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Das Thema Die Entdeckung

Stand: 29.06.2012 | Archiv

Staphylokokkus aureus, im Eletronenmikroskop 4.780fach vergrößert | Bild: picture-alliance/dpa

Im Herbst 1928 arbeitet Fleming mit Staphylokokken. Die kugelförmigen Bakterien sind allgegenwärtig. Sie besiedeln die Haut, aber auch Körperhöhlen wie den Mund-Nasen-Rachen-Raum und sind harmlos, solange sie auf der Hautoberfläche bleiben.

Der Glückspilz - Die Entdeckung des Penicillins

Dringen Staphylokokken, vor allem der ausgesprochen aggressive Stamm Staphylococcus aureus, jedoch in tiefere Gewebeschichten, in Organe oder die Blutbahn ein, setzen sie ihr Killerpotenzial frei und lösen lebensgefährliche, häufig tödlich verlaufende Wundinfektionen aus.

Ein bisschen schludrig, aber hellwach

Als Bakteriologe ist Fleming von den erst allmählich genauer untersuchten Mikroorganismen fasziniert. Er züchtet, erforscht, beschreibt sie seit Jahren, geht täglich mit ihnen um. Doch nun steht sein Urlaub bevor, vier Wochen mit der Familie. Damit Kollegen den Arbeitsplatz während seiner Abwesenheit nutzen können, schichtet er die Kulturschalen pro forma und provisorisch übereinander, zum Reinigen fehlt ihm die Zeit, vielleicht auch die Lust. So wartet nach den Ferien eine größere Putzaktion auf den Rückkehrer. Fleming fängt an, einen Glasträger nach dem anderen mit Lysol zu desinfizieren. Stupide Routine, keine große Sache. Aber stopp! Was ist das? In einer der Schalen blüht ein blaugrüner Schimmelfleck. Das wäre noch nichts Besonderes. Doch um den Schimmel herum läuft ein sauberer Hof, ein durchsichtiger, bakterienfreier Saum. Fleming ist schlagartig hellwach: Das kennt er, etwas Ähnliches hat er schon einmal gesehen, sechs Jahre früher, als er dem Lysozym auf die Spur kam.

Ein außergewöhnliches Phänomen

Statt die verschmutzte Probe einfach zu entsorgen, nimmt er sie penibel unter die Lupe. Das Mikroskop bestätigt den ersten Eindruck: Rings um den Schimmelpilz sind alle Bakterien abgestorben. Etwas hat sie aufgelöst, zerstört. "Das war in der Tat ein außergewöhnliches Phänomen, das nähere Untersuchungen zu erfordern schien", kommentiert Fleming den Beginn eines Unterfangens, das, wenn auch über Umwege, den Lauf der Medizingeschichte für immer verändern und ihn selbst unsterblich machen wird.

Glück ja, aber kein blinder Zufall

Das Zufällige dieser Entdeckung ist längst sinnbildlich geworden und hat sich zum mantrahaft wiederholten Strickmuster der Penicillinlegende verfestigt. Rein technisch gesehen trifft die Mär vom glückhaften Fund sogar zu. Aber sie trifft nicht den Kern, sie feiert den Auslöser an Stelle der Tat, sie unterschlägt das Wesentliche: Flemings geniale Fähigkeit, das Potenzial einer scheinbaren Nebensächlichkeit zu begreifen, die Kreativität seines wissenschaftlichen Spürsinns, und die Zähigkeit, einer wenn auch noch so unscheinbaren Fährte beharrlich zu folgen. Um den Zufall zu nutzen, braucht es den vorbereiteten, auf ein Ziel hin gespannten Verstand und die Gabe, einen Hebel zu erkennen, der die Welt aus den Angeln heben kann. Im "Don Carlos" bringt Schiller die Sache auf den Punkt: "Und was ist Zufall anders als der rohe Stein, der Leben annimmt unter Bildners Hand? Den Zufall gibt die Vorsehung, zum Zwecke muss ihn der Mensch gestalten."

Spürsinn und Understatement

Dass die Nachwelt dennoch dazu tendiert, die bloße Fortüne auf Kosten des erfahrenen Forschers hervorzuheben, geht auf Flemings eigene, sympathisch unaufgeregte Darstellung des Geschehens zurück. Seine Nobelpreisrede, in der er lange nachher die Anfänge der Penicillingeschichte erzählt, liest sich wie ein Lehrstück britischen Understatements: "In meiner ersten Publikation hätte ich behaupten können, dass ich aufgrund eines ernsthaften Literaturstudiums und durch intensives Nachdenken zum Ergebnis gekommen sei, dass Schimmelpilze wertvolle antibakterielle Substanzen produzierten und ich mich auf die Erforschung des Problems verlegt hätte. Aber das wäre unwahr gewesen und ich zog es vor, die Wahrheit zu sagen, nämlich dass am Beginn des Penicillins eine zufällige Beobachtung stand. Mein einziges Verdienst besteht darin, dass ich die Beobachtung nicht vernachlässigte und das Thema als Bakteriologe weiterverfolgte."

Die Spur der Sporen wird dichter

Und das tut er gründlich, methodisch, ausdauernd. Fleming lässt alles liegen und stürzt sich Hals über Kopf in die systematische Untersuchung des "außergewöhnlichen Phänomens". Zunächst drängt die Frage, welcher Schimmel sich da eigentlich ausgebreitet hat. Ein Kollege am St. Mary's, der Pilzexperte Charles La Touche, identifiziert den Flor als Penicillium notatum, einen Schlauchpilz, dessen Name auf das lateinische Wort penicillus für Pinsel zurückgeht. Von diesem pinselförmigen Schimmel braucht Fleming mehr. Er züchtet ihn in einer Nährlösung aus Fleischbrühe, die er zwei Wochen bei Zimmertemperatur stehen lässt, und gewinnt schließlich ein Filtrat, das er Penicillium nennt.


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