Bayern 2 - Zeit für Bayern


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Angst vor TTIP Gechlorte Hühner und heimatverbundene Bayern

Die EU wollte das Freihandelsabkommen mit den USA eigentlich noch im Frühjahr 2016 abschließen - möglichst noch vor den US-Präsidentschaftswahlen. Das wird nun wohl nichts mehr werden. Zu groß sind die Differenzen. Viele Bürger, auch in Bayern, möchten das Abkommen zudem gerne verhindern. Zu Tausenden gehen sie gegen TTIP auf die Straße.

Author: Regina Kirschner

Published at: 27-1-2016 | Archiv

Öko-Landwirt Hans Hohenester auf seinem Hof in Altdorf bei Landshut mit seinen über 900 Schweinen. | Bild: BR, Regina Kirschner

Die EU wollte das Freihandelsabkommen mit den USA eigentlich noch im Frühjahr 2016 abschließen - möglichst noch vor den US-Präsidentschaftswahlen. Das wird nun wohl nichts mehr werden. Zu groß sind die Differenzen. Viele Bürger, auch in Bayern, möchten das Abkommen zudem gerne verhindern. Zu Tausenden gehen sie gegen TTIP auf die Straße.

Enge Handelsbeziehungen zwischen Bayern und den USA

Heute sind die USA der größte ausländische Investor in Bayern. Über tausend amerikanische Firmen sind im Freistaat ansässig. Andersherum gelten die USA für Bayern als wichtigster Absatzmarkt weltweit. Auf beiden Seiten geht es um Milliarden. Und das ist noch nicht genug. Durch das Freihandelsabkommen TTIP sollen Handelshemmnisse fallen. Wird es also bald mehr Bayern in Amerika und mehr Amerika in Bayern geben? Noch mehr?  Das macht vielen Bürgern im Freistaat Angst. Bei anderen jedoch erscheinen beim Wort TTIP bereits die Dollarzeichen vor dem geistigen Auge. Sie erhoffen sich einen wirtschaftlichen Aufschwung und noch mehr Wohlstand.

Hans Hohenester am Saugatter

Gut 50 rosa Schweine stehen in ihrem Auslaufbereich und schauen Ökolandwirt Hans Hohenester erwartungsvoll an. Der schmeißt eine Hand voll Bio-Trockenfutter über das Gatter. Sofort bewegen sich die kurzen Rüssel eilig-suchend über den Boden. Über 900 Öko-Zuchtsauen fühlen sich hier sau wohl. Auf dem Hof in Altdorf bei Landshut baut der Landwirt außerdem Getreide und Kartoffeln an - alles nach Naturland-Richtlinien. Zurzeit läuft der Ökolandbau in Bayern recht gut, erklärt er. Aber: Mit dem Freihandelsabkommen TTIP, sieht Hohenester das Ende für die Branche gekommen. Dann wächst auch bei uns Getreide aus gentechnisch-verändertem Saatgut, warnt er:

"Dann haben wir ständig mit Kontaminationen in unseren Produkten zu tun und wir tragen die Kosten und nicht die Gewinner, die das verkaufen."

Biobauer Hans Hohenester

Denn was kontaminiert ist, kann nicht mehr als „bio“ verkauft werden. Da Wind, Wetter und Tiere Saatgut auch auf Nachbarfelder tragen, wäre so gut wie kein Öko-Landwirt mehr vor Gentechnik geschützt. In Deutschland ist die gerade noch verboten. In den USA hingegen ist Gentechnik längst erlaubt. Und jetzt kommt TTIP. Das zielt darauf ab Handelshemmnisse abzubauen. Weder Europäer noch Amerikaner sollen wirtschaftlich irgendwie benachteiligt werden.

"Das bedeutet, dass Anpassungsdruck entsteht, gentechnisch veränderte Pflanzen und Lebensmittel in größerem Umfang zuzulassen und die Gentechnikanbauverbote bei uns, für die wir lange kämpfen, kommen ins Wackeln."

