Kinotipp „Einfach machen!“ Warum wir Frauenpunkbands heute genauso dringend brauchen wie 1977
Punkbands wie Östro 430, Malaria! oder Kleenex haben männliche Rock-Dinosaurier vom Thron gestoßen und Frauen ins Rampenlicht gerückt. Eine neue Doku erzählt von ihrem Erbe – und begleitet die Sheroes bei der Rückkehr auf die Bühne.

Die männlichen Rockdinosaurier hatten es sich gemütlich eingerichtet auf ihrem Thron. Aber sie waren bereit zum Königsmord: Frauenpunkbands der Siebziger und Achtziger. Bands wie Mania D (später Malaria!) aus Berlin, Kleenex (später LiLiput) aus Zürich oder Östro 430 aus Düsseldorf. „Es war eine unglaubliche Freiheit“, erinnert sich Martina Weith von Östro 430. „Und die galt natürlich auch für uns Frauen.“ Gitarrengott war gestern: Es sei nicht mehr darum gegangen, ein Instrument perfekt zu beherrschen. Sondern darum, alles und sich selbst auszuprobieren. „Einfach machen!“ – das war das Credo.
Und „Einfach machen!“, so heißt auch eine neue Doku, die die Geschichte der She-Punks in Westdeutschland und der Schweiz von 1977 bis heute erzählt. Mit Archivmaterial, Konzertaufnahmen und Interviews mit Szenegrößen wie Gudrun Gut, Bettina Köster – oder eben Martina Weith. Dem Zündfunk hat die Sängerin von Östro 430 erzählt, wie sie überhaupt zum Punk kam.
Eine Offenbarung im Ratinger Hof
„Es war eine Offenbarung“, sagt Martina Weith. Ihre Offenbarung erlebt sie Ende der Siebziger nicht in der Kirche, sondern im Ratinger Hof. Keimzelle der deutschen Punkszene – und Pilgerort. Schon als Schülerin pilgert sie aus Mönchengladbach dorthin, denn diese Düsseldorfer Kneipe war anders. Anders als die „grottenlangweiligen Hippie-Kneipen“, die sie kannte: „Keine Dope-Schwaden, keine fürchterlichen Weinflaschen mit langen Kerzen, kein schummriges Licht.“ Im Gegenteil. „An der Decke eine Neonröhre neben der anderen – der Ratinger Hof war so gemütlich wie eine Bahnhofvorhalle.“ Weiße Wände voller Graffiti und Edding-Kritzeleien, und vor allem: Hier liefen die Pistols, die Stranglers oder Devo.
Es gibt doch ein Ü30-Leben: Martina Weith und Band-Kollegin Bettina Flörchinger in der Doku „Einfach machen!“
„Harte und wilde Musik, die in die Knochen ging und die das Lebensgefühl vertrat, das ich hatte.“ Denn es ist Kalter Krieg. Die Pershing-Raketen und ihre Atomsprengköpfe sind nicht weit. Und Martina Weith und ihr Umfeld glauben nicht, älter als 30 zu werden: „Wir hatten Wut und eine Weltuntergangsstimmung.“
Die Parole No Future bestimmt damals ihr Denken – und Handeln. Wenn du keine Zukunft, nichts zu verlieren hast, warum nicht machen, worauf du Bock hast? „Im Ratinger Hof machte jeder Musik“, sagt Martina Weith. Ihre eigene Bandgeschichte beginnt mit einem Streit in der Schlange vor einem Nina-Hagen-Konzert. „Eine Alte hat sich vorgedrängelt, also habe ich sie zusammengeschrien, später standen wir dann nebeneinander vor der Bühne.“ Beide singen lauthals mit. „Und nach dem Konzert hat die mich gefragt, ob ich in ihrer Band singen will.“ Es ist eine Band, die ausschließlich aus Frauen besteht. Und so benennen sie sich nach dem weiblichen Sexualhormon Östrogen und der Kennung der Düsseldorfer Innenstadt 430.
Damenkappelle mit Go-go-Tänzerinnen?
