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#failoftheweek Warum man dieses Videospiel boykottieren sollte – aber dies gar nicht so leicht ist

"Atomic Heart" ist ein tolles Computerspiel und eines, das man nicht spielen sollte: Sowjet-Nostalgie und Russland-Symbolik sind in Zeiten eines russischen Angriffskriegs schwer zu ertragen. Doch Microsoft macht den Boykott schwierig.

Author: Christian Schiffer

Published at: 22-2-2023

Artwork aus dem Computerspiel Atomic Heart. | Bild: Pressebild Mundfish

„Atomic Heart“ beginnt mit einer Parade, die aus einem sowjetischen Propaganda-Aufmarsch des 20. Jahrhunderts herausgepurzelt sein könnte. Das hier allerdings, das ist die Zukunft. Die Sowjetunion ist nie untergegangen, ist zur führenden Technologie-Nation aufgestiegen und hat sogar Mond und Mars kolonisiert. Überall grüßen humanoide Roboter, es gibt riesige Propagandastatuen und Wandbilder, die dem sowjetischen Realismus entspringen. Dazu Labore, Hydro-Gärten und schwebende Städte aus glänzendem Metall.

Hinzu kommt eine eigenwillige Melange aus Art Nouveau und der Stromlinien-Moderne, die sich in elegant geschwungenen Transportkapseln, kantenlosen futuristischen Fahrzeugen und Forschungsanlagen zeigt. Das alles zusammen wirkt unheimlich futuristisch, aber eben auch auf merkwürdige Weise nostalgisch. Der Stil des Action-Rollenspiels erinnert an die utopischen Cover von osteuropäischen Science-Fiction-Romanen und so etwas, das muss man so deutlich sagen, hat man auf dem Bildschirm bislang noch nicht sehen, geschweige denn erforschen können. Dann irgendwann bricht die Hölle aus, die Roboter wenden sich gegen ihren Schöpfer und es ist erst einmal vorbei mit der sozialistischen Eiapopaia-Welt.

Deplatzierte Sowjet-Nostalgie

Die Action, die dann folgt, ist unterhaltsam, aber insgesamt jetzt auch nicht hyper-innovativ. Und dennoch: „Atomic Heart“ ist ein gutes Computerspiel, ein sehr gutes sogar. Aber es ist zugleich auch ein heikler Spaß. Das liegt nicht nur an der triefenden Sowjet-Nostalgie, die in Zeiten, in denen in Russland wieder dem Diktator Josef Stalin gehuldigt wird, deplatziert wirkt. Gerade erst hat sich die österreichische Skaband Russkaja aufgelöst. Angesichts des Ukraine-Kriegs könne man nicht mehr mit russischen und sowjetischen Klischees spielen.

Ganz ähnlich ist das bei „Atomic Heart“. Das Entwicklerstudio stammt außerdem aus Russland, auch wenn es sich beeilt hat zu verkünden, dass man mittlerweile in Zypern ansässig sei. Die Investoren der Games-Schmiede sollen Verbindungen zum Putin-Regime unterhalten und finanziell die von Russland auf ukrainischem Territorium ausgerufene Volksrepublik Donezk unterstützt haben. In einigen Ländern wird das Spiel zudem von VK Games vertrieben, dessen Chef auf der Sanktionsliste der USA und der EU steht. Vor allem aber hat sich das Studio erst sehr spät zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geäußert und das auch nur mit einer wachsweichen Erklärung, die auch von Sarah Wagenknecht hätte stammen können.

Wer einen Game Pass hat, unterstützt das Spiel automatisch

Der ganze Sowjet-Kitsch? Die ganzen kommunistischen Übermachtsphantasien? Die Fahnen, die einem in dem Spiel begegnen und die an die verschiedenen sowjetischen Teilrepubliken erinnern? Das soll unpolitisch sein? Machen wir uns nichts vor: Wer mit Atomic Heart seinen Spaß haben möchte, der sollte sich zumindest so lange gedulden, bis Russland die Ukraine verlassen hat und Putin in Den Haag auf seinen Prozess wartet.

Da gibt es allerdings ein Problem: Das Spiel zu boykottieren ist gar nicht so einfach. Atomic Heart wird zum Release in Microsofts Game Pass enthalten sein, eine Art Netflix für Spiele. Wer also monatlich eine Abo-Gebühr für den Game Pass abdrückt, der finanziert damit indirekt auch ein fragwürdiges Produkt mit. Warum hat Microsoft das Spiel trotzdem in seinen Katalog aufgenommen? Warum ausgerechnet fördert eine US-amerikanische Firma fast genau ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges ein Spiel, das Putin wohl lieben würde, wenn er nicht gerade damit beschäftigt wäre, andere Länder zu überfallen? Man hätte es gerne erfahren. Der Zündfunk hat bei Microsoft mehrmals nachgefragt, doch Antworten gab es keine. Der Kapitalismus, der alte Schlawiner, am Ende gewinnt er halt doch immer.