Ursprünglich kommen Overmono aus einem kleinen Nest in Wales. Overmono ist das gemeinsame Projekt des Bruderpaars Tom und Ed Russell. Tom, der ältere der beiden, ist Anfang 20, als er in den frühen 90ern mit seinen Mates in die frühe britische Rave-Geschichte eintaucht: „Wir haben überall nach Tapes gesucht. Es gab bei uns keinen Laden für sowas. Das waren zigfach kopierte Aufnahmen, die Qualität war entsprechend mies. Das war mein Einstieg in diese mystische Welt, von der wir keine Ahnung hatten, weder wie die Musik gemacht wurde, noch wie es in den Clubs abging. Das konnten wir uns nur vorstellen“, erzählt Tom.

Ed, seinem zehn Jahre jüngeren Bruder, bleibt diese mystische Welt nicht verborgen. Er hört sie durch die Wand durch, die ihre Jugendzimmer trennt. Wenn Tom außer Haus ist, geht Ed heimlich durch dessen Plattensammlung und kauft sich bald einen Plattenspieler, ohne selbst Vinyl zu besitzen. „Die Platten habe ich aus Toms Zimmer stibitzt, auf Kassette aufgenommen und vertickt – bis ich mir eigene kaufen konnte“, gibt er zu.

Truss und Tessela

Bald veranstaltet Tom mit seiner Crew jedes Wochenende Partys im Hinterzimmer eines Pubs, es sind die einzigen Raves weit und breit. Dann zieht er nach London, wo ihn Ed besucht, sobald er seinen ersten gefälschten Führerschein besitzt. Er will mit seinem großen Bruder durch die Clubs tanzen. Tom zieht es mittlerweile mehr in Richtung Techno, seitdem ihm einer seiner Kumpel ein Tape mit dem damaligen Tresor-Resident Tanith in die Hand gedrückt hatte. Unter dem Namen Truss wird er bald ein gefragter Techno-Produzent. Ed dagegen bleibt bei den Bass-Stilen und bei Breakbeats. Als Tessela beginnt er Ende der Nuller Jahre auf den Trümmern der untergehenden Dubstep-Szene zu veröffentlichen.

Eine gewisse Kompromisslosigkeit

Was die Brüder Russell in ihren Solokarrieren und dem gemeinsamen Projekt Overmono vereint: Ihre Tracks beruhen immer auf einer gewissen Kompromisslosigkeit, einem gewissen „Edge“. Tom erklärt: „Wir sind da speziell auf den Klang unserer Musik fixiert. Und das hat nicht unbedingt damit zu tun, ob sich das für jemand anderen gut anhört – wir wollen es so. Wir können eine Menge Zeit darauf verwenden, bis ein Track dort angekommen ist, wo wir ihn haben wollen. Und wir beide wissen, wann das ist.“

Ihr gemeinsames Projekt Overmono existiert seit 2016. „Good Lies“ ist nun der mit Spannung erwartete erste Longplayer. Was sofort auffällt, ist die Fixierung auf stark bearbeitete Gesangssamples. Kaum ein Track kommt ohne Stimme aus, was ein bisschen an den Dubstep von Burial erinnert – bloß dass Overmono weniger melancholisch auf eine verlorene Zukunft zurückblicken, sondern eher selbstbewusst im Hier und Jetzt stehen. Die Gesangssamples basieren auf der Plattensammlung von Toms Schwager, die er von ihm geschenkt bekam, erzählt Tom: „Er legte Ende der 80er, Anfang der 90er auf. Da sind viele White Labels dabei, viele wurden wahrscheinlich nie veröffentlicht, manche davon klingen wirklich schlimm. Von diesen verstaubten und abgenudelten Scheiben haben wir lauter kleine Samples genommen und daraus eine Bibliothek gebaut. Das war unsere gemeinsame Basis.“

Unerwartet poppig

„Good Lies“ wirkt wie eine Zusammenfassung der letzten 30 Jahre britischer Clubmusik, aber nicht nur historisierend, sondern als Zukunftsprojekt gedacht. Vieles klingt unerwartet poppig, fast schon cheesy und viel mehr nach Wohnzimmer als nach Dancefloor. Dann rollt aber wieder ein unwiderstehlicher Rhythmus an und lässt einen zappeln. Man kann sich dieser Lust nach einer guten Idee, nach einem satten Klang oder nach einem Fetzen Euphorie nur schwer entziehen. Und wenn sie wollen, dann können die Gebrüder Russell unwiderstehliche Hits abliefern wie „So U Kno“. Overmono, wie ein Viertel ihres Heimatorts in Wales heißt, liefern großes Gefühlskino.