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Meinung Elon Musk radikalisiert sich weiter – vor unser aller Augen

Es ist nicht das erste Mal, dass Elon Musk mit seinem Twitter-Account Schlagzeilen macht. Doch seine jüngsten Äußerungen bieten mehr als Grund zur Sorge. Elon Musk verbreitet antisemitische Verschwörungstheorien. Ein Gastkommentar von Annika Brockschmidt.

Von: Annika Brockschmidt

Stand: 19.05.2023

15.05.2023, Frankreich, Versailles: Elon Musk, Konzernchef des US-Elektroautohersteller Tesla, trifft Frankreichs Finanzminister Lemaire während des «Choose France»-Gipfels, der zum sechsten Mal stattfindet. Mehr als 200 internationale Wirtschaftsführer werden zu der Veranstaltung «Choose France» erwartet, die im Schloss Versailles stattfindet, um ausländische Investitionen zu fördern. Foto: Ludovic Marin/Pool AFP/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Bild: dpa-Bildfunk/Ludovic Marin

“George Soros erinnert mich an Magneto”, schrieb Elon Musk am 16. Mai. Magneto ist ein Comic-Bösewicht aus dem Marvel-Universum. Und wie der ungarisch-stämmige, jüdische Milliardär George Soros, ist Magneto ein Holocaust-Überlebender. George Soros ist wegen seiner finanziellen Unterstützung für progressive Themen und Demokratieförderung in rechten Kreisen eine Hassfigur. Er wird dort als geheimer Strippenzieher dargestellt, der aus dem Hintergrund die Fäden zieht und Böses im Sinn hat -  ein klassischer antisemitischer Topos. Musk geht es nicht um Kritik - denn er kritisiert keine konkrete Position oder Handlung von Soros, sondern stellt ihn als Comic-Bösewicht dar. 

Elon Musk verschafft antisemitischen Mythen Reichweite

Wer die Twitter-Aktivitäten von Elon Musk verfolgt, der konnte seit einigen Monaten beobachten, dass sich bei dem Tesla-Inhaber etwas verschiebt: Seit seiner Übernahme von Twitter interagiert Musk zunehmend mit radikalsten Vertretern der amerikanischen politischen Rechten, stimmt dabei ihren Verschwörungsmythen zu.

So auch in Bezug auf George Soros. George Soros habe keine guten Absichten, Soros wolle “die Grundfeste der Zivilisation zersetzen” und hasse die Menschheit. In diesem Tweet gibt Musk einen der ältesten antisemitischen Verschwörungsmythen wieder, der seit der Antike im Umlauf ist: den Vorwurf, Juden hassten die Menschheit oder im lateinischen Original: ,odium humani generis’. Immer wieder wird dieser Verschwörungsmythos zur Legitimation von Mord und Gewalt gegen Juden benutzt.

Gastkommentar

Annika Brockschmidt, Journalistin und Autorin des Buchs "Amerikas Gotteskrieger. Wie die christliche Rechte die Demokratie" gefährdet, verfolgt Elon Musks Verhalten auf Twitter und hat für den Zündfunk einen Gastkommentar geschrieben. 

Auch die wohl einflussreichste Hetzschrift gegen Juden, die Protokolle der Weisen von Zion, eine Fälschung, die Anfang 20. Jahrhunderts veröffentlicht wurde, folgen dieser Argumentation, ein prominenter, reicher Jude wolle „die Struktur der Zivilisation zerstören“.

Elon Musk verschafft diesen antisemitischen Mythen Reichweite und damit Einfluss. Musks eigene Reichweite ist nämlich erheblich – seinem Twitter-Account folgen derzeit über 139,7 Millionen Menschen. Er kommuniziert freundlich mit White Nationalists wie Paul Ramsey, dem rechtsextremen Troll-Account „Catturd“, interagierte (Stand März) 24 Mal mit einem reichweitenstarken QAnon-Account und lobte dessen Tweets.

Twitter hob die Sperrung zahlreicher rechtsextremer Accounts auf

Immer deutlicher zeichnet sich ab: Einer der reichsten Männer der Welt driftet immer weiter in extreme Online-Räume ab. Musk veranlasste, dass die Sperrung von Accounts zahlreicher Rechtsextremer und Neonazis aufgehoben wird – darunter Andrew Anglin, der Gründer der Neo-Nazi-Website „Daily Stormer“, nach dem Vorbild des Nazi-Blatts „Der Stürmer“. Anglin wird per Haftbefehl gesucht. Twitter gab ihm im November letzten Jahres seinen Account zurück und sperrte ihn erst Ende April 2023 wieder. 

