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Truppenübungsplatz Grafenwöhr Amerika in der Oberpfalz

Grafenwöhr gilt als modernster Truppenübungsplatz Europas – für die US-Streitkräfte und ihre Nato-Verbündeten. Dort leben heute 30.000 Amerikaner – Soldaten und ihre Familien. Wie verträgt sich "Amercian Lifestyle" mit Oberpfälzer Lebensart?

Von: Harald Grill

Stand: 15.04.2019 | Archiv

Ich, Harald Grill, nähere mich der Oberpfälzer Kleinstadt Vilseck und dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr vom Südosten her. Vilseck liegt im toten Winkel zwischen der Autobahn Nürnberg-Prag und der Autobahn Regensburg-Berlin. Den Monte Kaolino kennen viele, diese weithin sichtbare Abraumhalde, die beim Kaolinabbau zwischen Schnaittenbach und Hirschau entstanden ist. Ein Berg aus feinriesligem Vogelsand, auf dem man Schifahren kann.

Das Vitzthum-Village – Wohnsiedlung der Amerikaner

Die Vitzthum-Siedlung

Nun folge ich dem Verlauf einer kurvigen, schmalen Straße, bringe mehrere Abzweigungen hinter mich, bis ich von einer Anhöhe aus zwei Kirchtürme erkenne. Dahinter ein langgestreckter schwarzer Hügelrücken und der Truppenübungsplatz. Als ich in die Stadt hineinfahre, verirre ich mich und lande in einer Siedlung, die so gar nicht zum Kern des alten Ortes passen will.

"Es ist das Vizthum-Village, nach Pfarrer Vitzthum benannt, der sich sehr um die Amerikaner bemüht hat. Ein Wohngebiet, in dem ursprünglich nur amerikanische Familien gewohnt haben."

Anna Metz

Zu Gast bei Anna Metz und ihrem Mann Edmund. Anna war 40 Jahre lang Lehrerin in Vilseck. Sie kennt hier fast jede Familie, Eltern und Kinder. Viele sind zu ihr in die Schule gegangen.

"Wer sich integrieren will, findet immer einen Anschluss und wer keinen Wert darauf legt, der lebt für sich alleine in seiner amerikanischen Umwelt."

Anna Metz

Man sieht schon von außen, dass es keine Häuser sind, in denen vornehmlich Deutsche wohnen.

"Es sind lauter Flachdächer, die sind ein bisschen ungewöhnlich für Vilseck."

Eduard Metz

Deutsche finanzieren ihr Haus mit amerikanischen Mietern

Was ich schön fände, ist die Durchmischung, dass die Deutschen und die Amerikaner als Nachbarn miteinander leben.

"Die Durchmischung war meiner Meinung nach früher noch größer, denn viele Vilsecker haben sich ihr Haus gebaut und durch den amerikanischen Mieter haben sie das Haus finanziert, sie konnten es gut abbezahlen, weil es relativ hohe Mieten gegeben hat."

Anna Metz

Amerikanische Kinder an deutschen Schulen

Anna und Eduard Metz

Je mehr gemeinsame Orte und Situationen es gibt, desto mehr verzahnt sich das amerikanische Leben mit dem oberpfälzischen. Im Grunde wäre es ja auch für die Kinder gut, wenn sie im Kindergarten und in der Schule zusammen wären. Andererseits wären die amerikanischen Kinder wohl überfordert, weil die meisten nicht besonders gut Deutsch sprechen.

"Es war immer gut im Englischunterricht, wenn amerikanische Kinder mit drinnen waren, weil da unsere Kinder viel mitgenommen haben, von der Sprache, von der Sprachmelodie her, wenn die ihnen das vorgesprochen haben. Eine gewisse Scheu war dann schnell weg."

Anna Metz

Die amerikanischen Kinder haben allerdings ihre eigene Grundschule, die Elementary School. Einige kommen dennoch in die deutsche Grundschule.