Fast zeitgleich gründen sich Frauenpunkbands in Berlin, Zürich und auch andernorts. Sie singen über weibliches Begehren und sexuelle Übergriffe. Über kaltes klares Wasser, Randale und Bier. Und sie alle stoßen auf Unverständnis: Im Fernsehen werden Bands wie Östro 430 als „Damenkapelle“ angekündigt, die Bravo schreibt von „coolen Weibern mit scharfen Texten“ und so mancher Booker erwartet Go-go-Tänzerinnen, als er die Punkerinnen bucht. „Warum eine Mädchenband?“, fragt eine Reporterin die junge Gudrun Gut. „Warum denn nicht?“, antwortet die heute 67-Jährige in der Doku. „Warum muss man sich dafür rechtfertigen, dass man keine Männer nimmt?“
Aber auch die Frauenbewegung, die damals in der Bundesrepublik immer größere Wellen schlägt, fremdelt mit ihren Schwestern. Als Östro 430 in den Achtzigern bei einem Frauenfestival eingeladen sind, kommt es zum Clash: „Wahrscheinlich dachten die, jetzt kommen Liedermacherinnen mit sanften Gitarrenklängen – aber dann kamen wir.“ Als Martina Weith damals die Bühne betritt, traut sie ihren Augen nicht. Nichts mit Pogo: „Da saßen Lila-Latzhosen-Elsen auf dem Fußboden vor der Bühne und tranken Tee.“
„Punk ist keine Musikrichtung“
Letztlich geht es der Frauen- wie der Punkbewegung um Selbstbestimmung. Und doch ist auch der Punk nicht gefeit vor Mackertum und männlichen Platzhirschen: „Wir wollten nicht den hundertsten Musikfilm über die Sex Pistols machen, sondern endlich die Geschichte dieser Frauen erzählen“, sagt der Schweizer Regisseur Reto Caduff. Er hat „Einfach machen! She-Punks von 1977 bis heute“ umgesetzt. Idee und Drehbuch kommen von der Musikjournalistin Christine Franz.
Der Film fokussiert sich auf die Bands Östro 430, Malaria! und Kleenex, und ihr Umfeld vom Ratinger Hof bis zum unabhängigen Berliner Label Monogam Records. Einerseits weil diese Bands und ihre Protagonistinnen stilbildend waren. „Und weil sie zur Zeit der Dreharbeiten alle wieder Sachen gemacht haben“, so Caduff. Östro 430 hat sich 1984 aufgelöst – aber 2019 mit neuer Schlagzeugerin und Gitarristin neuformiert.
Kleenex-Mitglied Klaudia Schifferle spielt nach Jahren als bildende Künstlerin nun mit Onetwothree wieder Konzerte: „Ich finde das eine Message, als Frau auch dann auf die Bühne zu gehen, wenn man nicht mehr hübsch und nett ist“, sagt sie in der Doku. Und dass sie sich ihren Platz in ihrem Alter nicht mehr erkämpfen müsse. „Den nehme ich mir einfach.“ Und auch Malaria! sind wieder zusammen aufgetreten, obwohl, so Bettina Köster im Film, Gudrun mal gesagt habe, „nie im Leben würde sie mit mir jemals wieder auf die Bühne gehen.“
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Der Bogen in die Gegenwart bewahrt „Einfach machen!“ davor, in eine Nostalgie-Nummer abzurutschen. Der Film funktioniert auch, aber nicht nur für Leute, die in den Achtzigern mitgepogt haben. Das erklärte Ziel des Regisseurs war es, „dass die Leute aus diesem Film rausgehen und etwas von der Punkattitüde dieser Frauen mitnehmen.“ Also Bands gründen, gemeinsam Musik machen und sich nichts vorschreiben lassen. Die Weltlage sei viel zu ernst, um nur nach hinten zu schauen, sagt eine junge Punkmusikerin in der Doku. Martina Weith stimmt zu. Punk sei für sie keine Mode oder Musikrichtung: „Für mich heißt Punk: Nicht konform zu sein, kein Mitläufer zu sein. Augen auf und, wenn nötig, aufstehen und sich wehren. Gut gelaunt gegen den Strom.“ Früher hat sie einfach gemacht. Und jetzt – macht sie weiter.
„Einfach machen! She-Punks von 1977 bis heute“, Deutschland/ Schweiz 2024, 89 Minuten. Regie: Reto Caduff, Drehbuch: Christine Franz, u. a. mit Gudrun Gut, Beate Bartel, Bettina Köster, Sara Schär, Klaudia Schifferle, Martina Weith und Bettina Flörchinger. Ab 1. Mai in ausgewählten Kinos, Termine hier.