Mittwochabend auf TikTok. In meinem Feed sehe ich einer blonden, jungen Frau zum zehnten Mal dabei zu, wie sie zusammen mit ihrer Mutter einen Song laut mitsingt. Dabei schlägt sie auf den Tisch und lässt ihren Emotionen freien Lauf.

 Als Text steht dazu: „Die, die wissen, wissen.“ Ich werde neugierig. Der Song, den Mutter und Tochter so leidenschaftlich fühlen, heißt „Silver Springs“. Stevie Nicks, die Leadsängerin von Fleetwood Mac, hat ihn geschrieben. Im Jahr 1976. Doch erst seit 2004 ist er auf der Remastered Version des Jahrhundert-Albums „Rumours“ zu finden. Warum? Wegen Drama.

Die, die wissen, wissen

TikToker teilen Live-Auftritte der Band

„Silver Springs“ ist ein Break-Up-Song. Stevie singt darin über die gescheiterte Beziehung zu ihrem Band-Kollegen und Ex-Freund Lindsey Buckingham. Beide kommen 1974 als Paar in die Band. Zusammen mit Christine McVie, John McVie und Mick Fleetwood bilden sie die goldenen Fünf, die berühmteste Besetzung von Fleetwood Mac.

Aber das Innere der Band war alles andere als golden. Während die fünf ihr berühmtestes Album „Rumours“ aufnehmen, kracht es an allen Ecken und Enden. Nicht nur zwischen Stevie und Lindsey. Auch Christine und John McVie lassen sich scheiden. Und Mick Fleetwood beginnt eine Affäre mit Stevie Nicks. Zusammengefasst: Die weltberühmten Songs und Texte auf „Rumours“ entstehen in Krisenzeiten.

Fleetwood Mac-Referate auf TikTok

Fleetwood Mac-Songranking auf TikTok

50 Jahre später halten junge Menschen auf TikTok ganze Referate darüber. Sie erklären, wer welche Songs über wen geschrieben hat. Referieren, wie Lindsey Buckingham angeblich lange verhinderte, dass „Silver Springs“ aufs Album kommt, weil Stevie Nicks ihn im Song ja –Zitat – „komplett auseinander nimmt“.

Außerdem beliebt: kurze Ausschnitte von Fleetwood Mac-Live-Performances. Bis ins Detail wird analysiert, wie die Körpersprache und Blicke der Bandmitglieder von dem erzählen, was hinter den Kulissen passiert. Die Leute sind besessen! Zurecht. Schließlich ist es ja auch unglaublich faszinierend, was geniale Musikerinnen und Musiker am Ende dazu bringt, geniale Musik zu schreiben. In den Kommentaren bei TikTok schreibt einer: Jemand sollte eine Serie darüber machen. Die Antwort kommt prompt: Hey, die gibt es doch schon! Kennst du nicht „Daisy Jones & The Six“?

Der Hype um „Daisy Jones & The Six“

Die Serie „Daisy Jones & The Six“ ist auf Amazon Prime zu sehen

Tatsache. Hier haben wir den zweiten Grund für das Nostalgie-Revival: Eine neue Amazon-Prime-Serie lässt die Zuschauer*innen in die Zeit von damals eintauchen und Mäuschen spielen. Wenn auch nur bei einer fiktiven Band. „Daisy Jones & The Six“ erzählt die Geschichte einer sechsköpfigen Band in den Siebzigern. Und zwar in zwei Zeitebenen. Einerseits sehen wir alle als junge Leute, die zusammen ein unfassbar erfolgreiches Album produzieren und auf Tour gehen. Andererseits lassen die Bandmitglieder Jahrzehnte später in Einzelinterviews die emotional und aufregende Zeit Revue passieren. Und alle zehn Folgen führen in jeweils 60 Minuten zu einem zentralen Ereignis: Dem großen Bruch der Band. Nach der Tour zu ihrem Album gehen „Daisy Jones & The Six“ tief zerstritten auseinander.

Spurensuche

Stevie Nicks von Fleetwood Mac, 1977

Die Serie ist ein heißes Thema auf Social Media. Sie basiert auf einem gleichnamigen Buch der amerikanischen Schriftstellerin Taylor Jenkins Reid. Und sie schürt den Hype um Fleetwood Mac und den Canyon-Rock der Siebziger weiter an. Heiß diskutiert werden Kostüme, Besetzungen und eben, dass der Plot inspiriert, ist von echten Bandgeschichten. Und zwar ziemlich sicher der von Fleetwood Mac. Hallo?? Fünf Mitglieder? Streit? Liebeswirrungen? Alles während der Produktion eines Albums?? Auch die Autorin Reid bestätigt in einem Interview mit Entertainment Weekly: Ihre Liebe zu Stevie Nicks, Lindsey Buckingham und Christine McVie sei groß. Und TikTok teilt diese Gefühle. Warum auch nicht? So waren es doch Fleetwood Mac selbst, die vor 50 Jahren dieses anhaltende Hoch vorhergesagt haben: „You Would Never Break The Chain“.