Hans Hohenester

Gentechnikfreie Sau

Für den niederbayerischen Landwirt ist die Gentechnik zwar die schlimmste Bedrohung, aber längst nicht die einzige. Die US-amerikanische Agrarwirtschaft bringt noch mehr Unheil nach Bayern, befürchtet Hans Hohenester.  Da wären die Hormone im Tierfutter und der Antibiotikaeinsatz bei der Tierhaltung. Beides verwenden die Amerikaner viel großzügiger und ungenierter als wir. Antibiotika etwa verschreibt bei uns nur der Tierarzt, in den USA können die Landwirte die Medikamente ganz einfach im Laden kaufen. Nicht einmal die Rückstände im Fleisch werden kontrolliert.

Walter Schnell ist Bürgermeister der Gemeinde Kammerstein im Landkreis Roth. Zusammen mit seinen Kollegen vom kommunalen „Bündnis gegen TTIP“ kämpft er für die Gesellschaft, für den Rechtsstaat:

"Der Abbau von Handelshemmnissen, das ist eine gute Sache, aber wenn man dann dieses Werk betrachtet (…), dann merkt man schnell, dass es um die Einschränkungen der Rechte geht, dass hier auf einer Ebene verhandelt wird, was letztendlich zu einer Aushöhlung der Demokratie führt und das ist etwas, wo bei jedem die Alarmglocken schrillen müssen."

Walter Schnell

Im Rathaus von Kammerstein wurde das Bündnis mit ersonnen.

Konkret sorgt sich das Bündnis u.a. um die Trinkwasserversorgung. Die könnte mit dem Freihandelsabkommen privatisiert werden, glaubt Schnell. Noch kümmern sich die Kommunen selbst um das wichtigste Gut ihrer Bürger. Leitungen werden regelmäßig überprüft, ins Netz investiert, versichert Bürgermeister Walter Schnell. Das könnte bei privaten Investoren anders laufen:

"Am Beispiel verschiedener Länder und Städte in Europa wissen wir, wenn Trinkwasserversorgungsanlagen privatisiert werden, dann wird nicht mehr in das Netz investiert, da wird versucht den größtmöglichen Gewinn abzuschöpfen, das Netz wird marode und wenn es dann so marode ist, dass die Qualität leidet und der Wasserverlust so hoch ist, dann kommt wieder die Kommune dran und muss reparieren. Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert. Das kann es nicht sein."

Walter Schnell

Plakat des Bündnisses gegen TTIP

Also haben die 16 Bürgermeister aus dem Landkreis Roth eine Vereinbarung unterschrieben - gegen das Freihandelsabkommen TTIP. Das war auch ein kleiner Sieg für Andrea Dornisch. Die engagierte Bürgerin hatte die Kommunalpolitiker überhaupt erst auf das Thema aufmerksam gemacht. Die Gesundheitsberaterin aus Kammerstein war bei Gemeinderatssitzungen, hat bei Nachbarn an der Tür geklopft und allen immer wieder und wieder klar gemacht, dass das geplante Freihandelsabkommen uns alle angeht. Mittlerweile kämpft sie nicht mehr allein. Regionale Imker, der Landesbund für Vogelschutz, der BUND, Parteien, Geschäftsleute und viele Einzelpersonen engagieren sich in dem lockeren Bündnis. Sie sorgen sich, dass mit TTIP unsere Demokratie zu Grunde geht.

Die Einwanderer hatten anzupacken, erklärt die die Ameika-Expertin Sylvia Schroll-Machl bei ihrem Kulturseminar. Sie waren auf sich allein gestellt, mussten aktiv sein. Die Schlagworte heißen drive und innovation.

Oberbayern die amerikanische Einstellung beibringen.