"Das sind Kinder, bei denen ein Elternteil deutsch ist und manchmal sind‘s auch Kinder von Firmenangehörigen, denn die Elementary School ist eine Armeeschule. Und wenn dort Firmenangehörige, die nicht der Army angehören oder Zivilbeschäftigte der Army sind, ihre Kinder in die Schule schicken wollen, dann müssen die Schulgeld bezahlen und das sind pro Kind und pro Jahr immerhin so um die 10.000 Dollar. Und weil das für manche Familien einfach nicht erschwinglich ist, gehen auch solche Kinder dann in die deutsche Schule. Wir müssen die nehmen, bei uns ist Schulpflicht. Und manche wollen ihr Kind bewusst in die deutsche Schule schicken, weil sie sagen, wir bleiben länger da und mein Kind lernt die deutsche Sprache schön nebenbei."

Anna Metz

Reibungsverluste seit dem Terroranschlag vom 11. September 2001

Eine Warnfahne vor einer Schießschneiße auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr

Zwischen draußen und drinnen gibt es am Truppenübungsplatz ein ständiges Hin und Her. Geschäftsleute und Handwerker fahren ein und aus, amerikanische Kinder, die außerhalb des abgegrenzten Gebietes des Übungsplatzes wohnen. Mehr als sechzig Buslinien ermöglichen, dass sie zum Unterricht gebracht und wieder heimgeholt werden. Mit der Katastrophe vom 11. September 2001 rückte die nördliche Oberpfalz schlagartig näher an den Brennpunkt des Weltgeschehens. Der Terroranschlag hat vieles verändert und führt zu Reibungsverlusten beim Miteinander von Oberpfälzern und Amerikanern.

"Vor dem 11. September ist man rein- und rausgefahren ohne jegliche Behinderung. Man konnte zum Burger-Essen rein. Die jungen Leute sind zum Bowling rein gefahren und das war schlagartig alles zu Ende. Da sind die großen Kontrollen gekommen am Lagereingang, es gab große Angst vor Anschlägen. Ich weiß, wir sind an diesem Abend durch dieses große Wohngebiet Vizthum-Village gefahren, das war wie ausgestorben. Die waren alle innerhalb des Lagers. Es ist zum Beispiel auch mit den Schulbussen so, dass die einen Schulbusbegleiter haben, der drauf achtet, dass kein verdächtiges Fahrzeug folgt, der in der Früh mit einem Spiegel untern Bus runterfährt, dass also ja nichts passieren kann."

Anna Metz

Die Vorfahren von Anna Metz stammen aus dem Gebiet, das heute zum Truppenübungsplatz gehört.

"Das Südlager im Truppenübungsplatz ist Gemeindegebiet von Vilseck. Das war die frühere Gemeinde Langenbruck. 1938 war die Erweiterung vom Truppenübungsplatz, da sind alle diese Dörfer ausgesiedelt worden. Und aus der Gemeinde Langenbruck stammt übrigens mein Großvater raus und sein jüngerer Bruder, der hat damals die Ablösesumme gekriegt. Sie haben eine Posthalterei gehabt, das war eine Wirtschaft mit einer Pferdewechselstelle für den Postverkehr von Bayreuth nach Nürnberg. Und die Ablösesumme war damals recht gut. Mein Großonkel, der hat sich dann das Hammerschloss in Theuern kaufen können. Man darf ja nur ein paar Mal im Jahr in den Truppenübungsplatz hineinfahren, das ist an Allerheiligen zum Friedhofsbesuch und am Dreifaltigkeitssonntag zur Wallfahrt zur Wolfsschützenkapelle. Das ist die Stelle, wo angeblich der letzte Wolf im Truppenübungsplatz erschossen worden ist. Mittlerweile ist er ja wieder im Truppenübungsplatz drinnen."

Anna Metz

Truppenübungsplatz der Königlich-Bayerischen-Armee

Eine Kontrollstelle vor den Rose Barracks

Gleich hinter dem Vilsecker Eingang zum Militärgelände, diesem Tor, diesem "Gate", das einer Grenzstation gleicht, liegt das Südlager, ein Begriff aus der Zeit, als die Deutsche Wehrmacht den Truppenübungsplatz vergrößert hat. Eingerichtet hatte ihn die Königlich-Bayerische-Armee bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Anna und Eduard meinen, dass mir dies und noch viel mehr der Vilsecker Bürgermeister Hans-Martin Schertl erzählen könne.

