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"Rat Saw God" Die Band Wednesday erzählt Coming-of-Age-Stories aus dem Hinterland der USA

Koks, Sex im SUV, ein brennendes Baumwollfeld: Auf dem neuen Wednesday-Album erzählt Sängerin Karly Hartzman von ihren Teenagerjahren im ländlichen Süden der USA. Ein Musik gewordenes Tagebuch – und ein Geständnis.

Author: Matthias Hacker

Published at: 17-4-2023

Die Band Wednesday aus Asheville | Bild: Zachary Chick

Asheville, North Carolina. Eine Stadt irgendwo im Nirgendwo des Appalachen-Gebirges. Hier treffen sich Naturliebhaber, Craftbeer-Fans und Nostalgiker, die sich im Pinball-Museum historische Flipperautomaten ansehen. Dieser abgelegene Landstrich ist Schauplatz der neuen Platte der Band Wednesday. Sängerin Karly Hartzman ist hier aufgewachsen und rekapituliert in den Songs ihre Teenagerjahre im ländlichen Süden der USA.

„Rat Saw God“ ist bereits das fünfte Wednesday-Album in fünf Jahren, das erste war noch im Eigenverlag erschienen, das neue Album von Wednesday kommt bei Dead Oceans raus. Karly Hartzman singt darauf wundervolle Kurzgeschichten aus dem Hinterland der USA. Auch wenn Atlanta nur ein paar Stunden südlich und Nashville nur ein paar Stunden westlich liegt, Asheville ist ganz schön ab vom Schuss. In den 90ern war dort für Teenager wie Karly Hartzman wenig geboten: „Das ländliche Vorstadtleben ist speziell“, hat sie den Kollegen vom Deutschlandfunk Kultur kürzlich erzählt. „Du kannst zum Beispiel auf Hauspartys gehen oder einfach nur Dinge aus Langeweile tun – dumme Dinge“, sagt sie.

Karly Hartzman beichtet ihre Dummheiten

Hartzman verrät uns diese Dummheiten – ja, sie beichtet sie förmlich. Auf der Single „Chosen To Deserve“ erzählt Hartzman, wie sie ihrer damaligen Teenieflamme klarmacht, worauf er sich mit ihr einlässt. Im Alkoholrausch habe sie schon das Haus ihrer Eltern vollgekotzt. Und ihre Freunde schmeißen so viele Drogen und Beruhigungsmittel, dass ihnen der Magen ausgepumpt werden muss.

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Wednesday - Chosen to Deserve (Official Video) | Bild: WednesdayVEVO (via YouTube)

Wednesday - Chosen to Deserve (Official Video)

Karly Hartzman war kein Mauerblümchen

Hartzman war wohl kein Mauerblümchen. Im Gegenteil. Sie erzählt uns von einer aus dem Ruder gelaufenen Silvesterparty, vom Liebesnest auf der Rückbank eines SUVs, dass sie die Schule geschwänzt hat oder gleich betrunken in den Unterricht kam. Im Song „Quarry“ skizziert sie ihre kaputte Nachbarschaft. Der verzogene Bengel Georgie, der ein ganzes Baumwollfeld abfackelt. Bobby und Jimmy, die mit Läusen in den Haaren im Babypool rumlungern. Mobster-Mandy und ihr Boyfriend, die Knarren und Koks hinter den Rigips-Wänden ihres Hauses verstecken. Und Karly muss zusehen, wie Cops die beiden in Handschellen abführen. Das Album „Rat Saw God“ klingt wie ein Tagebuch, wie ein Coming-of-Age-Comic, eine schöne Erinnerung, aber eben auch ein Geständnis.

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Wednesday - Quarry (Official Video) | Bild: WednesdayVEVO (via YouTube)

Wednesday - Quarry (Official Video)

Karly Hartzman ist in ihren Stücken schonungslos

Karly Hartzman ist in ihren Stücken schonungslos und ehrlich. Fast schon zu schonungslos mit sich selbst. Im Song: „What‘s So Funny“ stellt sie fest: Nichts sei so präsent für sie wie die dunkelsten Stunden in ihrem Leben. In diesen dunkelsten Stunden habe sie gelernt, wer sie wirklich sei. Das sei tragisch, dann aber doch oft auch lustig. In Songs wie „Bull Believer“ wird es dann laut: Sie verarbeitetet dort den Tod eines engen Freundes. Zu harten Gitarrenverzerrern schreit Karly ihre Trauer auf brachiale Weise heraus.

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Wednesday - Bull Believer (Official Video) | Bild: WednesdayVEVO (via YouTube)

Wednesday - Bull Believer (Official Video)

„Rat Saw God“ findet genau den richtigen Sound fürs jugendliche Gefühlschaos

Dieses Album ist hochemotional. Manche Gefühle, sagt Karly Hartzman, könne sie gar nicht anders ausdrücken als durch Schreien und Noiserock. Ihr jugendliches Gefühlsleben spiegelt sich im Sound oft perfekt: Manchmal hören wir Country-Referenzen, die das Landei in Karly herausstreichen. Wie die Steel-Guitar, die Wednesday aber ähnlich verzerren wie ihre Gitarren. Das ist ihre Art der Auseinandersetzung mit „Heimat“. Was einen beim Hören schnell an Big Thief denken lässt und deren Sängerin Adrianne Lenker.

Wednesday stellen Fragen wie: Wer sind wir? Woher kommen wir? Mit der Unausgeglichenheit von Jugendlichen, die lange nichts mit sich anzufangen wussten. Das Album ist laut und leise. Nostalgisch, aber auch beschämt. Verunsichert und selbstzerstörerisch. Ein „Teenage Wasteland“ im Hinterland. Was mich beim Hören zu meiner eigenen Jugend im Bayerischen Wald zurückbringt. Ebenfalls ab vom Schuss. Nur ich, meine Grunge-Band und meine Lieblingssongs im Discman. Die autobiografischen Geschichten und Figuren sind bei Wednesday so echt und aus dem Leben gegriffen, dass sie enormes Identifikationspotential haben. „Rat Saw God“ ist ein Album über die eigene Teenagerzeit im Rückspiegel. Der wunderbare Soundtrack für eine Jugend in den 90ern. Ob im Hinterland North Carolinas oder im Bayerischen Wald. Wie doch aus Langeweile und Jugendsünden Schönes entstehen kann!