Radio Rudina, kiosk Radio, Radio80000 Mehr Community Radios braucht die Welt!
Sie sind ein Gegenentwurf zu Individualismus und Kommerz in der Clubkultur: Immer mehr Community Radios sprießen aus dem Boden. Ehrenamtlich und lokal organisierte Sender, die Musik und Moderation online Streamen – ob aus New York, Sao Paolo, Brüssel, Wien oder München.

Eine Nebengasse im 1. Wiener Bezirk. Über einen Seiteneingang bringen Pagen das Gepäck der High Society ins Luxushotel Bristol. Meine Begleitung und ich stehen an diesem Januartag fröstelnd vor einer prächtigen dunkelbrauen Holztür. Als DJ habe ich hier heute einen besonderen Gig. Und auf einem Klingelschild aus Messing finden wir unser Ziel: Radio Rudina. Ein nicht-kommerzieller Ort mitten im Nobelbezirk: Ein Community-Radio – und die angesagteste DJ-Plattform Österreichs.
Radio Rudina: Community Radio im Wiener Nobelbezirk
"Unser Ziel ist einfach, Musik zu verbreiten und dass jeder sein Ding zeigen kann", erklärt Yvonne Tadić, Mitgründerin von Radio Rudina. So könne man wirklich vieles machen, wenn man mit mehreren Personen zusammenarbeite. So ein Community-Radio sei ein Gegenentwurf zum Individualismus, ein Beweis, dass man eben nicht alles alleine machen müsse.
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ALBA | Radio Rudina
Community Radios, das sind lokale Radios, hinter denen meist ein Team aus Ehrenamtlichen steht, die Musik streamen, meist im Internet und ohne eigene Radiofrequenz. Die Idee für Radio Rudina kam Yvonne Tadić und ihren zehn Kollegen 2019 im Sommerurlaub auf der kroatischen Insel Hvar. Dort liegt Rudina, Yvonne Tadićs Heimatdorf.
Auf ihrem Freundschaftsurlaub in dem alten Dorf wollten sie eine Ausstellung zwischen den illustren Steinhäusern organisieren, die eine super Kulisse darstellten. Teil davon sollte auch Musik sein und die wollte die Gruppe für andere Freunde streamen. "Quasi Pirate-Radio mäßig", erklärt Tadić, "für die Freunde, aus Wien und Salzburg, die nicht mitgekommen sind, dass sie es auch hören können." Als sie einen Namen für das Projekt brauchen, entsteht spontan: Radio Rudina. "Es war einfach nur ein cooler Witz, ein cooles Wordplay", erinnert sich die Yvonne Tadić, "Mein Cousin hat die Gitarre gespielt. Wir haben sehr viel getanzt und getrunken. Es war einfach ein wunderschöner Sommerabend."
Ein internationales Radio-Netzwerk
Fast sechs Jahre später bringt uns die Wiener DJ und Veranstalterin von der Holztür eine Wendeltreppe hinunter und durch einen Gang in zwei Räume mit Holzvertäfelung. Das ist also der berühmte Hintergrund, den wir aus den Rudina-Streams auf Twitch und Youtube kennen, die mittlerweile je nach Video über 200.000 Leute erreichen. Wie eine runtergerockte Hotel-Lounge sieht alles aus. Zwei Ledersofas, Teppiche, ein paar Tische und natürlich das DJ-Setup, professionell in ein Holz-Pult eingelassen. Die angesagtesten Artists der Szene haben sich hier bereits die Ehre gegeben: der deutsche Dance-Chef Malugi aus Köln, Hard-Techno-Priester Adrian Mills aus Pforzheim, aber auch der Wiener Musiker Bibiza.