Vilseck: 6.000 Einwohner, 8.000 amerikanische Mitbürger

Den Stadtplatz und das Rathaus finde ich schnell. Unterwegs fallen mir die englischen Beschriftungen auf den Ladenschildern auf. Gegenüber vom Rathaus ein "Travel-Service". Auf einem Plakat steht deutsch und englisch nebeneinander: "Fähre Ticket" und "Ferry Tickets", "Finanzierung" und "Fly now – pay later!" "Kreuzfahrt" und "Cruise".

"Vilseck hat circa 6.000 Einwohner und darüber hinaus etwa 8.000 amerikanische Mitbürger, ich betone ganz besonders 'Mitbürger', weil wir wirklich einen sehr guten Kontakt haben. Es sind bei uns ca. 5.000 Soldaten angesiedelt und darüber hinaus 3.000 amerikanische Familienangehörige. Natürlich gibt’s Wohngebiete für Amerikaner, aber die amerikanischen Familien leben oft auch bei deutschen Hausbesitzern zur Miete und da haben sich wirklich sehr vielfältige Kontakte entwickelt."

Hans-Martin Schertl, Bürgermeister von Vilseck

Ein Übungsplatz für Toleranz und Liberalität

Vilseck kommt mir vor wie ein Lernfeld, ein "Übungsplatz für Toleranz und Liberalität. Altes und Neues, Fremdes und Vertrautes, Nähe und Ferne scheinen nebeneinander Platz zu haben.

"Es gibt Verbindungen zu verschiedenen Einheiten, die kommen dann und stellen sogar den Kirwabaum mit auf, stellen das Kirwazelt mit auf, trinken dann auch eine Maß Bier und kriegen Bratwürste für ihre Leistung, kommen dann auch abends zur Kirwafeier und feiern dann gemeinsam mit. Und das spricht sich rum, so dass die Amerikaner immer sagen, ok, ob das in Grafenwöhr ist oder in Vilseck ist, die sagen 'home away from home'. Sie fühlen sich bei uns zuhause jenseits ihres Zuhauses in Amerika. Wir haben bei uns in meinem Haus seit zwanzig Jahren immer die Wohnung im ersten Stock an Amerikaner vermietet und wir haben sehr gute Kontakte, sei es über Facebook, übers Internet. Und unsere ersten Mieter aus dem Jahr 1995 kommen in regelmäßigen Abständen jedes zweite Jahr, teilweise jedes Jahr zu Besuch. Sie legen die Besuche schon so, dass sie dann bei verschiedenen Festen mit da sein können, dass man sich dann trifft und gemeinsam einmal wieder reden kann für eine, zwei Wochen. Und nicht nur bei uns ist das so, sondern auch bei vielen anderen, die man kennt. Die sagen, wir haben Kontakt und kriegen immer wieder mal Besuch von früheren Freunden, Freunden aus den Staaten."

Hans-Martin Schertl, Bürgermeister von Vilseck

Sechs bis acht deutsch-amerikanische Trauungen pro Jahr

Bei so vielen Kontakten untereinander darf es einen nicht wundern, wenn es auch zwischen Oberpfälzern und Amerikanern beiderlei Geschlechts des Öfteren funkt. Geschichten gäbe es zu erzählen über oberpfälzisch-amerikanischen Paare, denen sich die Welt öffnete – Geschichten vom Scheitern oder vom Gelingen gemeinsamer Lebensentwürfe.

"Wir haben im Standesamt im Jahr etwa sechs bis acht Trauungen mit amerikanischen Soldaten. Wenn deutsche Frauen Amerikaner heiraten. Natürlich ist das dann so, dass die Soldaten wieder versetzt werden, auch zurück nach Amerika versetzt werden und dann die deutschen Frauen mit nach Amerika gehen. Aber es hat auch Fälle gegeben, in denen dann auch die Frauen oder die Frauen mit Kindern wieder zurückgekommen sind, alleine, weil halt das Leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nicht versprochen hat, was sie sich letztendlich erhofft hatten."

Hans-Martin Schertl, Bürgermeister von Vilseck

Das Süd- und das Ostlager

Bürgermeister Hans-Martin Schertl ist im Besitz eines Passierscheins, denn das Südlager gehört rechtlich gesehen zum Stadtgebiet von Vilseck. Er bietet mir an, mich in den Truppenübungsplatz mitzunehmen. "Gasthof zum Südlager" lese ich und schon kommt die Kontrollstelle des Übungsgeländes in Sicht. Alle kennen den Bürgermeister und werfen nur einen kurzen Blick auf unsere Ausweise. Man hat uns wohl schon angekündigt. So können wir die Wachtposten ohne weiteres passieren.

