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Oscarprämiert Das Problem mit „The Whale“ ist die Gesellschaft, auf die der Film trifft

Darren Aronofskys Drama "The Whale" hat Kritik einstecken müssen. Der Vorwurf: Fettfeindlichkeit. Unsere Autorin ist dick, sie hält den Film für verstörend - aber problematisch ist etwas ganz anderes.

Von: Alba Wilczek

Stand: 04.05.2023

HANDOUT - 20.04.2023, ---: Brendan Fraser als Charlie in einer Szene des Films "The Whale" (undatierte Filmszene). Der Film kommt am 27.04.2023 in die deutschen Kinos. (zu dpa-Kinostarts) Foto: -/A24/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über den Film und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++ | Bild: dpa-Bildfunk/-

Ich bin eine Dicke Frau. Ich habe so meine Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht. In den vergangenen Jahren habe ich mich viel mit dem Thema Körper beschäftigt, ich folge vielen Aktivist*innen zum Thema und kenne die Community ganz gut. „The Whale“ haben viele im Vorfeld mit Argwohn betrachtet. Die Dicke Bloggerin Amanda Richards schrieb zum Beispiel auf Twitter:

"Brendan Fraser in einem Fat Suit, mit Regie von Darren Aronofsky. Ist wohl der Teufel schon da? Ich rufe ihn mal an."

Amanda Richards

Auch ich war vorab schon darauf eingestellt, diesen Film zu zerreißen. Aus zwei, nein, drei Gründen: Weil sie Brendan Fraser in einen Fat Suit gesteckt haben und weil „The Whale“ so ein unangenehmer Titel für einen Film über eine Dicke Person ist. Und weil ich die Schnauze voll habe von den immer gleichen problematischen Darstellungen von Dicken Personen im Film. Doch als ich an einem Dienstagabend nach zwei Stunden Kino, mit verheulten Augen den Saal verließ, war alles viel komplizierter. Aber von vorne.

Dicke Schauspieler*innen kommen oft zu kurz

Auch wenn das mit der Körperakzeptanz in der Gesellschaft langsam besser wird: Die Darstellung von Dicken und Fetten Charakteren in der Filmgeschichte folgt einem Muster. Oft erfüllen Dicke Charaktere bestimmte Stereotypen oder Zwecke. Zum Beispiel die freundliche Freundin oder Tante, die gute Ratschläge parat hat und Witze reißt, wie Melissa McCarthy in "Gilmore Girls". Oder der sanfte Gigant, der den Protagonist*innen zum Sieg verhilft. Und natürlich der Klassiker: Das Glow-Up. Eine Protagonistin ist Dick, hat vermeintlich keinen Style und ein scheiß Leben. Dann aber verliert sie Gewicht, entdeckt Make-Up - und alles wendet sich zum Guten.

Hinzu kommt, dass diese oft problematischen Stereotype immer wieder von normgewichtigen Schauspieler*innen in Fat Suits dargestellt werden, also in Anzügen, die sie Dicker machen. Dicke Schauspieler*innen kommen oft zu kurz. Nur wenige sind wirklich sichtbar auf Leinwänden. Außerdem gehen Lebensrealitäten verloren. Das Leben als Dicke Person wird oft negativ, nur als ungewollter Zwischenzustand dargestellt, verfälscht, und in plumpe Klischees verpackt.

An vielen Stellen wird der Protagonist entmenschlicht

Und dann ist da noch Darren Aronofsky. Der Regisseur von „The Whale“. Der US-Amerikaner ist bekannt für seine dunkle, deprimierende Bildsprache, wie zum Beispiel im Schocker „Black Swan“. Er provoziert gerne und setzt den Fokus extrem auf das innere und äußere Leid einer einzelnen Person. Im Fall von „The Whale“: Einer Fetten Person. Wir verfolgen Charlie, einen homosexuellen, adipösen Online-Professor, der durch einen traumatischen Verlust eine Essstörung entwickelt hat und so sterben will. Für seine große Liebe hat er damals die eigene Tochter verlassen, Ellie. Und auf den letzten Metern möchte er sich ihr noch ein bisschen annähern.

