Bayern 2 - Zündfunk

Podcast "Boys Club" Diese Journalistinnen wollen Machtmissbrauch im Axel-Springer-Verlag aufdecken

Spätestens seit der Affäre um den ehemaligen BILD-Chefredakteur Julian Reichelt steht der Axel-Springer-Konzern unter Druck. Von Machtmissbrauch ist die Rede und von einer "toxischen Unternehmenskultur". Der neue Podcast "Boys Club" von Pia Stendera und Lena von Holt befasst sich mit dem System BILD.

Published at: 18-4-2023

Die Journalistinnen Lena von Holt und Pia Stendera vom Podcast "Boys Club" | Bild: Livia Kappler

Vorwürfe des Machtmissbrauchs, das Ausnutzen von Abhängigkeiten und eine giftige Unternehmenskultur: Die BILD steht mächtig unter Druck. Vor kurzem wurde diese Diskussion noch durch geleakte Nachrichten von Springer-Chef Mathias Döpfner erneut befeuert. In SMSen beleidigte er ostdeutsche Bürger und versuchte mutmaßlich, in den redaktionellen Alltag einzugreifen, um eigene Interessen zu platzieren.

Jetzt gibt es einen neuen Podcast, der sich mit der Thematik befasst: "Boys Club". Dafür haben die Journalistinnen Pia Stendera und Lena von Holt monatelang recherchiert - und sind bei Betroffenen auf ein Klima der Angst gestoßen. Einige haben schließlich vor dem Mikrofon mit ihnen gesprochen, darunter eine junge Frau, mit der der ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt ein privates Verhältnis hatte. Sie geriet dadurch immer mehr in seine Abhängigkeit, so weit, dass sie sogar für ihn gelogen hat, als es ein erstes Compliance-Verfahren bei der BILD gab. Wir haben mit Pia Stendera und Lena von Holt über ihre Recherche gesprochen.

Zündfunk: Euer Podcast "Boys Club" soll zeigen, dass Machtmissbrauch bei Springer kein Einzelfall sei, sondern ein System.

Der ehemalige Chef-Redakteur der BILD, Julian Reichelt.

Pia Stendera: Genau. Das haben wir in der Recherche herausgefunden. Mechanismen, die seit Jahrzehnten aufgebaut sind, greifen bei den Menschen ähnlich und dementsprechend begeben sich die Menschen auch in ähnliche Situationen. Sie überschreiten ganz praktisch ihre eigenen Grenzen, indem sie zum Beispiel zwanzig Kilo abnehmen, um hübscher zu sein, da hatten wir auch ein Beispiel im Podcast. Oder, indem sie kaum noch Freizeit haben und kaum noch mit Menschen aus der Außenwelt zu tun haben, sondern sich hauptsächlich in diesem Springer-Kosmos bewegen. Und dadurch verschiebt sich auch völlig das eigene Verständnis davon, was ein Skandal ist und was normal ist.

Es ist schon in der ersten Folge eures Podcasts ziemlich beklemmend zu hören, wie lange Julian Reichelt gedeckt wurde, also wie viele Leute wirklich existenzielle Angst hatten, mit euch zu reden. Wie konnte denn so eine Dynamik um eine Führungsperson herum entstehen?

Pia Stendera: Ich glaube, dafür ist erstmal wichtig zu wissen, dass die BILD ein sehr hierarchischer Laden ist. Man hat sehr, sehr große Hierarchiestufen. Da duzen sich alle, gar kein Thema, es herrscht ein total laissez-fairer Ton, aber es gibt eben starke Hierarchien. Ich glaube, das ist schonmal ein Grund. Ein weiterer Grund ist sicherlich auch, das bei der BILD sehr schnell sehr junge Leute weit kommen können. Es gibt dort auf jeden Fall Möglichkeiten, gefördert zu werden, gesehen zu werden und ziemlich schnell durchzustarten. Und diese Kombination: Die Möglichkeit, sehr schnell durchstarten zu können, auf der einen Seite und auf der anderen Seite eine Chef in einem sehr hierarchischen Konstrukt, das ist ein, nennen wir es mal "gutes Umfeld", damit Machtmissbrauch entstehen kann.

Am 16. April ist euer Podcast gestartet. Am 19. April erscheint ein Roman von Benjamin Stuckrad-Barre, der ja bis zur Reichelt-Affäre mal ganz eng gewesen war mit Matthias Döpfner, dem Springer-Chef. Schon irgendwie bemerkenswert, diese Anhäufung von Springer-Details und -News gerade. Habt ihr da irgendwie eure Finger drin, in so einer Art Guerilla-PR oder so?

Springer-Chef Mathias Döpfner.

Lena von Holt: Nein. Dass die Reichelt-Affäre herauskam ist über ein Jahr her. Ich glaube, wahrscheinlich sind wir nicht die Einzigen, die sich gedacht haben: "Das war's noch nicht, das, was erzählt wurde. Das reicht noch nicht, um das Ausmaß dessen zu verstehen, was da eben passiert ist." Ich bin froh, dass da jetzt so viel Aufmerksamkeit da ist, weil das natürlich auch die Möglichkeit bietet, in der Öffentlichkeit darüber zu diskutieren. Ich merke das auch selber an mir: In dem Moment, wo man sich mit Machtdynamiken auseinandersetzt, bekommt man natürlich auch einen ganz anderen Blick, mit dem man durch die Welt geht. Man hört diese Geschichten plötzlich überall. Es ist nicht so, dass wir sagen: "Dieses Problem gibt es nur bei Springer." Wir sagen, dass es Räume sind, wo das vielleicht etwas mehr stattfindet. Aber das gibt es natürlich überall.

Pia Stendera: Man muss auch sagen: diese SMS-Nachrichten von Döpfer zum Beispiel, die jetzt in der Zeit herauskamen, die gibt es de facto einfach. Das wurde nicht irgendwie für eine Kampagne gesucht, sondern die gibt es. Und genauso gibt es betroffene Frauen. Die in dem Moment in einer investigativen Recherche vielleicht noch nicht so outspoken waren, wo es noch darum ging, dass ein Mann wie Julian Reichelt ihr Chef bleiben könnte. Die haben in dem Moment vielleicht noch nicht genau das gesagt, was sie sagen wollen, weil Dinge auch einfach Zeit brauchen und weil sich die Machtdynamiken in dem Laden verändern. Aber auch weil so eine Geschichte zu verarbeiten, glaube ich, Zeit braucht und das jetzt einfach noch nicht auserzählt ist. Ich bin wahnsinnig froh und dankbar, dass sich immer mehr Menschen trauen, mehr zu erzählen.

"Boys Club" ist ein Spotify Podcast-Original. Ab dem 16. April 2023 erscheint wöchentlich eine neue Folge.