30.000 Amerikaner wohnen und arbeiten hier

Die meisten Amerikaner, die im Truppenübungsplatz zu tun haben, wohnen in Vilseck, und nördlich des militärischen Areals in Eschenbach und Grafenwöhr, wo es noch eine zweite Kaserne gibt: das Ostlager. Insgesamt spricht man von einem Bevölkerungsanteil von 30.000 Amerikanern im Raum der Truppenübungsplätze Grafenwöhr mit Hohenfels: 10.000 Soldaten mit 20.000 Familienangehörigen und zivilen Beschäftigten.

Vilseck bekommt 5,5 Millionen Euro vom Freistaat

Vilseck

Dafür bekommen diese Orte Schlüsselzuwendungen vom Freistaat Bayern. Der Vilsecker Stadtkämmerer zum Beispiel kann im jährlichen Haushalt immerhin 5,5 Millionen Euro verbuchen. Auerbach oder Kichenthunbach, die Orte am westlichen und nordwestlichen Rand des Truppenübungsplatzes haben das Nachsehen – und den Schießlärm.

Eine amerikanische Kleinstadt mitten in Bayern

Tom Hough, Kommandeur des 2. Kavallerieregiments der US Army, mit Hans-Martin Schertl, Bürgermeister von Vilseck

Wir befinden uns urplötzlich in einer amerikanischen Kleinstadt. Bank of America. lese ich, Elementary School. Großzügige, breite Straßen. Viel Luft zwischen den Gebäuden. Vor einem der Verwaltungsgebäude halten wir an. Franz Zeilmann, der Pressesprecher des Truppenübungsplatzes, der auch zuständig ist für deutsch-amerikanische Beziehungen, hat schon auf uns gewartet. Wir folgen ihm die Treppen hinauf. In den Gängen ist ganz schön was los. Soldaten und Soldatinnen in ihren grünen Uniformen. An den Wänden die Fotos der früheren Commander, Flaggen, Wappen, Urkunden. Commander Tom Hough kommt uns entgegen. Franz Zeilmann ist mein Dolmetscher.

"Beim Faschingszug, letzten Sonntag, waren mehrere Kommandeure mit dem Bürgermeister Schertl dabei und haben da eine Riesengaudi gehabt. Also, was wir hier machen ist immer deutsch-amerikanisch, egal was: Kirwa, Fasching, alle möglichen Feste. Aber es spielen auch Amerikaner im Fußballverein, also wirklich ein tolles Miteinander."

Franz Zeilmann, Pressesprecher des Truppenübungsplatzes

"Hier in Vilseck sind etwa 4.500 Soldaten stationiert und mit den Familien haben wir über 10.000 Amerikaner hier in der Kaserne, die zum größten Teil in der Kaserne wohnen, aber auch in der Stadt Vilseck, in Sorghof, in Schlicht in Sulzbach-Rosenberg, in Amberg und die sind eigentlich sehr gut eingegliedert. Bürgermeister Schertl macht alles Mögliche, um die Soldaten gut einzugliedern und die Lebensqualität hier, der Soldaten und Familien, ist erheblich davon abhängig, wie die Zusammenarbeit und das Zusammenleben mit den Deutschen ist und das ist sehr gut."

Tom Hough, Kommandeur des 2. Kavallerieregiments der US Army, übersetzt von Franz Zeilmann

Die Soldaten sind normalerweise etwa drei Jahre in Vilseck stationiert und haben dann auch Zeit, sich in Bayern einzugliedern, die bayerische Kultur kennenzulernen. Colonel Hough ist aus Alaska und seine Kinder spielen in Amberg Eishockey.

"Wenn neue Soldatenfamilien kommen, haben wir hier so ein Sponsorship-Programm, mit dem die neue Familie, der neue Soldat an die Hand genommen wird und ihm gesagt wird, was alles los ist hier, was man alles machen kann, wie man den Führerschein macht. Sie müssen den Führerschein neu machen, wenn sie nach Deutschland kommen oder die Frage danach, wie sie in einen Verein reinkommen können, wie sie in die deutsche Kultur reinkommen können."

