Mein Ding mit 16 mit Fritz Egner „Ich habe damals ein paar Platten mitgenommen – ohne zu bezahlen“
Radiomoderator Fritz Egner war in seiner Jugend süchtig nach Schallplatten. Das ging so weit, dass er sogar zu illegalen Mitteln griff, um an die neusten und coolsten Platten aus den USA zu kommen.

In unserer Rubrik „Mein Ding mit 16“ begeben wir uns auf Zeitreise. Wir spulen zurück bis in das Jahr, in dem unser Gesprächspartner 16 Jahre alt war, und fragen: Was war dein Ding mit 16? Vom fahrbaren Untersetzer bis zur Lieblingsband, vom nerdigen Hobby bis zum Liebeskummer – die Antworten sind so unterschiedlich wie unsere Gäste. Diesmal erzählt Radiomoderator Fritz Egner von seinem Ding mit 16, wobei wir eigentlich sagen müssten: sein „Dingsda“ mit 16. Denn „Dingsda“, das war die Fernsehsendung, die Fritz Egner in den 80ern und 90ern bundesweit bekannt machte. In Bayern kannte man ihn auch vorher schon, und kennt ihn bis heute, als musikversierten Radiomoderator, früher bei Bayern 3 und heute bei Bayern 1.
Zündfunk: Fritz, du wurdest 1949 in München geboren. Nimm uns mit ins Jahr 1965, was war dein Ding mit 16?
Fritz Egner: In mir war eine Sucht nach Schallplatten angelegt. Aber irgendwann ist natürlich das Taschengeld knapp geworden. Die Sucht ist ja dafür bekannt, dass man immer mehr will. Und es gab einen Plattenladen in der Sonnenstraße in München – das war für mich ein Pilgerort. Dort war das Weihwasser für den Musikfreak: Platten aus Amerika. Importiert mit dem echten Label und so weiter. Das war fürchterlich verführerisch für mich. Und so kam, als ich 16 war, in diesem Münchner Plattenladen meine dunkle Seite zum Vorschein.
Inwiefern?
Ich wusste, das Geld wird nicht reichen für die Platten, die ich haben will oder eher haben muss. Und deshalb habe ich damals ein paar Platten mitgenommen, ohne zu bezahlen. Ich konnte das aber durchaus rechtfertigen. Musste ich ja auch als katholisch erzogene junger Mann. Ich hatte das Gefühl, ich muss diese Platten retten vor dem Zugriff von unbedarften und inkompetenten Händen. Das konnte ich allerdings der Verkäuferin dort nicht vermitteln, die dann irgendwann gemerkt hat, dass ich nicht vorhatte, die Platten, die ich da mitnehmen wollte, zu bezahlen.
"Die Platten standen in etwa auf Gürtelhöhe in einem Regal. Man musste nur schnell den Bauch einziehen und sie vorne in die Hose reinschieben."
Fritz Egner
Wie hast du versucht, die Platten rauszubringen aus dem Laden?
Die Platten, Singles, standen in etwa auf Gürtelhöhe in einem Regal. Man konnte sie durchblättern und musste nur schnell den Bauch einziehen und sie vorne in die Hose reinschieben. Ich habe mit einer angefangen – und mit zehn aufgehört. Bei zehn Platten hat sich das natürlich deutlich abgezeichnet, dass das weit über das auch vorhandene Geschlechtsteil hinausgeht. Da war mein Übermut zu groß durch all die Glückshormone, die da ausgeschüttet worden sind. Hinzu kam, dass ich heimlich in die Plattenladenbesitzerin verliebt war. Da spielten also Aufregung und ganz viele Emotionen eine Rolle. Als ich zu Hause ankam, habe ich die geklauten Platten mit Samthandschuhen aufgelegt. Ich habe sie noch heute.
Welche Singles denn?
Hauptsächlich Sachen aus den 60er Jahren. Musik, die nur auf dem damaligen amerikanischen Sender AFN lief. Und die es nur in diesem Laden zu kaufen gab, weil sie eben aus Amerika importiert wurden. Bo Diddley zum Beispiel. Seine Platte musste ich haben. Denn das war dann etwas, was nur ich hatte.
Und was passierte, als dich die Plattenverkäuferin beim Klauen erwischte?
