Bayern 2 - Zündfunk

Burschenschaften „Sie haben sich auf den sogenannten ‚Ariernachweis‘ berufen“

Sie kämpfen bis aufs Blut, saufen bis alle kotzen und locken mit günstigem Wohnraum: Burschenschaften. Wer nicht weiß, männlich und christlich ist, muss aber meist draußen bleiben. Leon Montero kennt sie dennoch aus erster Hand.

Author: Bärbel Wossagk

Published at: 7-3-2023

Der Journalist Leon Enrique Montero, der sich im Zuge seiner Recherche "Reise nach Germania" mit Burschenschaften beschäftigt hat, in passendem Outfit | Bild: Calvin Thomas

In Erlangen wurde am 10. Februar der Notarzt gerufen, weil sich zwei Männer durch Waffengewalt schwer verletzt hatten. Freiwillige Waffengewalt, denn es war eine sogenannte Mensur, ein Fechtduell zwischen zwei Burschenschaften. Die Burschenschaft Germania Erlangen hatte die Turnerschschaft Munichia Bayreuth eingeladen zu einer „PP-Suite“. Die Bezeichnung steht für „Pro-Patria-Suite“, eine Fechtfolge „für das Vaterland“. Ein solches Fechtduell ist noch riskanter als eine normale Mensur, hier gelten verminderte Schutzmaßnahmen, und obendrein waren auch noch ungewöhnlich schwere Waffen im Einsatz. Nun ermittelt die Polizei wegen gefährlicher Körperverletzung.

Den Fall hat Leon Enrique Montero aufmerksam verfolgt. Der Fotograf und Journalist aus Würzburg war in seiner Studienzeit selbst in einer katholischen Studentenverbindung. Aus Neugier, und auch, weil er ein Zimmer brauchte. Nach einem knappen Jahr ist er dort wieder ausgezogen, hat aber weiter zu Verbindungen recherchiert und sich auch bei rechtsextremen Burschenschaften beworben. „Reise nach Germania“ hat Montero seine Recherche genannt, von der er auf Social Media, in Interviews und in Vorträgen berichtet.

Zündfunk: Hat dich das Fechtduell-Debakel in Erlangen überrascht?

Leon Enrique Montero: Überhaupt nicht. Mich hat lediglich überrascht, dass das an die Öffentlichkeit kam. Denn Mensuren gibt es regelmäßig, und es kommt dabei auch regelmäßig zu Verletzungen, auch schweren. Dass das nun öffentlich wurde, gefällt den daran beteiligten Verbindungen auf jeden Fall gar nicht.

Du hast mitverfolgt, wie die Verbindungen das jetzt diskutieren?

Ja, die Autonome Antifa Freiburg hat beispielsweise interne Chats veröffentlicht, die zeigen, wie das in Verbindungskreisen diskutiert wird. Und der Tenor ist: „Wenn die Gesetzgebung den negativen Wind mitbekommt, dann könnte es sein, dass dies das Ende des studentischen Fechtens ist.“ Die korporierten Verbindungen haben also mächtig Angst.  

Warum wäre es für die Studentenverbindungen denn so schlimm, wenn das wirklich nicht mehr erlaubt wäre?

Die Mensur und das studentische Fechten ist für pflichtschlagende und schlagende Verbindungen identitätsstiftend: Mit diesem Ritual zeige ich, dass ich für meine Verbindung einstehe. Es geht beim Fechten auch nicht ums Gewinnen, sondern darum, Stärke zu beweisen: nicht zurückzuweichen, keine Angst zu zeigen.

Also das Fechtduell als Männlichkeitsprobe: Den Schlag abbekommen und die Narbe, den Schmiss, dann als Ehrenmal tragen. Ist das nicht wahnsinnig veraltet?

Natürlich. Vieles an Verbindungen ist total archaisch. Wenn mir jemand doof kommt, fordere ich den in Deutschland ja auch längst nicht mehr zum Pistolenduell heraus. Aber das Fechten ist für deutsche Verbindungen ein elementarer Teil ihrer Identität. Wenn der wegfällt, dann bleibt nicht mehr viel übrig.

"Viele Verbindungshäuser haben ein extra Kotzbecken, genannt ‚Pabst‘. Da steht man dann reihum und übergibt sich. Nur, damit noch mehr Bier reinpasst."

Leon Enrique Montero

Neben der Mensur, also dem Fechten, sind Burschenschaften bekannt für ihre exzessive Sauferei. Du warst selbst in Burschenschaften unterwegs. Was hast du beobachtet?

Die Mengen an Alkohol, die in Verbindungskreisen getrunken werden – das habe ich sonst nirgends erlebt. Da trinkt man Alkoholmengen, nur um sie danach wieder auszukotzen. Deswegen haben auch viele Verbindungshäuser ein extra Kotzbecken, genannt „Pabst“. Da steht man dann reihum und übergibt sich. Nur, damit noch mehr Bier reinpasst. Und du möchtest dich in dieser Gemeinschaft natürlich beweisen, du möchtest mithalten. Und so kommt es, dass man sich selber und auch seinen Körper, wie bei der Mensur, der Burschenschaft unterwirft und so viel trinkt, wie man kann – und über darüber hinaus. Aber weil das Trinken essenziell für den Gruppenzusammenhalt ist und man nicht negativ auffallen möchte, sagt keiner: „Nein, jetzt trinke ich nicht mehr.“

Burschenschaften behaupten immer wieder, niemand werde bei ihnen gezwungen, beispielsweise exzessiv Alkohol zu konsumieren. Was ist die Realität?

