “remove kebab” Meme postet wünscht sich eine Vertreibung aller Muslime, also ethnische Säuberung.

Die Musik, die Stephan B. auf dem Weg zu seinem Terroranschlag hörte, ist neu. Und ein Beispiel dafür, mit welchen popkulturellen Codes die Täter und das rechte Milieu heute aufwachsen. “Alte” Neonazis lehnten amerikanische Einflüsse komplett ab – in der Kultur ebenso wie im Alltag. Die NPD hatte noch in den frühen 2010 Jahren dazu aufgerufen, Anglizismen zu vermeiden. Die Attentäter von Halle oder Christchurch kennen aktuelle popkulturelle Codes, kommunizieren auf Englisch in Internetforen, wissen um bekannte Memes und hören Songs der afroamerikanischen Kultur wie zum Beispiel “Beamer Benz or Bentley” von Lloyd Banks oder “Why” von Jadakiss, die es auch als Nazi-Remixe gibt.

In den vergangenen Jahren war dieser Missbrauch auf großen Plattformen relativ problemlos zu finden. Die rassistischen Musiker waren auf Youtube präsent und das sehr erfolgreich. Erst nach der Verbannung waren sie zumindest für nicht-rechtsextreme Nutzende nicht mehr so einfach zu finden. 

Analogie: Schulhof CDs der NPD

Dieser Verlauf erinnert an die Schulhof-CDs der NPD. 2004 wollte die Partei kostenlose CDs an Jugendliche verteilen, um sie für die rechte Szene anzuwerben. Ein Verbot verhinderte eine umfassende Verbreitung der CDs und der darauf versammelten Rechtsrock-Lieder. Die einzelnen Songs zirkulieren nur noch in rechten Kreisen. Heute sind es die jeweiligen Nutzungsbedingungen privater Firmen, die zwischen Meinungsfreiheit und Volksverhetzung abwägen müssen. In den vergangenen Monaten, nach den Anschlägen in Christchurch, den Taten von Dylann Roof oder dem Anschlag in Charlottesville, scheint die Sensibilisierung größer zu werden. NS-Rap findet man nicht mehr auf den großen Plattformen, sondern in der Nische.

Noch eine Woche nach dem Anschlag von Halle hatte “Mr. Bond” ein Profil auf der Streamingplattform “last.fm”. Nach einer Anfrage des Zündfunk wurde das Profil kommentarlos gelöscht. Die Genrekategorie “NS-Rap”, unter der auch “Mr. Bond” gelistet war, ist weiterhin aufrufbar. Fragen dazu wollte “last.fm” nicht beantworten.

Kurz bevor Stephan B. vor der Synagoge anhält, sagt er „wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet.“ Danach hört man weiter die Musik. Dann verlässt B. seinen Wagen, beginnt seinen Terroranschlag.


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