Bayern 2 - Zeit für Bayern


12

Bayern genießen Kugeln genießen im Dezember

Gott ist die unendliche Kugel, deren Mittelpunkt überall und deren Umfang nirgends ist heißt es im geheimnisvollen Buch der 24 Philosophen, das im Hochmittelalter große Wirkung entfaltet hat. Kugel und Kreis, beide ohne Anfang, ohne Ende, begleiten das Denken der Menschen schon seit uralten Zeiten. Besonders im Dezember wenn sich der Kreis des Jahres schließt, die bucklerte Welt ihrem vorübergehenden Ende und dem Neuanfang in der Wintersonnwende entgegenkugelt. Aber nicht nur am Christbaum hängen Kugeln – in der Bayern-genießen-Sendunghaben wir bayerische Genusskugeln zusammengestellt.

Von: Gerald Huber

Stand: 03.12.2018 | Archiv

Hier unsere Genuss-Themen aus den bayerischen Regionen rund ums Motto "Kugeln"

  • Oberbayern: Beeren - nicht nur Zierschmuck im Spätherbst. Sanddorn, Vogelbeere, Feuerdorn oder Hagebutte etc. (Angela Braun)
  • Niederbayern: Prof. Fritz Königs Kugelkaryatide in Landshut (Andreas Mack)
  • Oberpfalz: Knödelspezialitäten aus der Oberpfalz (Thomas Muggenthaler)
  • Oberfranken: Porzellan-Christbaumkugeln von Kindern bei Rosenthal (Ilona Hörath)
  • Mittelfranken: Schneeballen aus Rothenburg (Claudia Mrosek)
  • Mainfranken: Odenwald-Kugeln von Odenwald-Marzipan (Katrin Küx)
  • Schwaben: Turmkugeln - was ist da drin? Weihbischof Losinger könnte uns erklären, warum die Kugeln oft genug eine Überraschung beinhalten (Barbara Leinfelder)

Unser Wort Kugel geht auf die indoeuropäische Wurzel kl-, kul- oder kol- zurück, Wörter, die bereits die ersten Bauern bei uns im Land benutzt haben. Die Wurzel steckt auch drin in den norddeutschen Wörtern kullern, Keule und Kuhle, einer kugelförmigen Höhlung oder Wölbung. Ursprünglich hat das Wurzel kl- immer etwas besonders Kompaktes bezeichnet; etwas, das zusammengeklammert ist, gewissermaßen. Wie der Klumpen. Der Grund ist einfach. Die Kugelform ist die Form der Natur. Im Verhältnis zum Inhalt haben Körper mit einer Kugelform die geringste Oberfläche.

Bunte Kugeln: Sanddorn, Vogelbeere, Feuerdorn im Spätherbst.

Die Natur baut eben gern ökonomisch. Und deswegen ist auch die Form zahlloser Früchte von Bäumen und Sträuchern kugelförmig. Zum Beispiel auch viele Beeren, die jetzt reif werden: Schlehen, Weißdorn, Vogelbeeren und viele andere Baumfrüchte die teilweise den ganzen Winter über noch an den Zweigen hängen. Ganz besondere Kugeln: Schon unsere Vorfahren kannte die heilsame Wirkung dieser Schätze der Natur.

Zum Selbstversorgergarten, von dem die Biobäurin Leni Kühn so begeistert ist, hat sie ein Buch geschrieben: Über die Zusammenhänge von Erde und Wachsen, von Verantwortung für die Natur und wie jeder selber gärtnern kann.

Von der uralten kl-Wurzel, zu der letztlich die Kugel gehört, leitet sich auch die Bezeichnung für eine besondere Genusskugel ab – den Kloß. Bayern teilt sich ja bekanntlich auf in ein Kloßgebiet im Norden und ein Knödelgebiet im Süden.