Tom Hough, Kommandeur des 2. Kavallerieregiments der US Army, übersetzt von Franz Zeilmann

"Wir haben auch innerhalb der Armee verschiedene Kulturveranstaltungen, mit denen sich die verschiedenen ethnischen Gruppen darstellen können. Zum Beispiel die Schwarzafrikaner, die Asiaten, die spanischer Abstammung, die Native Americans, die wir Indianer nennen, die sich innerhalb der Armee darstellen können mit Tänzen, mit Kleidung, mit Essen, einfach mit Kultur und auch Geschichte, das wird hier ganz groß gemacht. Denen werden verschiedene Monate im Militärleben gewidmet, in denen sie sich selber darstellen können."

Franz Zeilmann, Pressesprecher des Truppenübungsplatzes

Ein aufgeräumtes, amerikanisches Städtchen

Nach dem Gespräch mit dem Kommandeur unternimmt Hans-Martin Schertl noch eine Rundfahrt mit mir. Wir durchfahren ein aufgeräumtes, amerikanisches Städtchen: die Bücherei: Rose Barracks Library, das Theater: Rose Barracks Theater, die Schule: Rose Barracks Education Center, eine Tankstelle: Rose Barracks Express, die Bank of America, ein Lebensmittelhändler: Vilseck Commissary, das Bowling Center, die Poliklinik: Vilseck Health Clinic, die Kirche: Rose Barracks Chapel. Dazwischen, wie Denkmäler in die Wiesen gestellt, ältere amerikanische Panzer. Schließlich parkt der Bürgermeister vor einem Fast Food-Restaurant. Er erweist sich als echter "Burger-Meister" lädt auf einen Burger mit Cola ein.

Fremdes Amerika

Ich erinnere mich, dass ich als Kind mit meinen Spielkameraden im Regensburger Kasernenviertel viel mit den amerikanischen Soldaten zu tun hatte. Am amerikanischen Nationalfeiertag, haben wir jedes Jahr am 4. Juli, ihr Feuerwerk angehimmelt. Am Tag der Offenen Tür sind wir in der Ami-Kaserne auf die Panzer geklettert und haben getan, als würden wir mit dem Maschinengewehr herumballern. Die räumliche Nähe und die lässige Unbefangenheit der Amis rückte uns alles Militärische nah. Später ist mir Amerika in vielem fremd geworden.

Annäherung an die amerikanische Lebensweise

Bürger-Restaurant in den Rose Barracks

Hier rund um den Truppenübungsplatz nähere mich wieder einmal der amerikanischen Lebensweise, schiebe die Gedanken an die Kriege überall in der Welt für ein paar Augenblicke beiseite, esse inmitten von amerikanischer Soldaten und ihrer Familien mit dem Vilsecker Bürgermeister Hans-Martin Schertl den ersten Burger meines Lebens – und staune, dass er mir schmeckt.

Das Südlager heißt heute Rose Barracks

Rose Barracks nennen die Amerikaner den Ort zur Erinnerung an General Maurice Rose, der im Alter von 45 Jahren am Ende des Zweiten Weltkrieges an der Spitze der von ihm geführten 3. US-Panzerdivision nahe Paderborn ums Leben kam. Die Bezeichnung Barrack – im englischen so viel wie "Kaserne" – erinnert an den deutschen Namen Südlager, das hier während des Dritten Reiches stand, und in dem während des Zweiten Weltkriegs ein Gefangenenlager untergebracht war.

Die Folgen der Weltpolitik in der Provinz

Kurz bevor wir das Gelände von Rose Barracks in der amerikanisch-oberpfälzischen Provinz am Rande der Military Area verlassen, weist mich Hans-Martin Schertl auf einen Gedenkstein hin für Soldaten, die nicht aus dem Irakkrieg zurückgekehrt sind. Angesichts der Umgebung von Rose Barracks mit den vielen Weihern und Wäldern denkt man zunächst eher an einen Nationalpark als an einen Truppenübungsplatz. Aber die Anwesenheit der amerikanischen Soldaten lässt immer wieder auch die Folgen der Weltpolitik in der Provinz aufblitzen. Im Fernsehen sind Nine-Eleven und Amokläufe weit weg. Aber im Truppenübungsplatz Grafenwöhr werden sie auf einmal greifbar und begreifbar. Die Berichte in den regionalen Medien über Gedenkfeiern für gefallene Soldaten lassen aufhorchen.

