Bayern 2 - Zündfunk

#failoftheweek Ein neuer TikTok-Filter verspricht ewige Jugend - und Angstzustände

"Bold Glamour" heißt ein neuer TikTok-Filter, der ewige Jugend verspricht. Wer will, kann im Internet aussehen, wie ein Teenager. Das bringt eine Menge Probleme mit sich, kommentiert Christian Schiffer.

Von: Christian Schiffer

Stand: 03.03.2023

Bold Glamour Filter TikTok | Bild: TikTok

Ein TikTok-Filter namens "Bold Glamour" verstört gerade das Internet. "Bold Glamour" macht die Wimpern länger, die Lippen voller, lässt Falten verschwinden, und die Haut ist plötzlich so rein, als würde man die für Pickel und Unreinheiten bekanntlich besonders anfällige T-Zone all paar Stunden in Clearasil einlegen. Die ganzen Sorgen des Erwachsenenlebens, der Alltags-Schmodder, der Stress der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie, kurz: alles, was uns über Jahre tiefe Furchen in die Visage gegraben hat, dank künstlicher Intelligenz verschwindet es auf Knopfdruck. Und so sind auf TikTok Mittvierziger fast den Tränen nahe, weil sie sich plötzlich nochmal als Teenager sehen können. 

Was ist an diesem Filter anders?

Nun ist das Ganze nicht völlig neu. Seit Menschengedenken versuchen wir uns mit technischen Mitteln aufzubrezeln, etwa mit Mascara, Gel oder Bart-Öl. Auch digitale Filter sind an sich nichts Neues. 2021 aktiviert ein texanischer Anwalt in einer Online-Anhörung versehentlich einen Katzen-Filter und beschert der Welt so den witzigsten Moment der gesamten Corona-Pandemie.

Doch Bold Glamour ist ein ganz neues Level von Filter. Der Filter verwischt oder verwackelt sogar auch dann nicht, wenn man die Hand vors Gesicht hält – und wirkt auch dann noch realistisch. Deswegen werden auch Bedenken laut: Was, wenn Erwachsene sich optisch zum Teenager filtern lassen und sich dann Kinder ran machen? Und was macht es mit unserem Selbstbild, wenn alle im Internet irgendwann so aussehen, als hätten sie gerade Abi gemacht und würden nächste Woche nach Lloret de Mar düsen? Auch auf TikTok macht sich ein Unbehagen breit. Denn Bold Glamour passt uns nur oberflächlich dem gängigen Schönheitsideal an. Unter der digitalen Oberfläche ist alles noch wie vorher: Falten, Krähenfüße, Mitesser, Follikel-Filamente und natürlich eine T-Zone, die einer Kraterlandschaft gleicht.

Bold Glamour macht Angst

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, was das mit der Psyche insbesondere von Frauen anrichtet. Gut möglich jedenfalls, dass die Filter uns auch dazu animieren, die Nasolabialfalte mit Hilfe einer Hyaluron-Spritze ein kleines bisschen zu glätten, so dass der Unterschied zwischen Filter und Realität ein kleines bisschen eingeebnet wird. 

Doch die neue schöne Filter-Welt könnte noch weit kuriosere Blüten hervorbringen. 2021 entpuppt sich eine aparte, junge Motorrad-Influencerin mit 28000 Twitter-Follower als grauhaariger Japaner. Der 50-jährige hatte seine Selfies mit Hilfe einer App zu denen einer jungen Frau umgemodelt. Statt zehn Likes, gab es für seine Bilder nun hunderte. 

Was soll das alles?

"Im Internet weiß niemand, dass Du ein Hund bist", mit diesen Worten ist ein berühmter Cartoon überschrieben, der vor fast genau 30 Jahren im New Yorker erschienen ist. Der Satz steht für ein großes Versprechen des Netzes: Hier kannst Du sein, wer Du willst. Dank der neuen Filter könnten dieses Versprechen nun wahrer werden, als jemals zu vor. Rentner könnten im Netz für immer ihr Babyface behalten und alternde Zündfunk-Kolumnisten ihr Glück nochmal als junge K-Pop-Influencerin versuchen. Pickel und Unreinheiten könnten bald unser kleinstes Problem sein.