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Meinung Menstruation darf endlich kein Tabu mehr sein – nicht nur im Sport!

Die Fußballerinnen der englischen Frauen-Nationalmannschaft dürfen künftig in blauen statt weißen Shorts auflaufen, um sich während ihrer Periode sicherer zu fühlen. Eine überfällige Entscheidung. Nur der nächste Schritt bleibt jetzt aus. Ein Kommentar.

Author: Meret Reh

Published at: 22-3-2023

06.04.2023, Großbritannien, London: Fußball, Frauen: Finalissima, England - Brasilien: Ella Toone aus England jubelt über ihr Tor zum 1:0. Foto: Bradley Collyer/PA Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Bild: dpa-Bildfunk/Bradley Collyer

Monatelang mussten Englands Fußball-Frauen für etwas kämpfen, was eigentlich das absolute bare Minimum sein sollte: Dass sie sich auf dem Platz wohlfühlen dürfen und auf ihre sportliche Leistung konzentrieren können – so wie ihre nicht-menstruierenden Kollegen ja auch. Immer wieder berichteten Profifußballerinnen, dass sie während eines Spiels teils minutenlang abgelenkt waren, weil sie befürchteten, dass ihre Periode auslaufen könnte.

Es ist also gut und wichtig, dass die weißen Shorts für die englischen Fußballerinnen jetzt passé sind und sie bei der Weltmeisterschaft im Sommer in Australien und Neuseeland in blauen Hosen auflaufen werden.

Die englische Stürmerin Georgia Stanway schreibt uns dazu:

"Wir sind froh über den Wechsel, denn so können wir uns in unserer Sportausrüstung wohler fühlen. Die Periode ist manchmal unvorhersehbar, deshalb ist es schön, dass wir uns jetzt geschützt fühlen."

Georgia Stanway

Sehr viel mehr haben die Frauen allerdings auch nicht bekommen.

Kein Wort zu den Hintergründen, kein Wort zur Menstruation

Englands Nationalstürmerin Georgia Stanway.

Denn anstatt ihren Kampf zu würdigen, hat der englische Fußballverband FA in seiner offiziellen Stellungnahme zum Shortswechsel weder die neue Farbe noch deren Hintergründe weiter erklärt. Kein Wort zur Menstruation. Kein Wort dazu, dass es die britische Stürmerin Beth Mead war, die den Trikothersteller Nike auf das Problem der weißen Shorts während der Periode aufmerksam machte. Stattdessen wird jetzt Nike selbst gefeiert, obwohl das Unternehmen sicherlich mehr die eigenen kapitalistischen Interessen im Sinn hat als die feministische Revolution.

Dabei könnte der Erfolg der englischen Fußballerinnen ein wichtiges Zeichen über den Fußball hinaus setzen: Auch in Sportarten wie Rugby und Cricket ist weiß der Standard für Sportklamotten. Dabei ist weiß für Frauen nicht einfach eine "neutrale" Farbe, sondern wird in vielen Kulturen traditionell mit Unschuld, Reinheit und Jungfräulichkeit verbunden.

Weiße Flecken im Wissen über weibliche Sexualität

Brautkleider sind meist weiß, was symbolisieren soll, dass die Frau, die es trägt, unberührt ist oder reiner als ihr Bräutigam, dessen Anzug selten weiß ist. In manchen Familien ist es auch bis heute üblich, dass die Braut nach der Hochzeitsnacht ein weißes, blutbeflecktes Laken vorzeigen muss, als vermeintlich optischer Beweis dafür, dass die Frau jungfräulich und damit "rein" in die Ehe gegangen ist. Dabei ist jedes Jungfernhäutchen anders, manche Personen werden ohne Jungfernhäutchen geboren und bluten deshalb in der ersten Nacht gar nicht. Nicht gewusst? Tja, was weibliche Körper und ihre Sexualität angeht, haben eben viele von uns noch "weiße Flecken".

Die englische Mannschaft feiert in weiß ihren Sieg bei der EM 2022.

Die neuen – nicht-weißen – Shorts hätten das Potenzial, noch größere Debatten im Sport anzustoßen und die Menstruation weiter zu enttabuisieren. Denn der Leistungssport tut sich immer noch schwer im Umgang mit der Periode. In einer Umfrage der BBC aus dem Jahr 2020 gaben 60 Prozent der befragten Athletinnen an, dass die Periode ihre Leistung beeinträchtigt. 40 Prozent sagten, dass sie sich unwohl fühlen, mit ihren Coaches über das Thema zu sprechen. Viele Trainer haben noch nie von zyklusbasiertem Training gehört oder wissen nicht einmal, dass die Verletzungsgefahr nach dem Eisprung größer ist, als in anderen Phasen des Zyklus. Die britische Stürmerin Georgia Stanway meint:

"Es ist wichtig, über die Symptome der Periode Bescheid zu wissen, sich an die verschiedenen Phasen des Zyklus anzupassen und vielleicht auch das Training zu reduzieren. Wir brauchen Unterstützung und Menschen um uns herum, die das verstehen. Nur so können wir als Sportlerinnen unser Bestes geben."

Georgia Stanway

Während der Periode ist das Energielevel besonders niedrig. Es ist die ideale Zeit, um die Batterien aufzuladen. Danach, in der Phase bis zum Eisprung, werden Hormone wie Dopamin, Östrogen und Testosteron ausgeschüttet – hier haben die meisten richtig Power. Im Spitzensport kann zyklusbasiertes Training die nötigen Prozentpunkte Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen. Einige der befragten Sportlerinnen aus der BBC-Umfrage erzählten, dass sie deshalb sogar extra künstliche Hormone wie die Pille einnehmen, um ihren Zyklus zu kontrollieren.

Periodenblut und -flecken sollten als so normal angesehen werden, wie sie es sind

Welche Farbe haben Shorts im Sport? Das klingt nach Bagatelle. Aber die Diskussion darum ist Sinnbild für den hilflosen Umgang der Gesellschaft insgesamt mit der Periode. Menstruation gilt als eklig, als etwas, das versteckt werden muss. Jedes Bedürfnis, das damit zusammenhängt, wird als Extrawurst abgewertet, als Abweichung zur Norm. Scheinbar sind wir als Gesellschaft immer noch nicht bereit dafür, Periodenblut und -flecken als das zu sehen, was es ist: etwas ganz Normales, das zum Körper von immerhin der Hälfte der Gesellschaft gehört. Und irgendwann übersetzen Medien es auch hoffentlich nicht mehr als Radfahren, wenn eine Sportlerin von ihrem Cycle spricht.