Training für die Entführung Mussolinis

Schießübungen, die man über viele Kilometer hinweg hören kann. Ich bin dabei, das Leben an und in einem der modernsten und größten Truppenübungsplätze von Europa kennenzulernen. Viele Bewohner wurden hier 1910 und 1938 ausgesiedelt. Ihre Dörfer wurden zu Kulissen für Militärübungen. So trainierte eine Spezialtruppe der deutschen Wehrmacht hier die Entführung Mussolinis mittels eines Kleinflugzeuges der Marke Fieseler Storch. Noch viele andere Beispiele ließen sich aufzählen. Seit dem Zweiten Weltkrieg bereiten sich hier die US-Army und andere Nato-Staaten auf ihre Kampfeinsätze vor. Seit ein paar Jahren gibt es spezielle Übungen mit einer Ukraine-Gruppe.

Ein Künstler erinnert sich an eigenartige, spannende Mischung von Kulturen

Europäische Vernetzungen – da fällt mir der Bildende Künstler Albert Braun ein. Er ist der erste Vilsecker, den ich in meinem Leben kennengelernt habe: Und wo? In Finnland! Dort arbeitet er an der Kunsthochschule Nykarleby. Ich schließe jetzt einfach einmal von mir auf andere und vermute, die Wurzeln seines Fernwehs reichen zurück bis in seine Kindheit am Rande des Truppenübungsplatzes.

"Man ist eigentlich mit Militär aufgewachsen und es gab auch viele Manöver außerhalb des Übungsplatzes. Das war natürlich als Kind sehr beeindruckend. Ich habe da sehr viel gezeichnet: Panzer, Soldaten und so weiter. Ich meine, es geht nicht nur ums Militär, vor allem sieht man ja die Sache ein bisschen anders. Aber schon der Berührungspunkt zwischen unserer Kultur, dort in der Oberpfalz, in Vilseck und auch die Einflüsse, die durch die Amerikaner da in unser Städtchen kamen, ist im Nachhinein schon interessant und spannend. Auch als Jugendlicher, als wir so ein bisschen das Nachtleben mitbekamen. Meine Geschwister haben immer davon erzählt, wie Elvis Presley einmal in Vilseck war und da gesungen hat im alten Kino – ich kenne ja das Gebäude noch. Und ich habe dann Ende der 70er Jahre schon in Berlin studiert und war ab und zu mal wieder unten in Vilseck, dort gab’s eine Diskothek, die von Amerikanern gemacht wurde und dort habe ich das erste Mal Rap-Musik gehört. Da gab’s bei uns im Rundfunk noch gar nichts. Das ist schon eine eigenartige Mischung von verschiedenen Kulturen, die interessant ist."

Albert Braun, Künstler

Heute lebt Albert Braun umgeben von viel offenem Land und dem Meer an der Ostseeküste im schwedischsprachigen Teil Finnlands. Mit seinen Arbeiten beschäftigt er sich mit Projekten, mit denen er sich künstlerisch an den Widersprüchen der "großen" Welt abarbeitet. Aber der Kontakt nach Vilseck ist nie abgerissen, denn er stellt die Weltprobleme zurück in den regionalen Raum, dorthin, wo sie eben auch Wurzeln haben. Dabei nimmt er immer wieder Maß mit den Erfahrungen, die er als junger Mensch hier im oberpfälzer Amerika  gesammelt hat, greift zurück auf Anstöße, die er in diesem Raum erhalten hat – in dieser heimeligen Region, in der sich schon so mancher Kopf und Ellbogen wundgestoßen und gleichzeitig Maßstäbe erworben hat für ein Leben draußen in der Welt. Es ist bei Albert Braun wie bei vielen anderen Oberpfälzern auch, das Wechselspiel zwischen Heimat und Fremde, zwischen der Lust auf die Ferne und der Sehnsucht nach Nähe, das ihn frei und souverän gemacht hat.

Militärgelände und Naturparadies in einem

Landschaft im Truppenübungsplatz Grafenwöhr

Ich plane einen zweiten Besuch im Inneren des Truppenübungsplatzes, diesmal mit dem Leiter des Bundesforstbetriebes Grafenwöhr. Ulrich Maushake ist Forstmann mit Leib und Seele und Amtschef ist er auch. Er ist ein ausgezeichneter Kenner der Naturausstattung des Übungsgeländes.

