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Die Bibel - Ein Krimi? Das Thema

In den zehn Geboten sagt Gott den Menschen genau, was sie dürfen und was nicht. "Du sollst nicht töten." lautet das sechste Gebot - an das sich Gott im Alten Testament oft selbst nicht hält. Ein Beispiel dafür sind die von ihm durchgeführten "Vernichtungsweihen".

Stand: 15.01.2012 | Archiv

Moses mit Gesetzestafeln - Stich | Bild: picture-alliance/dpa

Die Zehn Gebote, der Dekalog (griech. = zehn Worte), sind die wichtigste Worte in der Bibel, die den Willen Gottes beschreiben. Die Gebote sind einzeln betrachtet sowohl Prohibitive, also Verbote, als auch Injunktive, Gebote. Der Mensch bekommt also von Gott direkt mitgeteilt, was er zu tun und was er zu lassen hat, die Fragen des Lebens scheinen geklärt. Doch alleine das sechste Gebot sorgt für Verwirrung und unzählige unbeantwortete Fragen: "Du sollst nicht töten." (2. Mose 20). Eine Forderung, die sowohl vor als auch nach dem Empfangen Gottes Offenbarung nicht nur vom Menschen missachtet wird, sondern scheinbar von Gott selbst durch einen befremdlichen Brauch ad absurdum geführt wird: die Vernichtungsweihe.

Vernichtungsweihen: Demonstrationen göttlicher Macht

Abraham will seinen Sohn Isaak opfern - Szene aus der Kurt-Weill-Oper "Der Weg der Verheißung"

Widersprüchlicher kann ein Begriff kaum sein: Weihnachten, Weihwasser, Priesterweihe, Jugendweihe ... In dem feierlichen Ritual einer Weihe werden Dinge, die in einem besonderen Bezug zu Gott stehen, in einer Zeremonie von allem ursprünglich Profanen gelöst und freigestellt. In Initiationsriten wie bei der Taufe, Hochzeit oder auch im Tod, werden Menschen unter dem erbetenen Segen Gottes beim Übergang von einer Phase ihres Lebens in eine neue spirituell und rituell an die Hand genommen. Dem gegenüber steht das absolute Zerstörerische, die Vernichtung. Die Bibel, und im Besonderen das Alte Testament, sind voller Beispiele für Vernichtungsweihen. Die Einnahme der Stadt Jericho, bei der Kinder und Greise auf Gottes Befehl hin niedergemetzelt werden oder - die wohl populärste Forderung nach einem Opfer - Abraham, der seinen einzigen Sohn töten soll, scheinen exemplarisch der Beleg für Gottes Unnachgiebigkeit und für seine Rolle als erbarmungsloser Kriegsherr zu sein. Spätestens an diesem Punkt kann nur die Frage im Raum stehen, WIE die unverblümt beschriebene Gewalt mit der Kernaussage der Heiligen Schrift, nämlich die über Grenzen hinaus gehende Liebe Gottes, in Einklang zu bringen ist.

Die Bibel, ein vielschichtiges Gebilde

Eine Erklärung findet sich schnell, wenn man die Entstehung der Bibel untersucht. So vielseitig die Interpretationsmöglichkeiten biblischer Geschichten und Gleichnisse ist, so groß ist die Zahl unterschiedlicher Autoren, die die Bibel über Jahrhunderte, und somit in von einander völlig fremden Epochen, verfasst haben. Abgesehen von inhaltlichen und sprachlichen Überlieferungsfehlern, die sich bei mündlichen Erzählungen zwangsläufig einstellen, und besonders dann, wenn es um Überliefertes und Erlebtes von vor 1.000 Jahren geht, darf die soziale und gesellschaftliche Entwicklung im Laufe der Zeit nicht außer Acht gelassen werden. Nicht nur heute wird die Bibel immer noch und leidenschaftlich gedeutet und (neu-)interpretiert. Schon während ihrer Entstehungsphase wurden Passagen in der Bibel geändert, und dem Kontext der jeweils aktuellen Zeit angeglichen.

Gottes Rache erklärt Katastrophen ...

Turmbau zu Babel - die Bauer sollen Schuld sein an der irdischen Sprachenvielfalt

Dinge, die man sich nicht erklären konnte, die aber das eigene Leben, und zum Teil das einer ganzen Bevölkerungsgruppe oder eines Landes beeinträchtigte oder gar radikal veränderten, mussten einen Sinn ergeben. Die Sintflut beispielsweise war wohl eine der größten Naturkatastrophen, die der Nachwelt überliefert ist. Würde man heute solche Naturphänomene unter dem Aspekt von Umweltkatastrophen und Klimawandel erörtern, so war man in archaischer Zeit schlicht fassungslos. Eine Antwort auf das "Warum" musste gefunden werden. Einleuchtend und auch den Nicht-Gelehrten schlüssig schien da der Verweis auf das (böse) Handeln des Menschen und die damit unvermeidliche Strafe, die so zusagen auf dem Fuße folgen musste.