Musk schloss sich außerdem den rechtsextremen Verteidigern von Jacob Chansley an, dem sogenannten „QAnon-Schamanen“, der nach seinem Sturm auf das Kapitol zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Der Twitter-Inhaber bezeichnete den Angriff der von Trump aufgehetzten Menge auf das Kapitol als „nicht-gewaltvolle, von Polizisten begleitete Tour“ – klingt wie das Echo einer von dem rechten Ex-Fox-News-Moderator Tucker Carlson verbreiteten Lüge.

"White Replacement"-Verschwörungstheorie

Auch einem weiteren Verschwörungsmythos schließt sich Musk an: dem angeblichen "großen Austausch". Musk stimmt Charlie Kirk, dem Vorsitzenden der rechten Denkfabrik „Turning Point USA“ dabei zu, dass die USA eine „Invasion“ von Flüchtlingen erlebe. Hinter dieser Rhetorik steckt der „White Replacement“-Verschwörungsmythos: Rechtsextreme behaupten gern, dass George Soros eine Invasion illegaler Einwanderer finanziere, um die Weiße Bevölkerung “auszutauschen”.

Der Verschwörungsmythos vom “Great” oder “White Replacement” hat bereits mehrere White Supremacist–Massenmörder zu ihren Taten inspiriert - und ist trotzdem im Mainstream der Republikanischen Partei angekommen. 

Nächster Halt: "New World Order"-Verschwörungstheorie

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Musk auf Soros eingeschossen hat. Schon vor ein paar Wochen spekulierte Musk mit einem weiteren rechten Account darüber, ob Soros’ Sohn seine Finanzen kontrolliere. Im Februar diesen Jahres hatte Musk bereits auf einer Konferenz eine antisemitische Verschwörungserzählung verbreitet: „Ich denke, wir sollten vielleicht ein wenig besorgt sein, dass wir zu sehr zu einer einzigen Weltregierung werden“, sagte Musk dem Publikum und warnte vor dem „Ende der Zivilisation“.

Er wiederholte damit den antisemitischen Verschwörungsmythos von der „New World Order“, einer Eine-Welt-Regierung, die Kulturen zerstört und unterjocht, gesteuert, so die antisemitische Erzählung, von geheimen jüdischen Eliten.

Anzahl von antisemitischen Tweets auf Twitter verdoppelt

Eine Ursache für Musks Eskalation seiner antisemitischen Rhetorik gegenüber Soros könnte sein, dass George Soros seine Tesla-Aktien im Wert von 16,3 Millionen Dollar verkauft hat. Kombiniert mit Musks Abdriften nach rechts, ist der Ausbruch nicht überraschend – aber umso besorgniserregender. Allein in den ersten drei Monaten nach Musks Übernahme von Twitter hat sich die Anzahl von antisemitischen Tweets bis März mehr als verdoppelt. Die Zahl neu geschaffener Accounts, die Antisemitismus verbreiten, hat sich in diesem Zeitraum mehr als verdreifacht.

Seit der Kritik an seinen antisemitischen Äußerungen hat Musk noch einmal nachgelegt: Er entschuldige sich in einem Interview für seinen Vergleich, der sei unfair gewesen - und zwar dem Comic-Bösewicht gegenüber. Musk nutzt das Interview außerdem, um zu behaupten, der Neonazi, der in Texas am 6. Mai acht Menschen tötete, sei kein Rechtsextremer gewesen. Stattdessen handle es sich bei dem Attentat um eine “Psy-Op”, also eine geheime Operation psychologischer Kriegsführung des investigativen Journalisten-Kollektivs “Bellingcat”, das über Rechtsextremismus berichtet.

Musk gibt hier einen lupenreinen Verschwörungsmythos wieder, der in rechtsextremen Ecken des Internets kursiert. Polizei und Experten haben die Tattoos und Texte des Täters ausgewertet - und sind zu einem eindeutigen Schluss gekommen: Der Mann war ein Neonazi. Er trug unter anderem einen Aufnäher mit der Aufschrift RWDS - eine Abkürzung für “Right Wing Death Squad”, hatte Nazi-Tattoos und glorifizierte das “Dritte Reich”. Dieser Mann, behauptet Musk, sei kein Rechtsextremer. 

Alles in allem sieht es nicht so aus, als würde Musk in nächster Zeit einlenken - im Gegenteil. Einer der mächtigsten Männer der Welt radikalisiert sich weiter - vor unser aller Augen.