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Die Kirche als mystischer Leib Christi

Die Russisch-Orthodoxe Kirche Die Kirche als mystischer Leib Christi

Stand: 05.04.2017

Russisch-Orthodoxe Priester mit Weihrauch während einer Messe | Bild: picture-alliance/dpa

Das orthodoxe Christentum wird oft als mystisch erlebt und beschrieben. Das stimmt gewiss. Aber Vorsicht! Die Mystik der Ostkirche ist etwas völlig Eigenes und nicht identisch mit den mystischen Strömungen des Westens. Die westliche Mystik, vertreten durch Männer und Frauen wie Meister Eckehard oder Theresa von Avila, steht zu verschiedenen Zeiten für das Bestreben oder die Erfahrung, die menschliche Existenz, das "personale Ich", völlig in der lebendigen, absoluten Wirklichkeit des Schöpfers aufzulösen und mit Gott zu verschmelzen.

Verstummen vor dem Geheimnis

Die Mystik der Ostkirche meint etwas radikal anderes. Sie macht ernst mit der buchstäblichen Bedeutung des griechischen Wortes "mystikos", das "geheimnisvoll" und "verborgen" bedeutet. Sie macht auch ernst mit dem zugrunde liegenden Verb "myein", das mit "verstummen" übersetzt werden kann. Mystisch ist in der Ostkirche daher nicht die Beschreibung eines Vorgangs und innerseelischen oder geistigen Geschehens, sondern der gelebte Ausdruck einer grundsätzlichen Glaubenshaltung.

Heiliges Dunkel und majestätische Distanz

Mystisch im Sinne von "geheimnisvoll und verborgen" ist zunächst einmal Gott selbst. Gott ist "der ganz andere", eine gänzlich unbegreifliche, unfassbare und darum unsagbare Wirklichkeit. Über diesen so ganz anderen, verborgenen Gott ist letztlich jedes menschliche Reden unmöglich.

Mystisch im Sinne von "verstummen, den Mund verschließen" ist sodann der Glaube selbst. Denn diesem unbegreiflichen Gott rückt man nicht forsch und stracks mit knackigen Definitionen, theologischen Klimmzügen und spitzfindigen Begrifflichkeiten auf den Pelz. Diesen Gott seziert, analysiert und kategorisiert man nicht. Diesem Gott und seiner Heiligkeit nähert man sich demütig, scheu, ehrfürchtig, fromm. Man entreißt ihm sein Geheimnis nicht, man taucht darin ein und lässt dem göttlichen Mysterium die erhabene, majestätisch distanzierte, heilige Dunkelheit.

Kein Kumpel, sondern verklärter Gott

Über alle Vorstellung erhaben und majestätisch ist auch Christus selbst. Zwar lehrt und glaubt auch die orthodoxe Kirche die vollkommene Menschwerdung des Gottessohnes, der am Kreuz gestorben und in das Totenreich hinabgestiegen ist. Aber seine Fleischwerdung und sein Sterben haben Christus nicht zum "Kumpel" und "Facebook-Buddy" des Menschen gemacht, haben die fundamentale Distanz zwischen Geschöpf und Schöpfer nicht aufgehoben. Christus ist im Bewusstsein der orthodoxen Kirche wahrer Mensch, aber immer auch wahrer Gott, dem man sich mit derselben ehrfürchtigen Demut wie dem Vater nähert.

Der orthodoxe Gottesdienst mit seinen Lobpreisungen, Anbetungen, Räucherungen, Prozessionen, Verhüllungen und Enthüllungen ist ein perfekter Ausdruck dieser mystischen Gotteserfahrung, in der das Heilige zwar in diese Welt hereinreicht, sich in ihr materialisiert, aber doch immer unendlich hoch über alles Irdische hinausweist.

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