... und motiviert "Heilige Kriege"

Gott wird instrumentalisiert, um scheinbar Unerklärliches für dem Menschen nachvollziehbar zu übersetzen. Eine Methode, die selbst in unserer aufgeklärt geglaubten Welt gerne herangezogen wird. Dass das stellenweise fatale Folgen für Leib und Leben hatte - und immer noch hat – belegen die ersten Judenverfolgungen im Buch Esther, die Kreuzzüge im Mittelalter und die "heiligen Kriegen" des 21. Jahrhunderts. In jeder dieser Epochen werden die Fragen nach Sinn und Gerechtigkeit des Mordens und Abschlachtens mit dem "Willen Gottes" begründet.

Warum Gottes-Furcht so wichtig war

Figurentafel mit der Abbildung des Brudermordes (Kain erschlägt Abel)

In den Entwicklungsphasen des Judentums hat sich sowohl das Gottesbild als auch der Glaube überhaupt grundlegend verändert. Statt des Glaubens an viele verschiedene Götter, nun der einzig wahre Gott! Dieser stand aber nach irdischem Verständnis in Konkurrenz zu den Göttern fremder Kulturen. Um also sicher zu stellen, dass der Gott des Volkes Israel auch wirklich in seiner Herrlichkeit und besonders in seiner Macht über alles und jedem steht, musste er in den Augen der Deuteronomisten – die Verfasser des fünften Buch Mose - die Figur des potenten Kriegsherren annehmen: "Töte Männer und Frauen." "Wohl dem, der deine Kinder (...) am Felsen zerschmettert." Wahrlich, ein Gott zum Fürchten! Dieses Bild von Gott wurde aber nicht von allen getragen, und so machte Gott selbst, von neuen Interpretationen der Gelehrten bedingt, im Laufe der Weiterentwicklung und Niederschrift religiöser Geschichten und Gleichnisse in der Bibel eine Wandlung durch, hin zu immer mehr Humanität. Forciert vor allem durch die Berufung der Propheten, die zu Gewaltverzicht und zum Leben nach Gottes Wohlgefallen aufriefen.

Die Bibel: Zeitzeugnis oder Gesetzbuch?

Nichtsdestotrotz begegnen uns in der Bibel weiterhin Tod und Verderben, auch im Neuen Testament. Ein, oder DER Grund dafür ist das Wie, mit dem die Bibel gelesen und gedeutet wird: Ist die Bibel eine Art religiöses Gesetzbuch, an das man sich demütig Wort für Wort zu halten hat, oder ist sie nicht vielmehr das, was man als Realität bezeichnen könnte – Menschen schildern ihr und das Leben anderer mit allen Unzulänglichkeiten, das Leben, wie es ist? Essentiell wichtig für diese Frage ist die bereits erlangte Feststellung, dass die Bibel eine Art Flickenteppich von Geschichten, Verfassern und deren Intentionen ist, der über hunderte von Jahren hindurch geknüpft wurde. Kann man aus diesem kunterbunten Gebilde EIN Hauptmotiv erkennen, also eine eindeutig und für alle Zeit gültige Aussage, ohne Beachtung ethischer und gesellschaftlicher Weiterentwicklungen?

Gottes Wort vom Menschen (fehl-)interpretiert

Problematisch ist bei diesem Suchen nach dem Sinn und des Verstehenwollens immer die menschliche Subjektivität: Menschen stellen Fragen und Menschen versuchen, Antworten zu geben und Gott zu erklären. Dabei werden die für uns selbstverständlichen und bereits definierten Begriffe von Moral, Gerechtigkeit und (Un-)Sinn als vom Menschen (und nicht von Gott) gegeben und auf alles anwendbar betrachtet. Umso verwirrter und verunsicherter ist der Mensch, wenn sich Gott einfach über diese festen Gegebenheiten hinwegsetzt und un-menschlich handelt. "Wie kann Gott das zulassen?" wird nie beantwortet werden können, solange der Mensch in seinen festen Wertevorstellungen gefangen ist. Immer, wenn Gott greifbar scheint, gleitet er einem aus den Händen; "Gott ist immer der ganz andere", wie es der Schweizer Theologe Karl Barth resümiert hat.

Ausblick

Viele Fragen nach Gottes Tun und Willen werden auch heute unbeantwortet bleiben, und sämtliche Glaubensrichtungen mit ihren separatistischen Verzweigungen und Ablegern, bis hin zu den Kreationisten, werden fortan ihre Erkenntnisse und Wahrheiten verteidigen und in die Welt hinaustragen. Ungeachtet dessen aber lässt sich ein Grundton in der biblischen Schrift heraushören: Gott, der Schöpfer allen Lebens, ist und bleibt ein liebender Gott. Diese Aussage, oder vielmehr dieses Versprechen, hat vor dem theologischen Hintergrund Gott selbst eindrucksvoll gegeben: Er opferte seinen eigenen Sohn, damit der Mensch frei sei.


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