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Die sieben Todsünden Das Thema

Die Lehre von den Sünden gehört zu den öfter kritisierten Aspekten des christlichen Glaubens speziell katholischer Prägung. Dabei ist das konkrete Wissen um das Wesen der Sünde erschreckend gering. Anscheinend genügt schon die allgemeine Abneigung dagegen, ein „armer Sünder“ zu sein, um die Lehre insgesamt misstrauisch zu betrachten und abzulehnen. Und als ob das noch nicht genug ist, scheinen viele Menschen heute diese Ablehnung öffentlich unter Beweis stellen zu müssen, indem sie gezielt mit dem Sündenbegriff spielen.

Stand: 07.01.2014 | Archiv

Der Kupferstich zur "Lasterfolge", auch bekannt als Zyklus der sieben Todsünden, von Pieter Brueghel dem Älteren zeigt den Geiz | Bild: picture-alliance/dpa

„Ist der Ruf erst ruiniert, treibt man's gänzlich ungeniert.“ - „Der Kaffee muss schwarz wie die Nacht, heiß wie die Hölle und süß wie die Sünde sein.“ So lauten geläufige Entschuldigungen für die kleinen Sünden des Alltags. Aber „Wehret den Anfängen!“ muss man denen zurufen, die vor dem nächsten Schritt stehen und vielleicht bald mit einem weiter abgestumpften Gewissen größere Untaten begehen. Comic-Verfilmungen wie Sin City („Stadt der Sünde“) machen Furore - nicht zuletzt wegen der „sündhaft verführerischen“ Frauengestalten, die das Sündenbabel einer utopischen (oder doch beinahe allgegenwärtigen?) Großstadt durchziehen.

Das Wesen der Hemmschwelle

Gemälde "Die Sünde" von Franz von Stuck (1893).

In biblischer Zeit galt das zweite der Zehn Gebote „Du sollst den Namen Gottes ehren“ so viel, dass die frommen Juden es tunlichst vermieden, das Wort „Jahwe“ unnötig auszusprechen. Um die Zehn Gebote wurde sogar ein „Zaun“ von Gesetzen erlassen, deren Zweck es war, dem heiligen Bereich der Gebote nur ja nicht zu nahe zu kommen. So wurde zum Beispiel festgeschrieben, wie lang ein Spaziergang am Samstag höchstens sein darf, damit er das Gebot der Sabbatruhe nicht verletzt. Heute sind wir jedoch schon viel weiter. Die christliche Sonntagsruhe hat auf dem Fußballplatz längst ihre Unschuld verloren, der Ruf nach neuen Ladenschlussgesetzen oder dem verkaufsoffenen Sonntag übertönt das alttestamentliche Gebot. An Sünde denkt weder ein politischer Entscheidungsträger noch ein konsumorientierter Verbraucher. Wer heute gegen Regeln verstößt, so dass es in der Öffentlichkeit überhaupt noch ein Echo hervorruft, der muss schon an elementare Tabus rühren. Die Furcht vor der Sünde ist längst keine Hemmschwelle mehr.

Sündenarten

Dabei wäre in einer zunehmend profanisierten Gegenwart durchaus eine Rückbesinnung auf absolute Werte erstrebenswert. Wer alles, auch die Moral, in Frage stellt, von wechselnden Mehrheiten abhängig macht oder einfach nur so ablehnt, der darf sich nicht wundern, wenn er sich eines Tages in einer gänzlich wertlosen Gesellschaft wiederfindet, vor dem moralischen Nichts.

Der Kupferstich zur "Lasterfolge", auch bekannt als Zyklus der sieben Todsünden, von Pieter Brueghel dem Älteren zeigt den Geiz.