Ausgefallene Kugeln: Knödel aus der Oberpfalz

Der Knödel ist ja nichts anderes als der Bruder des Kloßes; bloß dass er nicht auf die alte kl-Wurzel zurückgeht, sondern auf eine kn-Wurzel. Aber diese beiden Wurzeln hängen miteinander zusammen. Gemeint sind gewissermaßen immer Daumen und Zeigefinger mit denen man was klammern oder kneifen kann. Man braucht sie zum Klopfen genauso wie zum Knüpfen. Und nix anderes ist ein Knödel – er ist ein kompakt zu einem Knopf geknoteter, gekneteter Knötel. Man könnt auch sagen: ein geknatschter, geknautschter, knebelförmiger Knäuel, eine knopfige, knisternde Knospe. Aber sowas sagt natürlich bloß ein verknitterter Knirps oder verkniffener Knilch mit einem Knick im Knochen. Verzeihung! Ich wollt bloß demonstrieren, wie reichhaltig die Wurzeln von Kugeln, Klößen und Knödeln unsere Sprache beschenkt haben. Probieren Sies ruhig selbst einmal aus, was alles mit kl oder kn anfängt und wo darin der Aspekt des Kompakten zu finden ist! Doch jetzt kommen wir zum Genuss – der in Bayern natürlich ohne Kloß und Knödel nicht vorstellbar ist. Wir haben uns auf die Spur von ganz ausgefallenen Exemplaren der kugeligen Gattung gemacht. Dort wo Kloß und Knödel aufeinandertreffen – in der Oberpfalz.

Versehrte Kugel: Besuch bei Fritz Königs Kugelkaryatide in Landshut

Sphärenklänge – ein berühmter Walzer von Josef Strauß. Schon der griechische Philosoph Pythagoras hat vermutet, dass die Welt, wie auch die Sterne am Firmament nichts Anderes sind als Kugeln, Sphären auf Griechisch. Pythagoras zufolge ist alle irdische Musik nur ein müder Abklatsch der originalen, kosmischen Harmonik des Himmels. Die Sterne, die kugeligen Sphären, und ihre Bewegungen harmonieren für Pythagoras miteinander, wodurch es, ganz ähnlich wie bei der Harmonie irdisch-musikalischer Klänge zu den berühmten himmlischen Sphärenklängen kommt. Weil diese Himmelsmusik ununterbrochen erklingt, ist sie, so Pythagoras, für uns unhörbar. Erst wenn sie verstummt, etwa beim Tod eines Menschen, nehmen wir das Fehlen wahr. Diese alte Weisheit scheint haargenau auf The Sphere zu passen, die größte Bronzeplastik der Welt aus der Hand des Landshuter Bildhauers Fritz König. Die riesige Kugel stand früher zwischen den Türmen des New Yorker World Trade Centers: bewundert und bestaunt. Mythisch überhöht aber wurde sie erst nach dem schrecklichen Anschlag vom 11. September 2001. Sie hat ihn wie durch ein Wunder überlebt und ist so zum Mahnmal geworden. Im unterirdischen Fritz-König-Museum in Landshut kann man sich die Entstehungsgeschichte dieser wohl berühmtesten Kugel der Welt anschauen.

Porzellankugeln: Christbaumschmuck aus Kinderhand

Weil wir am Anfang von den kugeligen Früchten der Bäume geredet haben: Eine ganz besondere Baumfrucht ist die Christbaumkugel. Die ist ursprünglich nämlich nix anderes als die kostbare, leichtere, auch haltbarere Nachbildung eines Apfels, der ja noch bis vor wenigen Jahrzehnten überall an Christbäumen zu finden war. Das hat auch einen ganz bestimmten Grund. Äpfel nämlich waren der erste Christbaumschmuck überhaupt. Und das wiederum hat mit der Entstehungsgeschichte des Christbaums bei den mittelalterlichen Paradiesspielen zu tun – der Heilige Abend ist ja der Namenstag von Adam und Eva. Damals waren die echten Lebensbäume des Mittelmeers nördlich der Alpen noch unbekannt, weswegen man sich bei der Frucht des Baums der Erkenntnis einen Apfel vorstellte. Denn das lateinische Wort malum für Apfel bedeutet zufällig auch böse. Deswegen scheint man für die Paradiesspiele in den Vorhallen oder im Eingangsbereich der großen mittelalterlichen Kirchen immergrüne Tannen oder Fichten aufgestellt und mit sündhaft verführerischen roten Äpfeln versehen zu haben, von denen die Evadarstellerin ihrem Adam einen reichen sollte. Christbaumkugeln sind meist aus Glas. Aber selbstverständlich sind auch alle möglichen andere Materialien dafür denkbar. In Bayerns Porzellanhauptstadt Oberfranken müssen sie natürlich aus Porzellan sein.