Der ganze Film spielt in Charlies Zuhause, das er nicht mehr verlassen kann. Kammerspielartig laufen alle Personen durch die selbe Tür ein und aus und entladen ihre Emotionen in den kleinen vier Wänden und auf Charlie. Das Drehbuch basiert auf einem Theaterstück von Samuel D. Hunter. Aronofsky setzt es mit einer Bildsprache um, die so gut wie wie nicht auszuhalten ist. An vielen Stellen wird Charlie wortwörtlich entmenschlicht: Fressepisoden in fahlem Licht und mit bedrohlicher Musik unterlegt. Masturbation im dunklen Zimmer, gefolgt von einer Herzattacke. Wir bekommen keinen Moment zum Durchatmen. Von Charlies Nahtoderfahrungen stürzt Darren Aronofsky uns in rührende Gespräche mit Freundin und Krankenschwester Liz, und reißt uns schließlich weiter in eine der vielen grausamen Szenen mit Charlies Tochter, die ihren sterbenden Vater aufs Übelste beleidigt und fat-shamed. 

Ein unfassbar verstörender Film

Oscarprämiert für die Hauptrolle: Brendan Fraser

Alle Schauspielenden sind grandios. Brendan Fraser hat seinen Oscar verdient. Er haucht Charlie Ehrlichkeit, Menschlichkeit und Tiefe ein. Er macht die Darstellung alles andere als klischeehaft und stereotyp. Trotzdem ist „The Whale“ ein seltsamer Film. In erster Linie ist er unfassbar verstörend. Ein Tal der Tränen, in dem Personen nur leiden und die Hauptfigur immer wieder entmenschlicht wird. Muss das alles auf einmal sein? Dazu fehlen wichtige Triggerwarnungen. Eine gut sichtbare Notiz vor Beginn würde reichen: Vorsicht! Hier geht es um Fettfeindlichkeit, Depressionen und Sekten. Wenn du dich damit schwer tust, dann schau dir das nicht oder nicht alleine an.

Der Film wird nur eine kleine Welle an Empathie auslösen

Ich bin ehrlich: Im Hinblick auf die Debatte um Körperakzeptanz sehe ich in Darren Aronofskys Werk kein Problem. Bei meiner Recherche für diesen Text bin ich allerdings über eine Moderation in einer Radiosendung gestolpert. Der Moderator kommt von einem Song zum Thema Wale und sagt dann: „Über einen gestrandeten Wal geht es gewissermaßen auch im neuen Film von Darren Aronofsky“. Und genau hier – in dieser Formulierung über einen Film, in dem es um einen Menschen geht - liegt das wahre Übel: Bei der Gesellschaft, auf die der Film trifft. Eine Gesellschaft, die Dicke strukturell diskriminiert und sie ausgrenzt. Die Dicken ungefragt Ratschläge, aber weniger Jobs gibt. Eine Gesellschaft, die mit Klischees im Kopf solche Filme ansieht und anschließend Mitleid empfindet, aber nichts ändert. Die Empathie, die der Film auslöst, bleibt nichts weiter als eine kleine Welle an der Oberfläche. Ein Tsunami durch die Gesellschaft bleibt aus. Und alles auf Anfang. Schade.

"The Whale" seit 27. April 2023 im Kino.

Anmerkung der Redaktion: Die Begriffe "Dick" und "Fett" sind in der Gesellschaft negativ konnotiert, es gilt als etwas Negatives wenn jemand so benannt wird oder man sich selbst so nennt. Indem die Autorin (und viele andere Dicke Menschen) die Begriffe so benutzt, nimmt sie sich diesen negativ-behafteten Begriffe zurück, benutzt sie empowernd und entkräftet die negative Behaftung. Sie gibt ihnen die Bedeutung, die sie eigentlich haben sollten: Neutrale Beschreibungen eines Zustands, der erstmal weder positiv noch negativ ist.

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THE WHALE Trailer German Deutsch (2023) | Bild: KinoCheck (via YouTube)

THE WHALE Trailer German Deutsch (2023)