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“The Record” Mit ihrem Debütalbum singen boygenius gegen männlichen Geniekult an

Auf ihrem Debüt als boygenius feiern Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus ihre Freundschaft und verweigern sich dem Männerkult in der Rockmusik. Kann "The Record" nach ihren gefeierten Soloalben die hohen Erwartungen erfüllen?

Author: Matthias Hacker

Published at: 3-4-2023

Gemeinsam sind sie boygenius: Julien Baker, Phoebe Bridgers und Lucy Dacus  | Bild: Shervin Lainez/ Universal Music

Lucy Dacus, Phoebe Bridgers und Julien Baker sind solo drei sehr erfolgreiche Songwriterinnen. Ihre Alben waren allesamt in unseren Zündfunk-Jahresbestenlisten vertreten. 2018 hatten sie schon eine gemeinsame EP als boygenius veröffentlicht. Nun ist endlich die gemeinsame Debütplatte der female Supergroup erschienen. Sie heißt schlicht: „The Record“. Nach den gefeierten Soloplatten war die Frage, ob boygenius die hohen Erwartungen erfüllen können. Schon die ersten Songs auf dem Album zeigen, welche Musik die drei machen wollen.

Mit dem anrührenden Dreigesang „Without You Without Them“ beginnt das Debütalbum von boygenius. Das Lied ist ein Zeichen: Denn hier singen alle drei Musikerinnen zusammen. Die Botschaft: Dies ist unser gemeinsames Band-Album. Gleich mit „$20“, dem zweiten Song, machen sie aber klar, dass wir auf der Platte nicht nur zarte, countryeske Balladen erwarten dürfen.

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boygenius - $20 (from "the film") | Bild: boygeniusVEVO (via YouTube)

boygenius - $20 (from "the film")

„Es ist eine Lüge, dass es im Musikbusiness nur begrenzten Platz für Frauen gibt“

Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus stehen alle drei für einen neuen Ton. Für eine neue wertschätzende Musik-Community. Sie sind dafür verantwortlich, dass wieder viele junge Frauen die Gitarre zur Hand nehmen. Und offen, ehrlich und intim über ihr Gefühlsleben singen. boygenius sind längst nicht mehr nur Musikerinnen, sondern auch Vorbilder und Förderinnen. Phoebe Bridgers hat beispielsweise ein eigenes Label gegründet, für das sie weibliche und queere Talente entdeckt.

Boygenius sind als Band inklusiv, feministisch und anti-rassistisch. Und die drei sind vor allem eins: Freundinnen. „The Record“ ist Ausdruck dieser Freundschaft, was Lucy Dacus im Zündfunk-Interview unterstreicht: „Ich lerne durch unsere Freundschaft, glücklich zu sein und unterstützend – und nicht kompetitiv.“ Bevor sie angefangen habe, gemeinsam mit Julien Baker und Phoebe Bridgers Musik zu machen, hätten ihr Leute immer wieder dieses Gefühl gegeben: Du musst konkurrieren. „Dabei ist es eine Lüge, dass es nur begrenzten Platz für Frauen im Musikbusiness gibt“, sagt Lucy Dacus. Diese Lüge sei der Grund, warum so viele Frauen ihre Ellbogen ausfahren würden.

Freundschaft statt permanente Konkurrenz: Diese tiefe Verbundenheit hören wir deutlich auf „The Record“. Die drei Künstlerinnen geben sich Raum, damit sich alle drei entfalten können: Die Lieder singt mal Lucy, mal Phoebe, mal Julien, aber manchmal singen sie auch alle miteinander. Alle drei sind dabei aber deutlich mit ihrer persönlichen Handschrift zu erkennen. An der Stimme, aber auch im Songwriting. Wir hören zarte Weltschmerz-Balladen von Phoebe Bridgers wie „Revolution 0“. In „Not Strong Enough“ aber auch Lucy Dacus mit ihren opulenten Refrains. Die rockigeren Grunge-Parts in Songs wie „Satanist“ wiederum gehen vermutlich auf Julien Baker zurück.

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boygenius - Satanist (official audio) | Bild: boygeniusVEVO (via YouTube)

boygenius - Satanist (official audio)

Wird das Debütalbum von boygenius den hohen Erwartungen gerecht?

Lucy Dacus, Phoebe Bridgers und Julien Baker – schon einzeln sind sie tolle Songwriterinnen. Sie haben ja auch zusammengefunden, weil sie jeweils ihre Musik so gut gefunden haben. Zusammen als Band ergänzen sie sich perfekt. boygenius ist mehr als die Summe der einzelnen Teile. Was laut Julien Baker vor allem an der wertschätzenden und emanzipierten Grundhaltung liegt. „boygenius erinnert mich daran, wie gern ich in einer Band spiele“, erzählt sie. „Mit Lucy und Phoebe an meiner Seite traue ich mich auch mehr: Ich denke nicht so viel darüber nach, was die Leute über meine Musik denken.“ So achte sie mehr darauf, was Musik für sie persönlich bedeute und wie diese sie erfülle. „Das hilft mir, meine Ängste und all diese künstlichen Grenzen loszuwerden, die ich mir selbst auferlegt habe“, sagt Julien Baker.  

Das Modell „Supergroup“ funktioniert nicht immer. Bei boygenius schon. Sie sind eine Folk-Rock-Supergroup ohne männliche Egos, die es in der Rockgeschichte ja zu Genüge gab – und die dafür auch noch gefeiert und überhöht wurden. Schon der Bandname boygenius ist ein sarkastischer Kommentar auf den vor allem im Rock verbreiteten Kult des „männlichen Genies“. Mit ihrem weiblichen Blick singen boygenius gegen diesen Kult und gegen den Machismo an. Dabei sind ihre Lieder keine Protestsongs mit markigen, feministischen Parolen. Nein, boygenius weben ihre Botschaften geschickt in Geschichten ein. Lucy Dacus singt im Akustik-Song „Leonard Cohen“ von einer Autofahrt mit ihrem neuen Seelenverwandten. Im Zwiegespräch setzt sie ganz beiläufig eine Spitze gegen Leonard Cohen: „I am not an old man having an existential crisis in a Buddhist monastery writing horny poetry“, heißt es darin.

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boygenius - Leonard Cohen (official audio) | Bild: boygeniusVEVO (via YouTube)

boygenius - Leonard Cohen (official audio)

The sky is the limit für boygenius

Das Albumcover von "The Record".

boygenius haben keine Angst vor Legenden. Auf dem Albumcover sehen wir drei in die Luft gestreckte Arme, die Hände tätowiert, im Hintergrund ein warmes Blau. Die Hände sind dabei nicht zu einer martialischen Faust geballt, sondern leicht und elegant geöffnet. Als ob Baker, Bridgers und Dacus nach den Sternen greifen. Für boygenius gilt: the sky is the limit. Mit „The Record“ unterstreichen boygenius erneut ihre eigene Genialität.