Zusammen mit seinem Hund Oskar steigen wir in den Jeep, begeben uns auf Tour durch ein abgesperrtes Gebiet von 25 Kilometern Länge und 13 Kilometern Breite – Militärgelände und Naturparadies in einem. Das Gebiet und die Natur des Truppenübungsplatzes kommen mir vor wie ein kleines Amerika: unerschlossene, unverstellte Natur, unbewohnte baumlosen Flächen, dann wieder Wald, Lebensraum für wilde Tiere. Was draußen das Bauerwartungsland ist, ist hier drinnen das Wolfsrudel-Erwartungsland. Wir stehen an der Wolfschützenkapelle.

"Der Wolf, der ja nun seit zwanzig Jahren eine Erfolgsgeschichte in Deutschland schreibt, was seine Intensivität der Wiederbesiedlung und des Zurückkehrens anlangt – das hat alle erstaunt. Hätte mir das jemand vor zwanzig Jahren gesagt, dass wir wieder Wölfe in Deutschland haben mit dieser dramatischen Entwicklung nach oben, hätte ich gesagt, du bist verrückt. Und für mich ist es ganz sicher: Die Oberpfalz wird Wolfsland werden, das ist unzweifelhaft. Damit sind erhebliche Herausforderungen verbunden, das ist gar keine Frage. Ich möchte hinsichtlich der Folgen eigentlich keine Aussagen machen, die man politisch interpretieren könnte. Man kann mit dem Wolf umgehen und mit ihm leben und es ist klar, er ist ein höchst faszinierendes Tier, ich habe das Glück gehabt, jetzt vor ein paar Monaten dieses Paar, das wir hier haben, auch selbst zu sehen."

Ulrich Maushake, Leiter des Bundesforstbetriebes Grafenwöhr

Elvis Presley in Grafenwöhr

Wir halten an am Beobachtungsturm auf dem Schwarzen Berg und haben einen weiten Blick auf die Impact Area, das Einschussgebiet im Zentrum des Truppenübungsplatzes, hinüber nach Eschenbach bis zum Vulkankegel des Rauhen Kulm an der Nordseite des Übungsplatzes. Ulrich Maushake will mir unbedingt etwas zeigen. Er führt mich zur rohen Ziegelwand des Turmes. In den Ziegeln haben sich frühere Besucher verewigt. Er deutet auf einen der Steine. Da steht eingeritzt ein Name und eine Zahl: "Elvis 61".

Moment – Elvis Presley kam vom 3. November bis Mitte Dezember 1958 zu einem Manöver nach Grafenwöhr und gab in der Micky Bar sein einziges Konzert außerhalb der Vereinigten Staaten. Von Mitte Januar bis Anfang Februar 1960 war er ein zweites Mal auf dem Gelände. Das ist historisch gesichert. Hier steht aber "Elvis 61" – 1961 war er längst wieder daheim in Amerika. Ist der Ziegelstein vielleicht ein Hinweis auf einen dritten, bisher nicht dokumentierten Besuch in Grafenwöhr? Egal. Die Legende lebt.

Drei Hubschrauber dicht über den Baumwipfeln

Da schiebt sich auf einmal drohend eine schwere, breite Lärmwolke über uns. Drei Hubschrauber stehen dicht über den Baumwipfeln. Ulrich Maushake hält an. Er vermutet, dass die Soldaten Konturenflug über den Baumwipfeln trainieren.

"Das ist die sogenannte Impact Area, von der aus das Schießen der Artillerie beobachtet wird. Das ist das Einschlagsgebiet der Luftwaffe und Artillerie, es liegt im Zentrum des Übungsplatzes. Hier entsteht natürlich mit Abstand der meiste Lärm. Und je mehr Wald, desto besser ist das, also sprich, wenn Berge daliegen nach außen, umso besser wird natürlich dieser Schall abgepuffert."