"Handlungsorientierung ist auch das Optimismusprinzip. Amerikaner sind gnadenlose Optimisten und wenn ich selbst nicht daran glaube, dass ich etwas erreiche, dann gehöre ich der Katz. Ich muss alles darstellen als: das wird ein großer Erfolg, das kriegen wir hin. Das wird auch die nötige Energie auslösen, dass ich mich da durchbeiße. Ich bin zukunftsorientiert und ich will nicht hören, wo sind die Probleme, sondern wie erreichen wir die Ziele. Aber so ein deutscher Ingenieur, der eine Problemanalyse macht und seziert, warum das nicht möglich ist, ist für den Amerikaner die Garantie für die komplette Demotivation."

Sylvia Schroll-Machl

Amerikaner sind dadurch risikofreudiger und kalkulieren ein, dass auch mal was schief gehen kann – trial and error eben. Von uns Bayern sind die gelassenen Amis damit gar nicht so weit weg. Bayerisch-gmiatlich können wir schließlich a guad.

Lothar Ebbertz, der Präsident des bayerischen Brauerbunds, sieht in TTIP daher durchaus Gewinnchancen für den Freistaat:

Lothar Ebbertz

"Der deutsche Biermarkt wird auf Dauer nicht mehr wachsen, die demografische Entwicklung steht dagegen, der heimische Markt schrumpft seit Jahren. Der Export in andere deutsche Länder läuft gut, aber auf Dauer wird das schwierig. D.h. wir müssen unser Bier ins Ausland liefern. Das läuft mit großem Erfolg. Wir sind bei über 21 % Exportanteil- Stand Oktober 2015. Das hat es in Bayern noch nicht gegeben. Wir werden die 5 Mio. Hektolitergrenze in diesem Jahr noch nicht knacken, aber ich denke wir sind auf einem guten Weg."

Lothar Ebbertz

TTIP könnte den sowieso guten Exportkurs also noch einmal ankurbeln, erklärt der Verbandspräsident. Denn auf dem Weg von der bayerischen Brauerei bis ins amerikanische Supermarktregal, wandern die Bierflaschen durch viele Hände. Und jeder schlägt dabei noch a bisserl was auf den Ursprungspreis drauf. TTIP könnte dem ein Ende setzen und den deutschen Brauern bessere Bedingungen bescheren, ist die Hoffnung.

Craft Beer - der neue Trend

Aber es tut sich gerade was - in Europa und auch in Bayern: Das sog. Craft-Beer – also handwerklich hergestelltes Bier aus den USA ist auf dem Vormarsch.

"Die US-Amerikanische Brauervereinigung definiert ‚Craft Beer‘ als Bier ‚von einem Brauer, der in kleinen Mengen und unabhängig von Konzernen auf traditionelle Weise braut‘. Was in den USA als ‚kleine Menge‘ gilt, ist bei uns aber bereits eine riesige Industrieanlage. Wer in den USA jährlich rund 9 Mio. Hektoliter Bier braut, gilt immer noch als Handwerksbetrieb. Zum Vergleich: Die Münchner Paulaner Brauerei, die immerhin größte Brauerei Bayerns, produziert im Jahr gut 2 Mio. Hektoliter."

Lothar Ebbertz

Die Gewinner – Bayerische Technologiefirmen

Junior-Chefin Jennifer Rosenheimer steht in der Produktionshalle vor einem Patientenmonitor und drückt ein paar Buttons am Touchscreen.

"Das ist unser Multiparameter, der ist zugelassen in USA. Mit dem messen wir EKG, Sauerstoffsättigung, Blutdruck, Temperatur und hier kommen unsere Sensoren rein."