Klar kommt niemand und presst mir das Gefäß an den Mund, bis ich es leer getrunken habe. So läuft es nicht. Aber ich bin in einer Gemeinschaft, in der ich gefallen möchte. Da komme ich nicht drum herum, große Mengen Alkohol zu trinken. Davon abgesehen gibt es auch bestimmte Regelungen, zum Beispiel den sogenannten „Bierjungen“. Wenn dich jemand zum Trinken herausfordert, sagt er „Bierjunge“, du erwiderst „hängt“, und dann trinkt ihr gegeneinander. Das macht man ein paarmal.

Oder wenn du bei einer Kneipfeier aufs Klo möchtest oder dich irgendwie falsch verhältst, kriegst du eine Bierstrafe. Du musst also eine gewisse Anzahl an Bieren trinken – auf ex natürlich. Das Bier ist ein essenzielles Element, du kommst im Verbindungswesen nicht umhin, Bier zu trinken. Oder anders gesagt: Wenn man kein Bier trinkt, muss man sich fragen, was möchte man da überhaupt?

"Der Lohn ist ganz klar die Gemeinschaft. Du kommst gerade volljährig in eine neue Stadt und bist plötzlich unter Leuten, die dich aufnehmen, so wie du bist – zumindest, wenn du männlich, weiß und deutsch bist"

Leon Enrique Montero

Das ist genau die Frage: Warum macht man das? Was kriegt man dafür – was ist der Lohn?

Ganz klar die Gemeinschaft. Du kommst gerade volljährig in eine neue Stadt und bist plötzlich unter Leuten, die dich aufnehmen, so wie du bist – zumindest, wenn du männlich, weiß und deutsch bist. In diesem Optimalfall kannst du in einer Burschenschaft eine witzige Zeit haben, und günstigen Wohnraum. Du kommst aber nur rein, wenn du dich ihren Brauchtümern unterwirfst.

In der aktuell angespannten Wohnsituation werden immer mehr Männer dazu verleitet, in Verbindungshäuser zu ziehen, obwohl sie da vielleicht politisch oder gesellschaftlich gar kein Interesse daran haben. Hinzu kommt, dass das Wohnraum ist, der Frauen gar nicht erst offensteht. Was zu kritisieren ist.

Du hast damit deine eigenen Erfahrungen gemacht, wie bist du eigentlich reingekommen in die Studentenverbindung?

Montero war erst selbst in einer gemäßigten Verbindung, und bewarb sich dann bei rechtsradikalen Burschenschaften – wie würden sie reagieren?

Eine Zeit lang war ich selber aktiv in einer katholischen, nichtschlagenden Verbindung. Dort habe ich auch gewohnt. Denn ich fand es einfach sehr interessant, einen Einblick in das oft so verschlossene Verbindungswesen zu bekommen. Darüber hinaus habe ich mich für meine Recherche bei explizit rechten bis rechtsextremen Burschenschaften beworben – die mich aufgrund meiner Hautfarbe natürlich nicht aufgenommen haben.

Als Burschenschaftler ist man, du hast es gesagt, am besten weiß und männlich – dein Vater kommt aus der Dominikanischen Republik. Wie haben die Burschenschaften auf dich reagiert?

Das war die große Frage, die mich bei meiner Recherche interessiert hat. Es gab eine Verbindung, die hat im Nachhinein nur gesagt, ich würde nicht bei denen reinpassen und solle es bei einer anderen Burschenschaft versuchen. Also ein klarer Hinweis auf die Hautfarbe kam da nicht.

Aber in zwei Fällen von, das muss man so klar sagen, Nazi-Burschenschaften, saßen die mir gegenüber und haben gesagt: „Wir nehmen dich nicht – wir würden auch keine Asiaten aufnehmen, und keine Schwarzen.“ Das haben sie ganz offen damit begründet, dass bei ihnen nur „Deutsche“ Platz hätten – was für sie nicht an den Ausweis oder die Staatsbürgerschaft gekoppelt ist, sondern an eine völkische Vorstellung deutscher „Reinheit“.

"Sie haben sich auf den sogenannten ‚Ariernachweis‘ berufen, um zu erklären, warum sie mich nicht aufnehmen."

Leon Enrique Montero

Dir ist also glasklarer Rassismus begegnet. 

Sie haben sich auf den sogenannten „Ariernachweis“ berufen, um zu erklären, warum sie mich nicht aufnehmen und im Laufe des Abends auch noch den Hitlergruß gezeigt – da muss man also nicht lange rumdeuteln.

Auf Basis dieser Erfahrungen, aber auch deiner Zeit in der katholischen Studentenverbindung, in der du dich in Teilen auch ganz wohlgefühlt hast, bist du auf Vortragsreise gegangen. Wie waren die Reaktionen aus dem Publikum?

Es gab rege Beteiligung von Verbindungsstudenten, und das hat mich positiv überrascht. Es kam auch sehr viel Lob von Verbindungsstudenten, die sagten: „Ja, ich teile deine Kritik zwar nicht völlig, aber du betrachtest das sehr differenziert.“ Vor allem beim Thema Trinken habe ich gemerkt, dass das auch innerhalb der Verbindungsszene einigen sauer aufstößt.