Dem Nihilismus der Moral entspricht der „vernichtete“ Mensch, der Unmensch. Dieser inhumane Mensch (eigentlich ein Widerspruch in sich!), der von sich selbst und seinem Ursprung, dem Schöpfer, getrennt ist, wird im Christentum traditionell als Sünder bezeichnet. Sünde ist Trennung von Gott. Die katholische Theologie entwickelte im Lauf der Geschichte eine Klassifikation der Sünden, von den leichten, lässlichen Sünden angefangen, über die schweren Sünden, die nur in einem sakramentalen Bußakt vergeben werden können, bis hin zu den sogenannten Todsünden, die den Menschen so vollkommen von Gott trennen, dass sie praktisch für das ewige Leben tot sind. Das heißt folgerichtig, wer im Zustand der Todsünde stirbt, kann keine Hoffnung auf Erlösung und ewiges Leben haben. Zur Sünde gehört ferner die objektive Übertretung eines Gebotes, mit freiem Willen und bei voller Einsicht in das, was man tut. Wer sich in dieser Weise von Gott abwendet, der muss letztlich auch die Konsequenz dieser Abwendung akzeptieren.

Vergebung

Ein gütiger Gott - Illustration aus der Luther-Bibel.

Doch das Christentum ist keine Religion des Richtens und Bestrafens. Das Buch Jona im Alten Testament ist einer der schönsten Beweise für die Bereitschaft Gottes, ein einmal angekündigtes Strafgericht auch wieder zurückzunehmen. Und Jesus lehrte, dass man seinem Nächsten nicht nur siebenmal vergeben soll, sondern eigentlich immer wieder. So wie der barmherzige Vater den verlorenen Sohn immer noch liebt, als er endlich heimkehrt, so wird auch Gott den reuigen Sünder wieder bei sich aufnehmen.

Insofern besteht auch für sogenannte Todsünder immer noch ein Funken Hoffnung - vorausgesetzt, sie wollen überhaupt wieder in die Gnade Gottes zurückkehren. Die Lehre von den Todsünden hat in den vergangenen Jahrhunderten immer das Ziel verfolgt, die Menschen aufzurütteln und vor dem Schlimmsten zu bewahren. Und da wir davon ausgehen können, dass der Allwissende sicher auch um die menschliche Schwachheit weiß, dürfen wir annehmen, dass sogar eine Todsünde unter Umständen vergeben wird.

Todsünde heute

Im Alten Testament schickt Gott eine Sintflut, um die sündige Menschheit auszulöschen.

Die sieben Todsünden, wie sie seit dem Mittelalter aufgezählt werden, heißen Stolz, Neid, Zorn, Habsucht, Trägheit oder Schwermut, Völlerei und Wollust. Man muss wohl nicht gleich annehmen, dass jeder, der auf die Frucht seiner Arbeit, auf das, was er geleistet hat, stolz ist, dass also derjenige sich bereits auf dem Pfad der Todsünde befindet. Auch ein gutes Essen oder die Entspannung im Urlaub sind nicht gleich Völlerei oder Trägheit. Dennoch kann jede der genannten Verhaltensweisen übertrieben werden und menschliche Grundbedürfnisse und die Verantwortung des Menschen in der Welt verdrängen. In die Nähe der Völlerei rückt heute die gängige Praxis der Lebensmittelvernichtung einzig zu dem Zweck, um die Preise in der EU stabil zu halten, während in anderen Teilen der Welt Menschen akut vom Hunger bedroht sind. Welche Rolle spielt der gerade bei Jugendlichen verbreitete Markenwahn im Zusammenhang von Stolz einerseits und Neid andererseits? Gewisse Auswüchse dieses Markenwahns, die etwa bis zum Kaufhausdiebstahl oder der Beraubung von Mitmenschen führen können, sind keine Kavaliersdelikte mehr.

Über die moralische Qualität von Drogenhandel, Zwangsprostitution oder Kindesmisshandlung braucht hier nicht spekuliert zu werden. Es sind beinahe zwangläufige Folgen des Verlusts des Gottesbezugs in unserer Gesellschaft. Die Frage ist, ob jemand, der nicht an eine höhere Instanz glaubt, aus rein humanistischen Grundsätzen trotzdem richtig handeln kann und ob es noch etwas gibt, das ihn davon abhält, in einem puren Egoismus zu landen. Angesichts der gegenwärtigen Wertediskussion wäre es durchaus diskussionswürdig, durch einen konkreten Gottesbezug in der europäischen Verfassung die in vielen Jahrhunderten gewachsene christlich-abendländische Ethik zu verankern.


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