Ulrich Maushake, Leiter des Bundesforstbetriebes Grafenwöhr

Die Hubschrauber stehen dicht über dem Wald. Ulrich Maushake beobachtet sie misstrauisch. Werden sie Schaden an den alten Bäumen anrichten? Sie unterschreiten den Mindestabstand zu den Baumkronen. Er muss sofort mit dem Chef, der für den militärischen Übungsbetrieb verantwortlich ist, telefonieren. Auch unterwegs im Gelände ist Ulrich Maushake stets erreichbar. Der Kontakt mit den Koordinationsbehörden der US-Armee darf nicht abreißen. Ulrich Maushake hat einen Seeadler erspäht und hält an.

"Die Seeadlerpopulation hat sich hier gigantisch verändert. Als ich herkam, vor 23 Jahren, habe ich einmal im Monat einen Seeadler gesehen, und heute sehe ich eigentlich bei jedem Rausfahren Seeadler. Das hohe Rotwildvorkommen kommt den Seeadlern sehr zupass, denn sie sind Aasfresser und insbesondere im Winter fallen immer Aasstücke an und die findet der Seeadler mit seinem Adlerauge sofort."

Ulrich Maushake, Leiter des Bundesforstbetriebes Grafenwöhr

Der Wolf verändert den Abschussplan

Deer Heaven nennen die Amerikaner diesen Teil des Grafenwöhrer Übungsplatzes: Himmel der Hirsche.

"Bisher, also vor dem Wolf, ist es ja so gewesen, dass das Rotwild keinen natürlichen Feind hatte. Und insofern ist es natürlich klar, dass der Jäger regulieren muss, das geht gar nicht anders. Mittlerweile hat sich die Situation ein wenig geändert, es gibt einen natürlich Feind, das ist der Wolf. Der Wolf liefert einen Beitrag, er ist uns durchaus willkommen, aber er kann es nicht alleine tun. Und bei uns ist es so, dass wir natürlich durch die Anwesenheit von ein paar Wölfen diese in unserem Abschussplan berücksichtigen, das heißt ich habe kalkuliert, was die Wölfe, die wir hier haben, fressen und dementsprechend schießen wir weniger. Und damit macht das, wie ich meine, ganz klar Sinn, denn ob der Wolf das frisst oder der Jäger schießt, es bleibt die gleiche Wirkung: eine Reduzierung oder eine in Grenzen Haltung des Wildes, was wir natürlich wollen."

Ulrich Maushake, Leiter des Bundesforstbetriebes Grafenwöhr

Jacob Johnson kam – und blieb in Vilseck

Jacob Johnson

Ist es nicht ein Zeichen für ernsthafte Heimatgefühle, für eine Verbundenheit mit Landschaft, Menschen und Lebensart, wenn amerikanische Familien nach längerer Zeit wiederkehren und sogar dableiben wollen. Jacob Johnson ist so einer, der sich nach dem Dienst bei der Armee in den 1990er Jahren in Vilseck niedergelassen hat. Er stammt aus Virginia.

"Warum bin ich in Deutschland? Meine Frau ist hier, meine Familie ist hier, ich liebe Deutschland."

Jacob Johnson

Jacob Johnson

Die Oberpfalz ist eine kleine Region mit ausgeprägter Identität und einem bis ins Feinste definierten Heimatrahmen, in dem die Heimatpflege kultiviert worden ist unter dem Motto: bewahren und erhalten der typischen Mundart oder typischen Varianten einer Mundart, der Bräuche, der Trachten, der Volksmusik. Jacob Johnson mag das. Vor seinem Haus fällt mir sofort ein Schild auf: Honig aus eigener Imkerei, vom Erzeuger zum Verbraucher – Verkauf hier! Wir machen uns kauderwelschend gemeinsam auf den Weg zu seinen fünf Kilometer entfernten, am Waldrand versteckten Bienenvölkern. Ob er Kinder hat, will ich von ihm wissen.

"Ja, ich habe Sohn, der wohnt in Regensburg. Mein Sohn hat auch Bienen."

Jacob Johnson

Auch wenn ihm die deutsche Sprache nicht so leicht über die Lippen kommt, er mag die Oberpfalz. Ich kann ihn mir gut als Nachbarn vorstellen. Was für ein sympathischer, aufgeschlossener Mensch! Wir könnten zusammen grillen. Ich könnte ihm behilflich sein beim Honigschleudern. In einem kleinen Dorf in Virginia ist er aufgewachsen. Dort gibt es Hügel und Wälder wie in der Oberpfalz, hat er gesagt. Fast ein Himmel auf Erden, fast.


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