Und weil adventliche Bastelei Appetit macht – zum Beispiel auf eine kleine Pause mit einem feinen Lebkuchen: In Selb werden Elisenlebkuchen gebacken, die sich in herausragenden Feinkostgeschäften in ganz Europa wiederfinden.

Knusperkugeln: Schneeballen aus Rothenburg

Advent und Weihnachten sind ja von Haus aus kugelrunde Zeiten. Grad, wenn man an den Körperumfang denkt, der, ob der kulinarischen Köstlichkeiten, denen man in diesen Tagen kaum widerstehen kann, sich tatsächlich in kugelige Formen zu dehnen geneigt ist. Dagegen würde am besten ein schöner frostiger Winterspaziergang helfen, mit einer ausgiebigen – so Schnee vorhanden – Schneeballschlacht. Würde! Wenns halt dann nicht so gemütlich wäre, sich danach bei einem Glas Wein oder Tee zusammenzusetzen und zum Beispiel wieder Schneeballen zu genießen. Dann halt weniger kalt. Dafür süß und knusprig. Die Rede ist von einer Spezialität der ehemals hohenlohischen Lande, ganz speziell der alten Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber, eben der Schneeballen.

Schneeballen, also. Hier ist das Rezept.

Bäckerei ist überhaupt ein großes Thema in den kommenden Wochen. Früher einmal haben sich mit den typischen Weihnachtsspezialitäten gleich drei bis vier verschiedene Berufe beschäftigt: Der Bäcker durfte weder Zucker noch Honig verwenden. Seine hochwertigste Zutat war das feine weiße Weizenmehl. Der Honig war der Lebzelter- und Lebküchnerzunft vorbehalten. Richtigen Zucker aber, eine lange Zeit extrem teure Importware, durften ausschließlich die Zuckerbäcker, die späteren Konditoren verwenden. Die verwendeten es zum Beispiel für Marzipan, das zu Weihnachten entweder pur in Modeln geformt oder weiterverarbeitet zum Beispiel zu Christstollen auf den Tisch kam.

Amorkugeln: Odenwälder Marzipan

Marzipan stammt ursprünglich aus dem Orient und wurde erst zur Kreuzzugszeit im Hochmittelalter bei uns bekannt. Anfangs hat man es als Arznei gegen Verstopfungen und Blähungen verkauft. Deswegen durfte es, ähnlich wie der Lebkuchen, auch in der adventlichen Fastenzeit gegessen werden. Über den eigenartigen Namen Marzipan wird viel spekuliert. Am wahrscheinlichsten dürfte sein, daß er sich aus dem romanischen Dialekt Venedigs ableitet: Marci panis, das heißt Markusbrot. Die Stadt des Heiligen Markus dominierte das ganze Mittelalter hindurch den Orienthandel. Nach der Entdeckung Amerikas wurde Rohrzucker billiger, womit sich in der Neuzeit zahlreiche weitere wichtige Handelsstädte zu regelrechten Marzipanstädten entwickelten, wie etwa das spanische Toledo, Königsberg oder Lübeck. Lübecker Marzipan ist ja bis heute in Deutschland ein Begriff. Doch Marzipan wurde selbstverständlich auch in Bayern hergestellt. Und am liebsten in kugliger Form. So wie in Amorbach im Odenwald.

Hier finden sie das Rezept für die im Beitrag erwähnte Marzipan- und Schoko-Kartoffeltorte.

Die Turmkugeln von Augsburg: Was im Innern die Zeiten überdauert

Sieht man von den Sternen ab, nach denen unsere Kirchtürme im Land grad in klaren Winternächten zu greifen scheinen, sind die Turmknäufe auf den Spitzen eben dieser Türme die höchsten Kugeln überhaupt. Manchmal, wenn es sich um baraocke Zwiebelhauben handelt, können es sogar mehrere Kugeln übereinander sein. Oft sind die Kugeln nicht bloß von einem Turmspitz, sondern auch noch von einem Kreuz bekrönt. In den allermeisten Fällen aber sind sie festlich vergoldet und bergen in ihrem Innern oft noch ein Geheimnis. Denn Turmkugeln sind der Welt entrückt, schlecht zugänglich für lange Zeit – bis halt wieder einmal ein Gerüst aufgestellt wird bis hinauf auf die Turmspitze; und das kann Jahrhunderte dauern. Deswegen hat man Turmkugeln schon immer – und bis heute – als Zeitkapseln genutzt.


12