Jennifer Rosenheimer

Zugelassen in den USA. Das betont sie oft und gern. Denn nicht alle Produkte der Medizintechnikfirma MIPM in Mammendorf im Landkreis Fürstenfeldbruck haben das geschafft, ärgert sich Firmeninhaber Michael Rosenheimer. Der spezielle Puls-Oximeter, der über einen Fingerclip die Sauerstoffsättigung im Blut misst, ist in den Staaten nur für Erwachsene zugelassen:

Jennifer Rosenheimer

"Unser Produkt ist das einzige, was auch im Baby-Bereich misst und da verlangen die Amerikaner die gleichen Tests. D.h. sie müssen Probanden finden, bei denen Blut-Samples genommen werden und die werden verglichen mit unserem Produkt. Und jetzt müssen sie sich vorstellen: welche Eltern erlauben, dass man dem Baby Blut abnimmt?
Dieser Test ist nicht durchführbar. Die Konsequenz: wir können unser Produkt in den USA nur eingeschränkt verkaufen. Weltweit verkaufen wir es mit der Option Babys messen zu lassen, nur in den USA nicht."

Jennifer Rosenheimer

Michael Rosenheimer zwischen bayerischer Fahne und Stars and Stripes.

Dabei ist gerade die USA für die Medizintechnikbranche ein wichtiger Markt. 50% des Welthandels finden dort statt. Mit TTIP hätte das Familienunternehmen, das derzeit über 40 Mitarbeiter beschäftigt, bessere Chancen, ist sich der Firmenchef sicher: Denn die Zulassungen für den amerikanischen Markt sind teuer und verschwenden Zeit. Würde durch das Freihandelsabkommen das europäische CE-Zeichen auch in den Staaten anerkannt, hätte die Mammendorfer Firma viel Geld gespart ist der Unternehmer Michael Rosenheimer überzeugt.

Mit TTIP könnte er im oberbayerischen Mammendorf neue Arbeitsplätze schaffen. 10 Prozent mehr Jobs, verspricht Rosenheimer.Die Argumente der TTIP-Gegner nennt er populistisch und ärgert sich, dass die so laut sind und die Befürworter aus Politik und Wirtschaft so leise. Dabei sei eben Vieles an der Kritik übertrieben – auch in puncto Verbraucherschutz:

"Die haben hohe Standards so wie wir und dass wir so weit voneinander entfernt liegen, bin ich mir sicher, stimmt nicht. wenn ich nur an die Deklarierungspflicht denke. Da wusste man in Europa noch nicht, was Deklarierung ist, da habe ich dort auf jedem Glas lesen können, was da drauf ist. Auch so Dinge, wie Texas grown,aus der Region zu kaufen oder bio. In jedem Supermarkt kriegen sie organic food. So immer tun, als ob die Verrückte wären, sich vergiften würden, das ist ein Unsinn. Natürlich haben die hohe Standards. Wir haben in manchen Bereichen höhere Standards, in anderen die Amerikaner. Das anzugleichen, ist die Herausforderung."

Michael Rosenheimer

Das Fazit der Reise durch Bayern:

Ein Gespenst geht um…- ein Gespenst namens TTIP. Die Politiker wollten den Nebel der Verwirrung lichten und die Verhandlungen öffentlicher machen. Bislang ist davon kaum etwas zu spüren. TTIP bleibt weiterhin eher ein Gespenst, ein geheimnisvoller Zukunftsplan.

Wie wir wissen, haben die Bayern schon immer ungern die Katze im Sack gekauft. Und wie bei der Katze, gäbe es auch bei TTIP kein Umtauschrecht. Denn TTIP soll Völkerrecht werden. Das bedeutet: Ist es einmal beschlossen, kann es kaum noch verändert werden. Deswegen ist es gut, dass viele Bürger jetzt aufhorchen und Mitsprache einfordern – bevor wir mit einer eventuell bissigen, kratzenden Katz leben müssen und sie nicht mehr loswerden.

Literaturtipps zu Handel, Lebensmitteln und den Regeln:

Martin Trenk: Döner Hawaii. Unser globalisiertes Essen. Klett-Cotta 2015. ISBN 978-3-608-94889-9
Sylvia Schroll-Machl: Beruflich in Babylon. Das interkulturelle Einmaleins weltweit. Vandenhoeck & Ruprecht 2016. ISBN 978-3-525-49159-1


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