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BIBIZA | Radio Rudina Live Session
Mehr denn je sind Community-Radios heute ein elementarer Teil lokaler Kultur. Weltweit. Subtle Radio in London. The Lot in New York. Radio Veneno in Sao Paolo. Radio Panini in Kopenhagen. Oder Kiosk Radio in Brüssel. Ein internationales Netzwerk, wenn man so will. Denn so haben Musiker:innen und DJs fast in jeder größeren Stadt eine potenzielle Anlaufstelle, um sich zu vernetzen, ein kleines Set zu spielen und ihr Portfolio zu erweitern. Auch in Deutschland. Bei Callshop Radio in Düsseldorf zum Beispiel, bei sic:nal in Hamburg oder bei Radio 80000 in München.
"Konsumfreie Räume": Community Radios wie Radio 80000 in München
"Ich finde es insofern wichtig, weil die einen Raum schaffen, der eigentlich erst mal frei vom Konsum ist", erklärt Felix Flemmer, Mitgründer von Radio 80000. "Man geht da hin, man spielt seine Musik, man muss nichts konsumieren, man muss keine Eintritte zahlen und man muss nicht wie in den Clubs gebucht werden." Radio 80000 sei ein Raum, in dem jeder, machen könne, was er oder sie will. Und das ist zugegebenermaßen ziemlich selten heutzutage.
Der Münchner Community-Sender streamt aus einem kleinen verglasten Kämmerchen im ZIRKA Space, einer alten Fabrik im Nordwesten der Stadt, die für Kultur genutzt wird. Die Anfänge des Radios vor fast zehn Jahren waren noch nicht dort und sehr rudimentär, wie Flemmer beschreibt: "Es alles total dilettantisch. Wir hatten keine Ahnung vom Radiomachen, wir hatten keine Ahnung von der Technik oder vom Moderieren. Und so hören sich die ersten Shows auch an". Erstmal hätten sie sich informiert, wie das technisch überhaupt funktioniert, so ein Online-Radio zu betreiben, beziehungsweise einfach nur zu senden. Und dann starteten sie mit sieben Shows pro Woche, jeden Abend um 20 Uhr eine Live-Sendung – aus München und aus Berlin.
Alles ehrenamtlich in Wien und München
Mittlerweile kommen wöchentlich weiterhin Residents ins ZIRKA Space, um ihre Shows zu spielen, aber auch DJs aus ganz Deutschland und aller Welt. Die 80000-Crew organisiert das alles ehrenamtlich, als Arbeit für den gemeinnützigen Kulturverein. Echtes Geld kommt nur über die Vereinsbeiträge der Mitgleider und über eigene Veranstaltungen in die Kasse. Genau wie bei der Gang von Radio Rudina aus Wien. Auch sie verdienen durch eigene Events wie Clubabende in der "Grelle Forelle" oder ein Day Rave im Wiener Museumsquartier. "Es ist für uns alle ein Side-Job", bestätigt Yvonne Tadić, "Wir arbeiten alle 9-to-5 und dann gehen wir ins Radio und geben noch unser Maximum dazu."
Viel Arbeit steckt hinter so einem Sender, der mehrere Tage die Woche streamt. Yvonne Tadić und Felix Flemmer wünschen sich dafür beide mehr Anerkennung, mehr Förderungen und mehr Zusammenarbeit zwischen Underground- und Hochkultur. Denn Community-Radios wie in Wien, Brüssel und München leisten wichtige Arbeit. Sie fördern den Nachwuchs fernab vom knallharten Business und geben auch dem Raum, was gerade nicht im Trend liegt.
Auf Radio 80000 zum Beispiel gibt es neben viel elektronischer Musik auch Shows mit Ambient und Jazz, sowie einmal die Woche eine Klassikstunde. Diversität du jour. Und jede Menge Platz und Support für den großen Traum: irgendwann selbst DJ zu sein. So ist es nicht überraschend als im Gespräch mit Yvonne Tadić herauskommt, wo sie ihre ersten DJ-Erfahrungen gemacht hat: "Mit Radio80000! Ich muss mich eigentlich bei dem Radio bedanken, dass ich jetzt ein DJ bin."
Transparenzhinweis: Unsere Autorin Alba Wilczek legt regelmäßig bei Radio 80000 auf und wurde von Radio Rudina schon einmal eingeladen, als DJ zu spielen.