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Das Thema Biologische Vorbilder

Stand: 16.02.2012 | Archiv

Katzen bringen Erstaunliches zuwege. Obwohl sie auf der Jagd bis zu 50 Stundenkilometer schnell sind, können sie extrem rasch abbremsen, blitzartig stehen bleiben, die Richtung ändern und sofort wieder beschleunigen.

Katzenpfoten und Spinnennetze als Vorbilder für Autoreifen

Fasziniert von diesen Fähigkeiten hat der Reifenhersteller Continental die enorme Brems- und Beschleunigungsleistung von Katzen genau untersucht. Schließlich konnten detaillierte Zeitlupenstudien und Computersimulationen das Tatzengeheimnis lüften: Beim Laufen ziehen sich die Ballen der Katzenpfote zusammen. Dadurch minimiert sich die Lauffläche, die Tiere können Tempo machen und sparen Kraft. Beim abrupten Abbremsen und beim Richtungswechsel passiert das Gegenteil: Die Pfoten spreizen sich auf, werden breiter und bringen so wesentlich mehr Kraft auf den Boden.

Bionische Reifen verkürzen den Bremsweg

Angeregt von diesen Erkenntnissen, konstruierte Continental "bionische" Reifen, die das "Prinzip Katzenpfote" technisch umsetzen: Sie verbreitern sich beim Bremsen wesentlich stärker als andere Modelle und vergrößern dadurch die Bremsfläche. Beim Fahren ist der Reifen wieder schmal und verringert so den Treibstoffverbrauch.

Spinnennetze inspirieren Laufflächenmix

Durch eine weitere Anleihe im Tierreich konnte Continental zudem die Haftungseigenschaften von Autoreifen verbessern. Die Vorlage lieferten Spinnennetze, die aufgrund ihrer besonderen Bauweise bei sparsamstem Materialeinsatz extrem flexibel und belastbar sind. Für die Stabilität sorgen radiale, das heißt wie Speichen von außen zur Mitte führende Strukturfäden. Die notwendige Flexibilität bringen zirkuläre Fangfäden, die spiralartig rundum laufen und die Speichen einbinden.

Von diesem Konstruktionsprinzip ließen sich die Materialforscher zu einer Laufflächenmischung inspirieren, die zwei unterschiedlich reagierende Materialschichten miteinander kombiniert. Eines dieser "chemischen Netzwerke" macht den Reifen hart und dominiert die Eigenschaften beim sportlichen Fahren. Ein zweites Materialgeflecht macht den Reifen flexibel, sobald sich beim Bremsen die Kraft- und Temperaturwerte ändern. Die Vernetzung beider Schichten in einer Lauffläche gewährleistet, dass der Reifen zwei höchst verschiedene Aufgaben meistert und einerseits steif genug für hohe Geschwindigkeiten, andererseits aber auch flexibel genug in Kurven und beim Bremsen ist.

Von der Kopie zum Transfer biologischer Vorbilder

An dieser so genannten "Bionic Net"-Struktur, für die das Spinnennetz Pate stand, wird auch deutlich, dass und wie sich die Bionik weiter entwickelt.

In den 70er Jahren bedeutete Bionik noch in erster Linie "Nachahmung der Natur". Dieser Ansatz gilt mittlerweile als veraltet. Die moderne Bionik setzt nicht auf ein Kopieren, sondern auf den Transfer biologischer Prinzipien. Dieses Übertragungsverfahren umfasst einen mehrstufigen, eigenständigen und kreativen Entwicklungsprozess, der die Natur gleichsam technisch neu erfindet und dabei vom Vorbild abstrahierte Regeln oder Funktionsmechanismen anwendet. Stark vereinfacht besteht das bionische Transfermodell aus fünf Schritten.

  • Biologische Systeme werden biomechanisch und funktionsmorphologisch untersucht.
  • Die jeweils zugrunde liegenden Strukturen und Funktionsprinzipien werden analysiert.
  • Die gefundenen Prinzipien werden abstrahiert, vom biologischen Vorbild gelöst, abgewandelt und technisch umgesetzt.
  • Aufgrund der abstrahierten Prinzipien werden technische Anwendungsfelder definiert.
  • Ingenieure, Techniker und Designer erarbeiten gemeinsam eine spezifische technische Lösung.

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