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Das Thema Das Medikament und die Probleme

Stand: 29.06.2012 | Archiv

Tabletten und Spritze | Bild: picture-alliance/dpa

Damit sind zumindest die technischen Hindernisse beseitigt. Was Florey jetzt braucht, ist eine freiwillige Testperson, jemand mit einer unheilbaren Krankheit im Endstadium, einen Menschen, der nichts mehr zu verlieren hat.

Von der Kuriosität zum Medikament

Eine junge Brustkrebspatientin am Oxforder Radcliff-Spital erklärt sich bereit, das Wagnis einer Penicillininjektion einzugehen. Christian Fletcher, ihr behandelnder Arzt, spritzt der Todgeweihten den Pilzextrakt in die Venen. Abgesehen von einer vorübergehenden Fieberreaktion, die von Verunreinigungen des Wirkstoffs herrührt, übersteht sie den Versuch unbeschadet. Sieben weitere Testpatienten erhärten den Befund: Penicillin ist nicht toxisch! Doch kann es auch heilen? Und vor allem: Kann es wirklich Menschen kurieren, die an lebensbedrohlichen bakteriellen Infekten leiden?

Es wirkt!

Um diese letzte, entscheidende Ungewissheit auszuräumen, wagt Florey im Frühjahr 1941 den ersten therapeutischen Einsatz der Wunderdroge. Sein Testpatient ist der 43-jährige Polizist Albert Alexander, ein Hobbygärtner, der sich beim Rosenschneiden mit einem Dorn am Mund geritzt hatte. Dabei waren Staphylokokken und Streptokokken in die Blutbahn gelangt. Der zunächst winzige Kratzer entzündete sich, eine lebensbedrohliche Blutvergiftung brach aus. Alexanders Kopf war mit Geschwüren überzogen, ein Auge musste entfernt werden, der Patient hat hohes Fieber, vereiterte Nebenhöhlen und mehrere Lungenabszesse. Nach wochenlangen Behandlungsversuchen am Oxforder Radcliff-Spital hatten die Ärzte den Kampf um sein Leben verloren gegeben. Am 12. Februar spritzt ihm Charles Fletcher im Beisein Chains und Floreys 160 Milligramm Penicillin. Schon 24 Stunden später sinkt das Fieber, nach fünf Tagen sind die Symptome der Mischinfektion nahezu vollständig abgeklungen. Doch jetzt sind Floreys Penicillinvorräte restlos aufgebraucht, er muss die Therapie vorzeitig abbrechen. Da wegen des Wirkstoffmangels nicht alle Keime getötet wurden, flammt die Infektion erneut auf. Eine Woche später, am 15. März 1941, stirbt Albert Alexander an den Folgen seiner Blutvergiftung. Doch in einem sind sich alle Beteiligten sicher: wäre genug Penicillin verfügbar gewesen, hätte Alexander überlebt.

Der Krieg und das Produktionsproblem

Über Wirksamkeit und Verträglichkeit des Penicillins kann es ungeachtet des tragischen Ausgangs keinen Zweifel mehr geben. Florey und Chain veröffentlichen ihre Arbeitsergebnisse, die Publikation schlägt sofort hohe Wellen. Das gewaltige Wissenschaftsinteresse rund um den Globus hat einen düsteren Hintergrund: Europa steht im Krieg. Hitlers Armeen haben Polen, Belgien, Luxemburg, die Niederlande und Frankreich überrollt, haben die Kanalinsel besetzt und bereiten Luftangriffe gegen England vor. Eine Eskalation der Kampfhandlungen scheint unausweichlich und sie wird, so steht zu befürchten, Millionen Menschen in ihren Strudel reißen. Wenn sich die Nachrichten über das neue Wundermittel gegen Wundinfektionen bewahrheiten, könnte es ungezählte Leben retten. Aber dazu muss der Wirkstoff in unvergleichlich größeren, industriellen Mengen verfügbar sein. Da rund 2.000 Liter Nährbrühe nötig sind, um genügend gebrauchsfertigen Reinstoff für die Behandlung auch nur eines Menschen zu erzeugen, stehen die Penicillinpioniere vor einer unlösbaren logistischen Herausforderung. Die Massenproduktion erfordert entsprechend dimensionierte Fermentierbehälter und Verarbeitungsanlagen, doch damit ist sowohl die improvisierte Oxforder Penicillinmanufaktur als auch die britische Pharmaindustrie hoffnungslos überfordert. Deren Kapazitäten sind durch die hochdrehende Kriegsproduktion gebunden, eine Penicillinherstellung im großtechnischen Maßstab ist unter diesen Umständen völlig ausgeschlossen.

Uncle Sam leistet Entwicklungshilfe

In dieser Situation bewährt sich Florey erneut als geschickter, umsichtiger und vor allem bestens vernetzter Wissenschaftsmanager. Auf Einladung der Rockefeller Foundation reist er im Sommer 1941 gemeinsam mit Heatley nach Amerika, um Kooperationspartner für die Penicillinherstellung anzuwerben. Im ländlichen Illinois werden sie fündig: Das Northern Regional Research Laboratory, eine auf Fermentationsprozesse und biologische Zellkulturen spezialisierte landwirtschaftliche Versuchsanstalt, ist zur Zusammenarbeit bereit. Von einem dynamischen Durchstarten oder glatten Siegeslauf kann trotz bester Bedingungen und aller Vorarbeiten der Oxfordgruppe keine Rede sein. Eher von einem zähen, kraftraubenden Vorwärtstasten mit minimalen Teilerfolgen. "Der Schimmel ist launisch wie eine Operndiva", beschreibt ein Mitarbeiter die Ausgangssituation. "Die Ausbeute ist mager, die Isolierung schwierig, das Extrahieren mörderisch, die Reinigung beschwört Desaster herauf und der Wirkungsnachweis ist unbefriedigend". Doch Zug um Zug bahnen die Forscher und Techniker mit Heatleys Hilfe den Weg für die industrielle Großproduktion. Ein erster, merklicher Fortschritt gelingt mit dem Einsatz einer neuen Nährlösung für die Pilzkulturen: Maismaische entpuppt sich als preisgünstige und obendrein weitaus ertragreichere Alternative für die bislang verwendete, teure Fleischbrühe. Sie beschleunigt das Pilzwachstum, senkt die Herstellungskosten und verbessert obendrein die Wirkstoffausbeute.


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