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Ewald Arenz Alte Sorten

Die ziemlich zornige 17-jährige Sally ist aus einer Klinik für Essgestörte getürmt – und zieht ziellos durch unterfränkische Weinberge. Dort trifft sie Bäuerin Liss. Der neueste Roman von Ewald Arenz heißt "Alte Sorten".

Von: Dirk Kruse

Stand: 11.07.2019 | Archiv

Buchcover von Ewald Arenz: Alte Sorten | Bild: Dumont-Verlag/ Foto: BR-Studio Franken/Staudenmayer

Die ziemlich zornige 17-jährige Sally ist aus einer Klinik für Essgestörte getürmt. Um nicht von der Polizei aufgegriffen und zu ihren Eltern gebracht zu werden, zieht sie fernab von Ortschaften ziellos durch unterfränkische Weinberge. Dort spricht sie eine Bäuerin an, deren Hänger eingeklemmt ist.

"'Kannst du eben mit anfassen?' Die Frage war so unvermittelt gekommen, dass Sally zusammenschrak. Dabei war sie völlig ruhig gestellt worden, wie eine echte Frage, ohne Aufforderung. Keine Frage, in der - so wie eigentlich immer - schon ein Befehl steckte. 'Magst du mir nicht ein bisschen helfen?' 'Magst du nicht ein bisschen essen?' 'Magst du mir mal das Wasser reichen?' Das waren die Scheißfragen, auf die man jedes Mal antworten musste: Nein. Mag ich nicht. Ich tu es, weil ihr stärker seid als ich. Weil ihr bestimmen könnt. Weil ihr aus irgendeinem Grund machen könnt, dass ich für euch etwas tun muss. Aber: Nein! Ich mag nicht! Fragt mich doch gar nicht erst! Tut doch nicht so, als könnte ich entscheiden! Befehlt mir einfach. Sagt: Sally, du Scheißmädchen, hilf mir."

Buchzitat

Und Sally hilft der Bäuerin Liss tatsächlich. Die ist etwa Mitte vierzig und lebt allein auf ihrem Hof. Die wortkarge Liss lässt Sally ohne groß zu fragen bei sich übernachten. Im Laufe der Zeit entwickelt sich zwischen den beiden ungleichen Frauen eine fragile Freundschaft. Zwei einsame Außenseiterinnen, die sich langsam aufeinander einlassen. Stück für Stück, als schäle er sorgfältig Obst, enthüllt Ewald Arenz die Lebensschicksale der beiden Protagonistinnen. Die wütende Teenagerin Sally, die nicht nur eine Essstörung hat, sondern sich auch noch ritzt, und die patente Liss, die von der Dorfgemeinschaft geschnitten wird und ein dunkles Geheimnis bewahrt, sind überzeugend und mit großer Empathie gezeichnet. Dafür hat der Autor intensiv recherchiert.

"Irgendwann habe ich entdeckt, dass meine Tochter - ich habe nur eine Tochter, die siebzehn ist - sich ritzt. Und du fällst aus allen Wolken, weil du denkst: Das passiert anderen. Das passiert dir nicht. Und du fragst: Wieso? Das ist jetzt acht oder neun Jahre her. Und als ich hierfür recherchiert habe, habe ich sie nochmal gefragt. Ich habe gesagt: Viktoria, wie war das für dich? Was bewegt einen? Und sie hat da sehr frei darüber sprechen können. Und ich fand das sehr gut, auch für mich auch als Vater, diese Geschichte noch einmal aufzurollen und die großen Schwierigkeiten zu sehen, die sie damals hatte. Das ist ein Teil davon. Ich habe mich dann tatsächlich auch mit einer Ärztin unterhalten, die sich auf Essstörungen spezialisiert hat und wieso das passiert."

Autor Ewald Arenz

So etwas Einfühlsames, Anrührendes und in manchen Passagen geradezu Poetisches hat man von dem Fürther Autor Ewald Arenz noch nicht gelesen. In seinem neunten Roman "Alte Sorten" schlägt er einen ganz neuen Ton an. Das liegt auch an den schönen Beschreibungen der Natur und der Arbeit auf dem Hof vom Kartoffelklauben übers Imkern bis hin zur Birnenernte. Denn der Titel "Alte Sorten" bezieht sich auf alte Birnensorten, die Liss in ihrem Obstgarten hat. Ungewöhnliche Birnen mit einem ganz besonderen Geschmack.