Die Frau hatte ein großes Herz und meinte: „Willst du die Platten, die du heute mitnimmst, denn nicht bezahlen?“ Ich habe mich ahnungslos gestellt, und sie hat mich gehen lassen. Sie hätte meinem Leben damals eine andere Weichenstellung verpassen und mich der Polizei melden können. Hat sie aber nicht.
Die Frau hieß Christa Müller, und mehrere Jahre später wollte ich sie im Telefonbuch suchen. Es war natürlich unmöglich, sie zu finden. Es gibt einfach zu viele. Aber dann habe ich dieses dunkle Kapitel meines Lebens bei einer Talkshow mit Johannes B. Kerner öffentlich gemacht. Und am nächsten Tag war das dann Schlagzeile in der Abend- und Tageszeitung, und da hat sie sich dann tatsächlich gemeldet. So konnte ich mich mit Verspätung bei ihr bedanken für ihre Großzügigkeit.
"Plötzlich war ich in einem Schlaraffenland der Schallplatten. Ich bin da nie mit leeren Händen rausgegangen."
Fritz Egner
Wie ging es weiter mit deiner Plattensucht? Durch Klauen konntest du sie ja nun nicht mehr stillen.
Stimmt. Dann kam aber ein Glücksfall. Ich habe mich bei AFN, dem Sender der US-Streitkräfte, als Studiotechniker beworben und wurde auch angenommen. Plötzlich war ich in einem Schlaraffenland aus Schallplatten, und ich wurde zur Kontaktperson erklärt zwischen AFN und den deutschen Plattenfirmen. Nun konnte ich mir die Platten einfach mitnehmen, weil sie die sowieso nicht mehr brauchten. Ich bin da nie mit leeren Händen rausgegangen und konnte meine Sucht so befriedigen und steuern.
Wie wurdest du vom Tontechniker zum Radiomoderator?
Ich habe mich natürlich immer in der Nähe eines Mikrophons aufgehalten, weil ich auch immer hoffte, irgendwann darf ich mal was sagen. Und dann ging das los, dass die auch Verkehrsmeldungen gelesen haben. Aber die deutschen Straßennamen, die konnten sie beim amerikanischen Radiosender nicht aussprechen. Also haben sie mir angeboten, dass ich die Verkehrsmeldungen lese: „Traffic jam at Donnersbergerbrücke.“ Das war der Anfang.
"Wenn der neue Morning-DJ mal verschläft, und darauf habe ich immer gehofft, dann darf ich auf Sendung gehen. An einem Ostermontag kam er tatsächlich nicht, und ich bin in Unterhose ins Studio geflitzt."
Fritz Egner
Dann bot mir der Chef von AFN an: Wenn der neue Morning-DJ mal verschläft, und darauf habe ich immer gehofft, dann darf ich auf Sendung gehen. An einem Ostermontag war es dann so weit. Der Morning-DJ kam nicht. Ich habe damals in dem Haus von AFN gewohnt, also musste ich nur zwei Stockwerke runtergehen ins Studio. In Unterhose bin ich ins Studio geflitzt – und war eineinhalb Stunden auf Sendung. Dann kam der Chef und meinte, das mit der Vertretung sei eigentlich nur ein Scherz gewesen.
Vor dem Rauswurf gerettet hat mich dann die Ehefrau des damaligen amerikanischen Kommandanten von München, die anrief und meinte: „Lass doch den Mann mit dem deutschen Akzent ab und zu wieder ans Mikrofon.“ Auch beim Bayerischen Rundfunk war es so, dass mir die Frauen oder die Kinder der Entscheider den Job gerettet haben. Die Frauen haben den Chefs gesagt: „Das ist doch der Nette aus dem Fernsehen, lasst ihn doch machen.“ Und die Kinder: „Der spielt tolle Musik, der muss bleiben!“
Die Frauen meinten es gut mit dir.
Meistens. Ich wollte meine Musikleidenschaft einfach mit anderen teilen! Ich will mich nicht aufdrängen, das fände ich auch nicht gut. Aber ich wollte die Möglichkeit haben, Leute mit meiner Begeisterung anzustecken. Und das wurde mir dann tatsächlich ermöglicht.
Zuletzt unsere immer gleiche Schlussfrage: Welches Musikstück bringt dich zurück in die Zeit, als du 16 warst – und Singles hast mitgehen lassen, um deine Plattensucht zu stillen?
Eine Single, die ich einerseits damals habe mitgehen lassen – und die andererseits perfekt zum Thema passt: „Stealin' in the Name of the Lord“ von Paul Kelly.