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Booker Prize-Träger Douglas Stuart Der Roman "Young Mungo" erzählt "Romeo und Julia" in queer

Eine schwule "Romeo und Julia"-Story, ein Ken Loach-Film als Buch, ein Coming of Age-Roman, ein Krimi – das alles ist "Young Mungo", der zweite Roman von Douglas Stuart. Für sein Debüt "Shuggie Bain" hat der 46-Jährige den Booker Prize gewonnen.

Author: Caroline von Lowtzow

Published at: 15-3-2023

Douglas Stuart: Young Mungo (Cover) | Bild: Hanser

Schon mal was vom „Glasgow-Effekt“ gehört? Nein? Ich auch nicht – bis ich den Roman Young Mungo gelesen habe. In Großbritannien liegt die Lebenserwartung der Männer durchschnittlich bei 77 Jahren, die der Frauen sogar bei 81. Nicht so in Glasgow. In Glasgow kommt der Tod schon mit 53. Jedenfalls, wenn man in bestimmten Vierteln im Osten der schottischen Stadt lebt.

Der Glasgow-Effekt

Hier, im Glasgow der 90er Jahre, wächst der 15-jährige Mungo heran – mit seiner alkoholkranken Mutter Mo-Maw, die regelmäßig tage- und wochenlang verschwindet, immer auf der Suche nach einem Drink und einem Mann, der sie liebt. Mungo wächst mit seinem gewalttätigen Bruder Hamish auf, der eine Protestanten-Gang anführt, nachts Baustellen ausraubt, sich mit den Katholiken aus dem Nachbarviertel prügelt, jeden als Scheißschwuchtel beschimpft. Er möchte aus dem sanften Mungo einen Mann machen. Die Mutterrolle übernimmt seine kluge Schwester Jodie. Sie ist nur ein Jahr älter als Mungo, hat ein Verhältnis mit ihrem Lehrer hat und hofft, es mit seiner Hilfe auf die Uni zu schaffen.

Wie aus einem Ken Loach Film

Es ist ein tristes Leben voller Gewalt, Suchtproblemen, Arbeitslosigkeit, Geldmangel, toxischer Männlichkeit, ein Leben, in dem es außer Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit wenig gibt. Die Firmen der Stahl- und Textilindustrie haben dicht gemacht, auch die Werften, zurück bleiben Armut, Langeweile, Trostlosigkeit. Ein Leben wie aus einem Ken Loach Film, nur dass es kein Film ist, sondern Realität. In den 90ern, in denen Young Mungo spielt, genauso wie heute. In einem aktuellen Artikel der Zeitung Welt sagt der Leiter eines Gesundheitszentrum im Glasgower Osten: „In Schottland und speziell Glasgow haben wir die höchste Rate alkoholbedingter Todesfälle in Europa. Hinzu kommt ein massives Drogenproblem.“ Das ist er wohl, der Glasgow-Effekt.

Stuarts Debüt: „Shuggie Bain“

Der schottische Autor Douglas Stuart

Wie Mungo ist auch Douglas Stuart selbst in Glasgow aufgewachsen. Mit einer Alkoholikerin als Mutter. Eines Tages, als Stuart aus der Schule heimkam, war sie einfach tot. Da war Stuart 16. Über das Verhältnis eines Jungen zu seiner alkoholsüchtigen Mutter hat Stuart seinen ersten Roman geschrieben: „Shuggie Bain“. 44 Verlage hatten das Manuskript abgelehnt. Nachdem es doch noch veröffentlicht wurde, gewann das Buch gleich den Booker Prize, eine der wichtigsten literarischen Auszeichnungen der Welt. 1,75 Millionen mal hat sich der Roman seitdem verkauft. Es klingt zu schön, um wahr zu sein. Nach einem Wunder, von dem der junge Mungo nur träumen kann.

Das Wunder

Und doch tritt das Wunder eines Tages in sein Leben: In Form eines Taubenschlags und dessen Besitzers. Es ist das Wunder der Liebe: „Er war weder Junge noch Mann oder beides, je nachdem, wie das Licht auf ihn fiel. Er trug einen grau melierten Trainingsanzug, dazu eine dunkelblaue Fischermütze. Er hatte Segelohren, die wie zwei weiche Kohlblätter aussahen.“

James ist wie Mungo Halbwaise und hat sich auf einem grünen Fleck zwischen den Mietskasernen einen Taubeschlag gebaut, eine Oase der Ruhe und des Friedens in all dem Leid, das das tägliche Leben durchzieht. Doch James ist Katholik. Als Mungos Bruder von der Freundschaft erfährt, droht er den Taubenschlag samt James abzufackeln. Was würde also erst passieren, wenn entdeckt würde, dass Mungo James geküsst hat. 

Mitreißend und mitfühlend

Doch die grausame Welt der Mietskasernen erlaubt keine Schönheit, kein Glück, sie ist wie ein gefräßiger Schlund, der alle Sanftheit sofort vernichtet, wie eine Planierraupe, die jedes zarte Gefühl platt walzt. „Romeo und Julia“ geht auch in den 90ern in Glasgow nicht gut aus. Zu sehr sind die Männer in ihren toxischen Idealen gefangen, die Frauen zu sehr verstrickt in Rechtfertigung und Scham, Nähe kann es nur geben verbunden mit Härte und Gewalt. Dennoch ist das Buch „Young Mungo“ kein bloßer Elendsvoyeurismus, keine reine Trauma-Verarbeitung des Autors, sondern ein tolles Buch: Mitreißend erzählt und vor allem mit seinen Figuren und ihren Abgründen mitfühlend bis zur letzten Seite. Und alle die die Brutalität abtun wollen mit dem Verweis auf die 90er oder auf das Milieu: Erst diese Woche wurde wieder gemeldet: Queere Menschen werden in Bayern überdurchschnittlich Opfer von Straftaten.

„Nicht für Kinder und Jugendliche oder empfindsame Gemüter geeignet“, ein solcher Warnhinweis wie er vor manchen Serien eingeblendet wird, könnte auch gut auf Seite eins von „Young Mungo“ stehen. Aber dann hätte ich das Buch vielleicht nicht gelesen und das wäre ein großer Verlust.

„Young Mungo“ von Douglas Stuart ist im Hanser Verlag erschienen und kostet 26 Euro
Übersetzt aus dem Englischen von Sophie Zeitz