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Innerer Zwiespalt: Trübstoff für die Seele

Ambivalenz Innerer Zwiespalt: Trübstoff für die Seele

Stand: 26.10.2016

Zornige Frau gegen zornigen Mann | Bild: colourbox.com

Wer disparate Gefühle, Gedanken oder Wünsche zulassen und seinem Selbstbild eingliedern kann, muss sich nicht sorgen. Solange wir unsere Widersprüchlichkeit als etwas Alltägliches, Reguläres und Erlaubtes begreifen, ist alles in Ordnung. Bedrohlich wird es allerdings, wenn Menschen ihre Mischgefühle als fehlerhaft, verboten und strafwürdig erleben. Wie die Negierung ambivalenter Gefühle krank macht, zeigten bereits Freud und Jung. Ihre Nachfolger erhärten den Befund: Heute gilt als sicher, dass schuldhaft erlebte und verdrängte Ambivalenzerfahrungen zur Entstehung schwer wiegender Erkrankungen wie etwa Depressionen, narzisstischer Persönlichkeitsstörungen oder Borderline-Symptomen beitragen können.

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt

Wie wichtig es ist, ambivalente Wahrnehmungen als legitimen Teil des menschlichen Innenlebens anzunehmen, zeigt nicht nur die krankhafte Eskalation. Ohne Strategien des versöhnlichen Umgangs mit eigener und fremder Zwiespältigkeit gelingt kein Leben, keine Gemeinschaft und erst recht keine Liebesbeziehung. Wer sich selbst keine Widersprüche, Nachtseiten und Dunkelzonen zugesteht, wird sie auch anderen absprechen. Beziehungen, die nur ein rigides Entweder-Oder, nur ein absolutes Hochgefühl oder eine ebenso absolute Verzagtheit kennen, überfordern die Partner. Das Konzept "alles oder nichts" ist lebensfeindlich, weil es statt Schattierungen nur schlagartig kippende Extremzustände und Verabsolutierungen zulässt.

Die Befriedung der inneren Kampfzone

"Erwachsene" Beziehungen setzen jedoch voraus, dass beide Seiten den "Mischcharakter" des anderen akzeptieren. Das gilt auch für die intimste Beziehung, die ein Mensch haben kann: die zu und mit sich selbst. Wer sich selbst nur als Überflieger und Höchstleistungslieferanten akzeptiert, wer schon kleinste Fehler als tiefe Kränkung erlebt, wer sich nicht als zugleich gut und schlecht in seiner ganzen Ambivalenz annehmen kann, steht dauerhaft in einer schmerzhaften Zerreißprobe mit häufig krank machendem und bisweilen tödlichem Ausgang.

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Schriftzug Love and hate | Bild: colourbox.com zum Thema Ambivalenz Das innere Hin und Her

Klug, wissend, vernunftbegabt. So sehen wir uns selbst. Darum haben wir uns auch den Namen "homo sapiens" gegönnt. Streng genommen müssten wir jedoch "homo sapiens et ambivalens" heißen: Der wissende und widersprüchliche Mensch. [mehr]