Agentur Tollwerk Gleicher Lohn für alle?
Gleicher Lohn für alle? Oder gestaffelt nach Verantwortung? Diese Frage spielte in der Agentur Tollwerk eine große Rolle. Im Folgenden stellen wir Ihnen das Audio sowie aus Gründen der Barrierefreiheit das Original-Manuskript zur Verfügung.
Joschi Kuphal:
Mein Name ist Joschi Kuphal, ich bin der Gründer und Inszenator dieser Werbeagentur Tollwerk, in der wir gerade sitzen, die jetzt in dem Jahr 25 Jahre alt wird.
Autor:
Happy Birthday Tollwerk. Eine Full-Service Werbeagentur aus Nürnberg. Die haben ein Spezialgebiet – das ist die Barrierefreiheit. Und weil Sie sich schon immer mit Lösungen beschäftigen, die möglichst viele unterschiedliche Bedürfnisse berücksichtigen, haben sie sich schon immer auch Gedanken darüber gemacht was für eine Art Arbeitgeber sie sein möchten. Auch in Sachen Gehälter die gezahlt werden.
Joschi Kuphal:
Gehälter sind für mich in einer gewissen Weise ein schwieriges Ding, weil sie für jeden wirklich was anderes bedeuten.
Autor:
z.B. für Sophie, Kai und Nina, die bei Tollwerk arbeiten.
Collage Sophie, Kai und Nina:
Gehälter sind für mich ein Teil von Wertschätzung der Arbeit einer Person. /// Für mich sind Gehälter ein Mittel zum Zweck. Ich finanziere mir mit meinem Geld, was ich in der Arbeit verdiene, meine Hobbys, mein Leben und all die schönen Sachen außerhalb von der Arbeit./// Gehälter sind für mich zweitrangig. Entscheidend sind Umfeld und Aufgaben, die zu mir passen.
Autor:
Als die Agentur im Jahr 2000 gegründet wurde, waren die drei noch nicht dabei, kamen also erst später dazu. Tollwerk entwickelte sich mit der Zeit, bekam ein klares inhaltliches Profil und wuchs personell zunächst mit Azubis. Die machten hier ihre Ausbildung und blieben anschließend auch Teil des Betriebs.
Das Thema Gehälter wurde von Anfang an mitgedacht. Wichtig dabei die Werte, für die die Mitarbeitenden und die Agentur auch nach wie vor noch stehen. Fairness, Transparenz und Gerechtigkeit.
Joschi Kuphal:
Und irgendwie kam dabei heraus, dass wir gesagt haben, wir wollen alle das Gleiche verdienen. Also wir wollen ausschließen, dass sich jemand benachteiligt fühlt durch Bezahlung oder dass da eine ungünstige Drucksituation entsteht. Und so entstand dann, dass wir im Prinzip alle dasselbe verdient haben. Also dasselbe verdienen heißt es nicht in absoluter Zahl, sondern heißt wir haben alle einen internen, gleichen Satz gehabt, wenn man das so möchte. Ich weiß nicht mehr, was das war. Aber es war auf jeden Fall so, dass jeder für seine Stunde Anwesenheit einen bestimmten Betrag am Ende Achtung netto auf dem Konto hatte. Das war auch eine Besonderheit, also wir haben Netto-Vereinbarungen gemacht, was total kurios war.
Autor:
Alle verdienen das Gleiche. Und wenn jeder das Gleiche verdient, entsteht kein Konkurrenzdruck untereinander. Logisch. Eine gute Idee und Grundlage für ein angenehmes Arbeitsklima. Doch so attraktiv das Gehaltsmodell war, so ungewöhnlich war es auch.
Collage Nina und Kai:
Es hat alle irgendwie auf die gleiche Ebene gebracht, also niemand war mehr wert als der andere. /// Wo ich dann meine Ausbildung beendet hatte, war ich schon zunächst überrascht, dass das Gehalt von mir auch auf dem gleichen Level ist wie zum Beispiel von uns im Senior-Developer, wo ich mir schon auch erst Gedanken gemacht habe. Ist das eigentlich okay? Ich war auf alle Fälle sehr verwundert.
Autor:
Die ersten zehn Jahre lief alles gut. Doch wie das bei Unternehmen so ist, es kam auch bei Tollwerk mit der Zeit immer wieder zu Veränderungen. So z.B. im Teamgefüge. Mitarbeitende, die ins Unternehmen hineingewachsen waren, verließen den Betrieb und ab 2010 kamen neue Leute von außerhalb dazu. Und die hatten bereits erste Erfahrungen in anderen Unternehmen gesammelt. Auch in Sachen Bezahlung. Das bisher so geschätzte und als fair empfundene Gehaltsgefüge wurde durch verschiedene Überlegungen plötzlich auf die Probe gestellt.
Joschi Kuphal:
Eine war, das ein Mitarbeiter beispielsweise darüber nachgedacht hat, eine Familie zu gründen oder in dem Fall aufs Land zu ziehen und sich dort irgendwie auch anders zu orientieren und festgestellt hat, dass er durch unser seltsames Konstrukt nicht in der Lage war, sich selbst zu optimieren. Im Sinne von ich Power jetzt mal rein. Und dann kriege ich aber auch was mehr. Also eigentlich auch eine irgendwie vernünftige Erwartungshaltung, die man haben kann. Oder sagt ich gebe jetzt mal wirklich Gas, ich bin jung und brauche das Geld, und das kriege ich jetzt auch mal hin. Das hat unser System nicht zugelassen, weil so haben wir nicht funktioniert. Ein anderer schwieriger Punkt war wir hatten tatsächlich auch Bedarf an zusätzlichen Kolleginnen und Kollegen, wir hatten Bewerberinnen, die dann zu uns kamen und ihre Vorstellungen präsentiert haben. Und wir dann festgestellt haben, die liegen jetzt außerhalb dessen, was wir uns normalerweise zugestehen. Aber vor allem wenn wir uns treu bleiben wollen und dieser einen Personen mehr zahlen wollen als allen anderen, dann haben wir ein Problem mit uns selbst, respektive wir müssen das, was wir der Personen mehr zahlen, uns allen anderen sieben damals auch mehr zahlen. Das heißt, dieses mehr hätten wir versiebenfachen müssen, und es hat einfach unsere Kapazität überstiegen. Und dann haben wir gemerkt durch unsere eigene Haltung blockieren wir uns bei. Gleichzeitig hätten wir die Person wirklich gut im Team gebrauchen können. Sie hätte uns weitergebracht.
