Bayern 2 - Zündfunk

Musiker Gabriele Lepera über Giorgia Meloni "Es ist eine Regierung, die alle Veranstaltungen dämonisiert"

Dafür dass er die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni als Faschistin bezeichnet hat, wird Placebo Sänger Brian Molko womöglich angeklagt. Warum das in der italienischen Öffentlichkeit untergeht, hat Clubbetreiber Gabriele Lepera uns erzählt - vor dem Hintergrund einer zunehmend unfreien italienischen Medienlandschaft.

Author: Sandra Limoncini

Published at: 8-8-2023

Fratelli d'Italia - Giorgia Meloni, Favoritin bei der Parlamentswahl am Wochenende | Bild: picture alliance / NurPhoto | Francesco Militello Mirto

Beim Sonic Park Festival in Stupinigi in der Nähe von Turin beschimpfte Brian Molko, britischer Sänger der Band Placebo, die rechte Politikerin und Regierungschefin Italiens, Giorgia Meloni, auf der Bühne als Faschistin, Rassistin und Stück Scheiße. Molko ist bekannt für seine provokative und sehr offenen Art. In Interviews sprach er in der Vergangenheit offen über seinen Drogenkonsum und seine Bisexualität. Placebo hat auch eine große Fangemeinde in der LGBTQ+-Szene. Giorgia Meloni ist offen gegen gleichgeschlechtliche Ehen, will diese verbieten und kämpft gegen Leihmutterschaft und Einwanderung. Kurz nach dem Auftritt von Placebo in Turin eröffnete die Turiner Staatsanwaltschaft eine Untersuchung gegen Molko. In Italien steht das „Beleidigen der Republik“, wie es heißt, unter Strafe. Zwischen 1000 und 5000€ kann das kosten. Meloni hat sich noch nicht zu der Klage geäußert. Auch die Vertreter von Molko haben es abgelehnt, sich zu diesem Zeitpunkt weiter zu äußern.

In den italienischen Medien wird der Fall Molko kaum zur Kenntnis genommen. Auch Vertreter der Popkultur in Italien schweigen. Warum? Darüber hat der Zündfunk mit Gabriele Lepera. Er ist Musiker, Clubbetreiber und Mitglied bei Funfulla einem Kulturverein in Rom.

Zündfunk: Wenn ein Sänger einer Band einen deutschen Politiker so diffamieren würde, wäre in Deutschland die Hölle los, warum ist es in Italien so still?

Gabriele Lepera: Meiner Ansicht nach, werden in Italien Informationen, die die Regierung betreffen, stark gefiltert wiedergegeben. Wenn wir zum Beispiel in Italien große Veranstaltungen organisieren, Demonstrationen oder Märsche wie einen Gay Pride oder einen Friedensmarsch, wo zehn oder 100 Tausende Menschen hinkommen, erscheint in den Zeitungen am nächsten Tag nichts, Du findest keinen Artikel darüber.

Wie stehen denn "politische Musiker" in Italien zu der neue Regierung?

Brian Molko, Sänger der Band Placebo.

Sie hassen diese Regierung alle. Es ist eine Regierung, die jeden Tag einen neuen Grund findet die Menschen zu unterdrücken, die alle Veranstaltungen dämonisiert, ob es um Tanzen geht, oder ums Feiern. Es ist absolut offensichtlich, dass die ganze alternative Szene Riesenprobleme mit dieser Regierung hat.

Äußert sich denn die Alternative Szene dazu?

Eigentlich nicht. Ich weiß nicht, wie es im Rest der Welt ist, aber die Italiener sind geradezu faul, wenn es darum geht, sich gegen irgendetwas zu wehren. Die Situation muss wirklich so erdrückend sein und schwierig, dass Italiener den Willen und die Kraft aufbringen zu rebellieren.

Welche Musiker in Italien sind denn eigentlich politisch und wenn, sind die dann eher links oder rechts?

Also ehrlich gesagt, kenne ich da überhaupt niemanden in ganz Italien, der sich aktiv gegen oder für die Regierung ausspricht. Wobei, jetzt, wo wir davon reden, fällt mir ein Musiker ein. Er heißt Cosmo. Ein Musiker, der einen wirklich guten Ruf hat und sehr bekannt ist. Und er ist tatsächlich der einzige, der während seiner Konzerte, die praktisch wie Riesenpartys sind als einer der wenigen das Nachtleben verteidigt und sich für die Interessen der Clubs ausspricht, der auch über das Rauchen von gewissen Substanzen spricht und sehr offen aktuelle Regierung attackiert und kritisiert - und das manchmal auf eine sehr, sehr harte Weise.

Und was passiert dann, wenn er die Regierung kritisiert?

Giorgia Meloni im italienischen Parlament.

Absolut und überhaupt gar nichts. Während der Konzerte sind natürlich seine Konzertbesucher und Fans auf seiner Seite. Aber das würde niemals in irgendeiner Zeitung veröffentlicht werden, dass einer in aller Öffentlichkeit die Regierung in welcher Form auch immer kritisiert hat.

Äußern sich Musiker in Italien öffentlich bei Auftritten zu politischen Dingen?

Ich bewege mich eher in der unabhängigen, alternativen Szene und da gibt es das ein oder andere Mal jemanden, der sich kritisch äußert oder vielleicht einen kritischen Song veröffentlicht, vor allem, wenn es um die rechte Regierung geht. Aber das sind eher kleine Vorkommnisse, die also außerhalb der vier Wänder unserer Clubs nie irgendwie nach außen dringen. Das passiert einfach nicht.

Ist es denkbar, dass die politische Rechte ihren Einfluss ausübt auf die italienischen Medien?

Absolut, ja. Und nicht nur die rechte Regierung. Jede Regierung, die bisher an der Macht war. Das kapierst du schon, wenn du die Überschriften in den Zeitungen liest oder irgendwelche Überschriften von Artikeln, du verstehst sofort wie die Regierung die Medien benutzt, um ihre Inhalte zu präsentieren oder unter die Menschen zu bringen. Menschen, wie ich haben Riesenprobleme, sich wirklich objektiv zu informieren, das ist mit den normalen Medien in Italien gar nicht machbar. Mein Weg, um sauber recherchierte Informationen zu gelangen, ist ehrlich gesagt über die sozialen Medien. Ich schaue auch auf Facebook, was meine Freunde aus der alternativen Szene an Artikeln posten. Wenn ich in die tägliche Berichterstattung in Italien reinschauen würde, also in die Zeitungen oder ins tägliche Fernsehen hab ich sofort das Gefühl von Beklemmung und Angst, weil jeder Artikel mir das Gefühl gibt, wir Italiener sollen in unserer Meinung beeinflussen werden