"Es war, als hätte man eine Blume geöffnet. Die Kerne lagen schwarzbraun glänzend in leuchtend roten Kammern. Um sie herum wie ein Bett weißes Fleisch, das wieder umgeben war von einer rosenroten Glocke. 'So was habe ich noch nie gesehen', sagte Sally. 'Alexander Lucas', sagte Liss, als sie unten angekommen war. 'Man weiß nicht, seit wann es sie gibt. Probiere.' Sally schnitt sich diesmal ein größeres Stück ab. Sie wollte das Rot und das Weiß schmecken. Es war schwer, ein Wort für die Mischung aus fest und zergehend zu finden, die das Fleisch im Mund hatte. Und sie meinte, das Rot süßer zu schmecken und im Weiß eine winzige Spur Bitterkeit, und zusammen war es ein Geschmack, der … vielleicht würde Sonnenlicht so schmecken, wenn es einem nach einem langen Sommer durch das weite Blau des Himmels und dann durch das alte Grün hoher Bäume direkt auf die Zunge fiele."

Buchzitat

Dabei beschreibt Ewald Arenz dieses Landhofleben nicht als reine Idylle. Auch die harten Seiten der Landwirtschaft werden nicht verschwiegen. Und einen echten Hof hatte der Autor beim Schreiben auch vor Augen. Der liegt im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen. Nur hat er ihn nach Unterfranken verlegt, weil er unbedingt noch einen Weinberg brauchte.

"Ich bin ja in Nürnberg geboren. Aber weil mein Vater Pfarrer war habe ich mein erstes Jahr in Markt Erlbach verbracht. Und dann bin ich tatsächlich elf Jahre in einem ganz kleinen fränkischen Dorf in der Nähe von Burgsarlach im Fränkischen Jura aufgewachsen. Und der beste Biobäcker dort ist der Bruder meines besten Kindheitsfreundes. Das ist der Rainer Strauß. Und dieser Hof ist der Hof, den ich vor Augen hatte. Total. Denn auf diesem Hof habe ich meine gesamte Kindheit verbracht. Und alles was im Roman vorkommt wie die Kartoffelernte, die Heuernte, das Rübenernten im Oktober, das habe ich alles tatsächlich mitgemacht."

Autor Ewald Arenz

Info & Bewertung

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Ewald Arenz: "Alte Sorten", Köln 2019, DuMont Verlag, 266 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3-8321-8381-3 (5 Punkte)

Mit "Alte Sorten" ist Ewald Arenz ein beglückend schönes Buch gelungen. Mit feiner Psychologie in der Figurenzeichnung, einer sich langsam aufbauenden Spannung und von großer stilistischer Kunstfertigkeit. Sensibel, einfühlsam und lebensweise. Ein kleines Meisterwerk.

"Manchmal kommen Themen auf einen zu und man denkt sich: Das würde ich gerne mal probieren. Und das hier kam irgendwann nachts zu mir und ich dachte: Das wäre doch ganz spannend. Ich habe schon große Angst davor, irgendwann in einer Rezension zu lesen: Wieder mal ein Roman von Ewald Arenz, wo er zum dritten Mal das und das wiederkäut. Ich will mich nicht wiederholen. Man wiederholt sich genug. Man erzählt ja doch immer wieder ähnliche Geschichten. Deshalb suche ich die Herausforderung." Autor Ewald Arenz

Stichwort: Ewald Arenz

Der in Nürnberg geborene und bei Fürth lebende Autor Ewald Arenz ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Schriftsteller aus Mittelfranken. Und einer der vielseitigsten. Zu seinem Werk zählen sinnliche Romane, wie "Der Teezauberer" oder sein Bestseller "Der Duft von Schokolade", humoristisch-satirische Romane wie "Don Fernando erbt Amerika" oder der zuletzt erschienene "Herr Müller, die verrückte Katze und Gott" sowie historische Romane um Frauenfiguren aus den 20er- und 30er-Jahren wie "Das Diamantenmädchen" oder "Ein Lied über der Stadt". Vor kurzem hat Ewald Arenz seinen Verlag gewechselt und ist vom kleinen Ars Vivendi Verlag in Cadolzburg zum großen DuMont Verlag nach Köln gegangen. Damit einher ging nochmal ein Themen- und Genrewechsel. Sein neuester Roman spielt in der Gegenwart, handelt von einer ungewöhnlichen Frauenfreundschaft und heißt "Alte Sorten".


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