Autor:
2017 geriet das Team von Tollwerk an diese Blockade – oder um bei der inhaltlichen Ausrichtung der Agentur zu bleiben - Barriere. Und die wollten sie überwinden, ohne aber ihre bisherigen Werte aufzugeben. Anderthalb Jahre Recherche folgten und ein Prozess an dem sich jeder im Unternehmen beteiligen konnte. Sie wollten klären: Was ist überhaupt ein faires Gehalt? Welche Faktoren sollen bei der Einordnung eine Rolle spielen? Was ist mit der wertschöpfenden Arbeit nach Außen und was mit dem nach innen gerichteten Engagement fürs Team? Hat eine dreifache Familienmama nicht andere Bedürfnisse als ein alleinstehender junger Mann? Der neue Anspruch bei Tollwerk: Jeder sollte sich, seine Tätigkeit und soziale Situation im neuen Gehaltsgefüge wiederfinden.
Joschi Kuphal:
Und so sind wir dann quasi zu einem System gekommen ist, das wir Quantumsystem nennen. Und dieses System setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, im Wesentlichen einem Sockel, der für alle gleich ist - das ist so ein bisschen das Erbe aus dem früheren System - also, der ist für alle da. Dieser Sockel soll sicherstellen, dass alle ein lebenswürdigen Verdienst haben, und obendrauf baut sich dann sozusagen noch mal in verschiedenen Dimensionen ein Anteil, der wirklich persönlich unterschiedlich ist und eben all diese Aspekte versucht mit zu berücksichtigen.
Autor:
Ab sofort galt: Der variable Betrag x, der auf den Sockel dazugerechnet wird, ist abhängig von vier Dimensionen. Das sind: Erstens: Die Rolle, die jemand im Unternehmen einnimmt, abhängig von Verantwortung und Erfahrung. Zweitens: Die Person. Hier wird geschaut, wer man ist, wo man im Leben steht und welche Bedarfe man hat? Drittens: Die Leistung, also was der Output in wertschöpfender Hinsicht ist. Und viertens: das Verhalten, also wie viel derjenige zur Kultur und dem Teamgefüge beiträgt.
Joschi Kuphal:
Wir haben es geschafft beizubehalten, dass es sich immer noch fair anfühlt, beziehungsweise dass alle ein Mindestmaß an Sicherheit haben, ohne jeden Tag kämpfen zu müssen, auf die Schultern von jemandem anderem steigen zu müssen oder sich sozusagen behaupten zu müssen. Es gibt hoffentlich keine Konkurrenz im Team. Also das haben wir beibehalten. Das hat funktioniert. Und was wir eingeführt haben, ist eben trotzdem ein gewisses Maß an Selbstwirksamkeit, dass ich selber steuern kann. Wo bewege ich mich eigentlich gerade hin, dass ich angstfrei auch mal einen Schritt zurücktun kann, wenn es drauf ankommt. Und das ist sozusagen die Nachvollziehbarkeit. Man kann gut damit leben, dass jemand anderes, mehr oder weniger verdient, wenn ich verstehen kann, warum das so ist.
Autor:
Das sieht auch Sophie so. Sie engagiert sich bei Tollwerk im Arbeitskreis Gehälter und ist sich sicher, dass dieses flexible Modell auch in Zukunft Bestand haben wird. Sie findet es zum einen sehr flexibel und zum anderen widerstandsfähig was den Einfluss von äußeren Faktoren angeht.
Sophie:
Ich würde sagen, es ist die Gerechtigkeit, also so Aspekte wie das Thema Gender-Pay-Gap und so was ist bei uns einfach von vornherein schonmal ausradiert. Und dass man sich zum einen eben selbst sehr gut verorten kann. Man reflektiert sich, seine eigene Leistung, die Dinge, die man hier im Team beiträgt. Und reflektiert aber auch seine Teamkolleg:innen gleichzeitig mit. Und das nicht auf Basis von Eitelkeiten, sondern es ist wirklich auf Basis von Inhalten. Und das es macht einen guten Unterschied für mich.
Autor:
Und all das ist nicht in Stein gemeißelt. Die Agentur Tollwerk aus Nürnberg möchte sich auch weiterhin immer wieder selbst hinterfragen. Das gehört auch zu einer unternehmerischen Verantwortung der man gerecht werden möchte. Genauso wie Mut zu haben, getroffene Entscheidungen zu überprüfen und zu korrigieren, wenn nötig.
Joschi Kuphal:
Gehälter sind für mich in einer gewissen Weise ein schwieriges Ding, weil sie für jeden wirklich was anderes bedeuten. Gehälter sind oft Anstoß von Schwierigkeiten, aber Gehälter können auch tatsächlich dann in den Hintergrund rücken, wenn die restliche Umgebung stimmig ist und einen erfüllt. Und auf die Art und Weise ist es ein wichtiger Baustein von dem, was wir alle brauchen. Aber es ist eben nur ein Baustein.