Bayern 2 - Zeit für Bayern


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Bayerische Wirtshausoriginale Vom Schnupfen, Trinken, Lieben, Musizieren

Der Regensburger "Gravenreuther" ist ein alteingesessenes bayerisches Wirtshaus. Er ist auch eine Gedenkstätte für längst verstorbene Originale. Das macht ihn ganz besonders.

Von: Joseph Berlinger

Stand: 24.08.2023 | Archiv

Man kann die Wirtshausoriginale als geschnitzte Konsolfiguren unter den Tragbalken der Decke finden. Den "Schmalzler Franzl" zum Beispiel. Der konnte Tabak in ungeheuren Mengen konsumieren. Oder die "Krebshaut". So nannte man einst den trinkfreudigen Mesner von St. Emmeram. Sein Gesicht war krebsrot, seine Nase zwetschgenblau. Oder "Wusti, Wusti". Er war ein Regensburger Wurstverkäufer, der den Damen besonders zugetan war. Jede grüßte er mit tiefer Verneigung! Und "Mozartl"! So hieß ein Musikant, der mit seiner "Harfe" von Wirtshaus zu Wirtshaus zog. Sein Repertoire bestand aus einer einzigen Melodie. Er spielte sie auf einem mit Saiten bespannten Holzrahmen.

Eine Kellnerin vom Land ist nach Regensburg gefahren, um sich die geschnitzten Originale im Gravenreuther anzuschauen. Und trifft dabei auf Leute von heute, die einiges zu erzählen haben - über das Schnupfen, das Rauchen, das Essen, das Trinken, die Liebe und die Musik. Die schönen Dinge des Lebens also.   

Die Kellnerin, gesprochen von Barbara de Koy:

Ich sitz am Tisch vom Sporer Reiner. Im "Gravenreuther". Einem Regensburger Wirtshaus, das Jahrhunderte auf dem Buckel hat. Es steht "Hinter der Grieb", zwischen dem Haidplatz und der Pfandleihe. Aber auf die Pfandleihe muss ich noch nicht. Mir langt mein Geld noch zum Leben. Gerade noch. Der Gravenreuther ist weder das Stammlokal vom Sporer Reiner noch das von mir. Wir leben beide auf dem Land. Wo die Wirtshäuser eingehen, eins nach dem andern. Außer sie sind sauber saniert und ein Gourmetkoch steht in der Küche. Den Sporer Reiner hab ich grad erst kennengelernt. Sein Stammlokal steht im oberpfälzischen Köfering, das meine dreißig Kilometer südlich, in Niederbayern. Er geht gern in sein Wirtshaus, ich geh in meines ungern. Ich arbeite dort als Kellnerin. Weil von Jahr zu Jahr weniger los ist, lässt mich der Wirt bloß mehr am Wochenende kommen. Da sitz ich dann die halbe Nacht vor drei, vier Hansln. Der eine will mir dauernd auf die Brust hinlangen, der andere schimpft ständig über RB Leipzig. Einen Tag sagen sie fast gar nix, am andern Tag wieder sind sie die ganze Zeit am Streiten. Einmal krieg ich einen Euro Trinkgeld, das andere Mal lassen sie sich wieder bis aufs Zehnerl herausgeben.

"Mia ham oan, der geht drei Moi am Doog ens Wirtshaus. Der geht Voamittag, san meistns welche da zum Kartnspuin, dann kummt er nach Mittag nomoi bis um Viere, und aaf d Nacht um Achde taucht er nomoi auf. Und der bringt natürlich jedn Doog seine 15 Hoiwe Bier zamm. Heit sagd ma halt, nee: der sauft halt, nee. 
Im Wirtshaus ham die Frauen koa Rolle gspuit. Da is ma nachm Wirtshaus higanga, oder davor. Eher davor. Und später dann ins Wirtshaus. Dann no amoi zum Fensterln.
Dees Kammerfensterln war eine Sache, die wo du nicht irgendwo anders hast machen kenna. Du hosd wissen miassn, wo de Loadda steht, du hosd wissen miassn, wo de s Fensterl hod, da warn scho de Einheimischn mehr unter sich, oder noch s Nachbardorf.
I woaß no genau, wie 1956 der erste Bulldog auf den Hof komma is, und damit warn die Leute mobil. Dee san ja dann scho midn Bulldog in d Kircha gfahrn. Dees Kammerfensterln, dees is ausgestorben so um 19 - so zwischen 55 und 60. Dass alle vui beweglicher worn san, dass jeder hifahrn hat könna, wo er wolln hat - heut hod a jeder bloß a Aluminiumleiter no."

Reiner Sporer

Die Kellnerin:

Vor 60 Jahren, als im Dorf vom Sporer Reiner die Autos aufkamen, war es vorbei mit dem Kammerfensterln. Gut, dass der Sporer Reiner ein Automechaniker war. Denn jetzt waren keine Holzleitern mehr gefragt, sondern Liegesitze.

