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Das Corona-Tagebuch Vegetarismus jetzt! Tönnies verdeutlicht einmal mehr, wie krank die Fleischindustrie ist

Der Corona-Ausbruch auf dem Tönnies-Schlachthof lässt hoffen, dass die Politik endlich Konsequenzen zieht und die unwürdige Behandlung von Mensch und Tier beendet. Carolin von Lowtzow hat ihre persönliche Konsequenz schon gezogen: Sie ist Vegetarierin geworden.

Von: Carolin von Lowtzow

Stand: 22.06.2020 | Archiv

Workin Germany Redakteurin Caroline von Lowtzow | Bild: BR/Max Hofstetter

Ich bin jetzt Vegetarierin. Seit Tönnies. Ich weiß, das ist spät und es ist auch nicht so, als hätte ich nicht schon vorher gewusst, wie übel die Zustände in solchen Betrieben sind und welche Auswirkungen Fleischkonsum auf die Umwelt hat und wie verachtend die Massentierhaltung ist... Aber ich habe nie die Konsequenzen daraus gezogen, jedenfalls nie ganz. Bis jetzt.

Schon nach dem ersten Corona-Massenausbruch in Schlachthöfen vor etwa einem Monat, habe ich gedacht: jetzt aber wirklich. Dann kam noch die Debatte über die Kastenstandhaltung von Zuchtsauen und dann Tönnies in Gütersloh. Und einmal mehr wird klar: Zwischen Vieh und Mensch wird in dieser Branche kaum unterschieden, denn die Arbeiter bei Tönnies haben kaum mehr Platz als die Zuchtsauen in ihrem Kastenstand. 

„Zum Glück sind es ja nur Bulgaren und Rumänen, die betroffen sind, und die das Virus auch noch eingeschleppt haben“, so jedenfalls konnte man Armin Laschets missglücktes erstes Statement zur Lage interpretieren. Längst ist er zurückgerudert. Die Lage hat sich dennoch nicht verändert. In einer vernünftigeren Welt hätte in der Eilmeldung, die vor wenigen Tagen auf meinem Handy aufpoppte, gestanden: „Aufgrund erneuten Corona-Massenausbruchs alle Schlachthöfe und Fleischfabriken bis auf weiteres geschlossen.“ Stattdessen lese ich: „Alle Schulen und Kitas in Gütersloh wegen Covid-19-Ausbruch geschlossen.“ Billigfleisch ist eben immer noch systemrelevanter als die Bildung unserer Kinder. 

Upton Sinclairs Enthüllungen

30.000 Schweine werden bei Tönnies täglich geschlachtet. Vom Logo des Konzerns lachen einen glückliche Kühe und Schweine an. Eine Farce. Dass Schlachthöfe ein grauenhafter Ort sind, das hat Upton Sinclair bereits 1906 ekelerregend eindrucksvoll in seinem Enthüllungsroman „Der Dschungel“ beschrieben. Im Oktober 1904 hatte er sich in einen der riesigen Schlachthöfe Chicagos eingeschlichen und dort für einige Wochen gearbeitet. Schon damals schufteten in den USA vor allem osteuropäische Einwanderer in den Schlachthöfen und wurden dort nicht besser als Vieh behandelt. Sie arbeiten unter schrecklichsten hygienischen Bedingungen, werden ausgebeutet, verschwinden oder sterben. Und die detailgenaue Art und Weise, auf die Upton Sinclair beschreibt, was dort wie alles verarbeitet wird – das bekehrt einen ganz schnell zum Vegetarismus. Zum, Beispiel wie verfaultes Fleisch mit anderem vermischt wird: “Fleisch, das auf den Fußboden gefallen war, in den Schmutz und in das Sägemehl, auf dem die Arbeiter herumgetrampelt waren und in das sie Milliarden Tuberkulosebazillen gespuckt hatten, wanderte ebenso in die Fülltrichter.”

Gammelfleisch lässt grüßen

Gammelfleisch lässt grüßen, damals wie heute. Schuld ist, auch damals wie heute, das kapitalistische System, der Preisdruck, die Konkurrenz. Effizienz und Größe sind alles, auch im Dschungel, den Upton Sinclairs Protagonist am ersten Arbeitstag gezeigt bekommt: „In den Yards gebe es 250 Meilen Eisenbahnschienen, berichtete der Führer. Auf ihnen kämen jeden Tag rund 10.000 Rinder angerollt, die gleiche Anzahl Schweine und halb so viele Schafe - das bedeute, dass hier im Jahr acht bis zehn Millionen Lebendtiere zu Fleisch verarbeitet werden. “ Schlachten am Fließband - auch bei Tönnies, Westfleisch und allen anderen hat sich an diesem Prinzip nichts geändert.

Die Krise macht es sichtbar

Massentierhaltung und industrielle Fleischproduktion treibt nicht erst seit Corona Menschen auf die Straße und in den Vegetarismus. Aber die Krise macht eben noch mal sichtbarer, was vorher schon nicht vertretbar war. Umso mehr wundert mich, warum nicht wenigstens jetzt gesagt wird: So geht es nicht weiter! Wir wollen nicht, dass Menschen unter diesen Bedingungen wohnen und arbeiten müssen und wir wollen das nicht essen. Mein Einzel-Vegetarismus wird das nicht bewirken können. Präsident Theodore Roosevelt musste nach Erscheinen von Upton Sinclairs Roman übrigens neue Gesetze erlassen: Das "Gesetz zur Reinhaltung von Lebensmitteln" und das "Fleischbeschaugesetz". Später, unter Präsident Reagan, lockerte man die Kontrollen wieder - um Geld zu sparen. 

Was ich bei meinem neuen Bekenntnis zum Vegetarismus leider nicht mit bedacht habe: Meine Kinder. Denn deren Lebensmotto heißt ungerührt: Fleisch ist mein Gemüse. Sie davon zu überzeugen, auf Schnitzel, Gelbwurst und Wiener zu verzichten, wird noch ein hartes Stück Arbeit. Aber zum Glück gibt es ja Spaghetti mit Tomatensauce.


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