Ein, zwei Meter über dem Sporer Reiner wächst aus einem Deckenbalken vom Gravenreuther eine geschnitzte Figur heraus. Es ist nicht die einzige in der Gaststube. Wegen diesen Figuren bin ich heute nach Regensburg gefahren. Sie sind kaum größer als meine erste Puppe, mit der ich als kleines Mädl gespielt habe. Über die Büste oberhalb vom Sporer Reiner lese ich in meinem Reiseführer, dass da ein Kauz aus dem 19. Jahrhundert abgebildet ist. Ein stadtbekannter Regensburger. Sein Spitzname war "Krebshaut". Er war Mesner von St. Emmeram. "Krebshaut" haben ihn die Leute genannt, weil sein Gesicht krebsrot war. Und seine Nase war zwetschgenblau. Er soll selbst nach zehn, fuchzehn Maßen nicht das geringste Anzeichen eines Rausches gezeigt haben. Was für eine Versuchung muss für diesen armen Mann der tägliche Meßwein im Gottesdienst gewesen sein! Vielleicht hat ihm der Holzschnitzer deswegen einen Kelch in die linke Hand gegeben. Mit seiner rechten Hand verdeckt "Krebshaut" sein Doppelkinn. Einen förmlichen Hautsack. Diesen Hautsack hat er sich angeblich bis über die halbe Brust hinunter ziehen können.

Und dann deut ich auf eine weitere Holzbüste am Deckenbalken und frag den Sporer Reiner: "Kennst du den Mozartl? Was? Du kennst den Mozartl nicht!?". "Mozartl", so wurde in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts ein Regensburger Musikant genannt. Der spielte mit seiner "Harfe" auf der Straße und zog von Wirtshaus zu Wirtshaus. Diese Harfe war ein Holzrahmen, den er mit Seiten bespannt hatte. Sein ganzes Können bestand in einer einzigen Melodie. Der echte Mozart musste sich also geehrt fühlen, dass der Mozartl seinen Namen trug. Und wer sitzt am Biertisch unter dem Mozartl? Kevin Goodin. Ab und zu spielt er mit einer seiner Combos auf der Straße. Unter anderem mit einem Waschbrett.

"Es ist schnell aufgebaut, also schnell ausgepackt. Und allen voran ist das Waschbrett ein totaler Hingucker, da bleibt man stehen. Wer vorbeigeht, der zahlt keinen Eintritt. Eigentlich hat man aneinander keinen Anspruch, zunächst mal. Wenn dann die Musik, die man spielt, authentisch und mit Freude rübergebracht wird, so habe ich die Erfahrung gemacht, dann bleiben die Leute auch gerne stehen und genießen das. 
Es gibt natürlich auch Strassenmusiker, die sich sehr schwer tun. Es ist kein leichtes Leben, und man schwimmt jetzt nicht im Geld. Man muss der Sonne hinterher wandern, weil im Winter Straßenmusik machen in Deutschland ist aussichtslos. Da verdient man viel zu wenig, die Leute möchten nicht stehen bleiben."

Kevin Goodin

Die Kellnerin:

Herbert Zimmermann ist Schnupfer mit Lust und Leidenschaft. Und wo sitzt er? Unter dem „Schmalzler Franzl“! Auch der „Schmalzler Franzl“ ist eine Holzbüste, die aus dem Deckenbalken vom Gravenreuther herauswächst. Und auch er war eine bekannte Wirtshauserscheinung seiner Zeit. Mit seinem zusammengedetschten schwarzen Hut. Und seinem fetten Schnauzer. Wie er an dem vorbeigekommen ist mit seinem Schnupftabak, das hätte ich sehen mögen. Der muss sein Nasenspitzl ganz schön hinaufgebogen haben, damit die Nasenlöcher frei geworden sein.

"I bin nie Raucher gwesen. Durch Zufall irgendwo hob i amoi in der Wirtschaft bei jemand gschnupft. Und dees hod ma gfalln, is mindestens 30 Jahr her, und dann hob i ma dacht, dees is a praktische Sach, dees macht Spaß, dees macht di frei, hängst a bissl in de Lüfte bei der ersten Brise - Und seitdem schnupf i.
Am Lustigstn wars in Syrien amoi, vor 5 Jahr. Da warn die ganz scharf auf dees Schnupfa. Zerschd hams gmoant, dees waar a Droge, Gottseidank hob i gnua dabei ghabt. Und dann hob i die verleitet dazu, dass die aa schnupfen. In Damaskus, do warn ma in einer richtigen Wirtschaft, a riesengroße Wirtschaft, für vielleicht 4 bis 500 Leut. Na ham die dees aa mitkriagt, na is erst da kleinere Gschäftsführer kumma, dann da größere, hob i dem aa oane gschenkt, sagt er, da hinten sitzen drei junge Damen, dee dan grad Shisha rauchen, und die woin aa browian, und dann ham die so ganz cool midm Handy ihr Shisha-Pfeiferl, und dann ham zwoa vo de Mädls, de warn vielleicht 25, ziahng se da die Brise eine, i hob drauf gwart, dass se s zreisst! Nix is bassiert."

Herbert Zimmermann

Joseph Berlinger, geboren in Lam, ist seit mehr als 40 Jahren Wahl-Regensburger. Fast ebenso lang schreibt er schon Theaterstücke, die viel mit Regensburg und seiner Geschichte zu tun haben. Und das war oft weder für ihn noch für sein Publikum eine leichte Kost.



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