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Evolutionsbiologie Das Thema

Stand: 20.11.2008 | Archiv

Den Garten Eden hat es wirklich gegeben: in Ostafrika, wo heute wie in grauer Vorzeit eine grandiose Naturlandschaft aus bewaldeten Hügeln, offenen Grasländern und schroffen vulkanischen Gebirgen liegt. In den weiten Savannen grasen riesige Tierherden, und die tropischen Wälder hängen voller Früchte. Diesem Paradies ist, davon ist die Paläoanthropologie heute überzeugt, der Mensch entwachsen.

Vor Millionen Jahren wurde der afrikanische Kontinent in einer geologischen Katastrophe durch einen tiefen Riss geteilt, wodurch der Osten Afrikas vom Westen abgetrennt wurde. Gleichzeitig änderten sich im Osten Klima und Umwelt drastisch, die Regenwälder zogen sich zurück und kühlere und trockene Steppen begannen sich auszubreiten. Für die Primaten wurde es im Dschungel langsam eng. Die anpassungsfähigsten, spätere Australopothecinen (wörtlich “Südaffen”) stiegen von den Bäumen herab und wanderten in die Savannen hinaus. Dabei wandten sie den Blick vom Boden in die Höhe und richteten sich allmählich auf.

Zivilisierte Affen

Anhand mehrerer Funde in Ostafrika kann man rekonstruieren, wie über viele Zwischenschritte aus den Südaffen die frühen Menschtypen Homo habilis und Homo erectus entstanden sind. Dabei musste die Paläoanthropologie von alten Kategorien abrücken: Aufrechter Gang und Umgang mit Werkzeugen zählen heute nicht mehr zu den primären Kennzeichen der Menschwerdung, denn das konnten bereits die Australopithecinen und können heute immerhin Schimpansen, Bonobos und Gorillas. In den Vordergrund gerückt sind stattdessen das Wechselspiel zwischen Größe und Verschaltungsdichte des Gehirns einerseits und der Differenzierung manueller Fertigkeiten. Hinzu kommt die Fähigkeit zu sozialer Organisation.

So hatten beispielsweise der Neandertaler und auch schon der um gut eineinhalb Millionen Jahre ältere Homo erectus ein sehr großes Gehirn und verfügten wahrscheinlich auch über eine Form der Sprache, zudem konnten sie Feuer sowohl entzünden als auch bewahren und transportieren, sie stellten hochkomplexe Werkzeuge in Stein und sogar Holz her, zum Beispiel hervorragend bearbeitete Lanzenspitzen und Speerschäfte.

Puzzlespiele

Die Sedimente im ostafrikanischen Riffsystem, in denen unsere menschlichen Vorfahren vor fünf bis zwei Millionen Jahren ihre rätselhaften Lebensspuren hinterlassen haben, sind durch tektonische Kräfte vor einigen hunderttausenden Jahren wieder an die Oberfläche gelangt. Hier kommen vor- und frühmenschliche und gleichzeitig eindeutig äffische Knochen zu Tage, sodass der Archäologe die zeitgleiche Entwicklung menschlicher und nichtmenschlicher Primaten dokumentieren und voneinander abgrenzen kann. Andererseits arbeiten heute in den archäologischen Teams die verschiedensten Paläo-Spezialisten zusammen, Geologen, Klimatologen, Botaniker und Zoologen, die aus dem Material, das die Fossilien umgibt, zum Teil weit reichende Schlüsse ziehen können über Umwelt und Lebensgewohnheiten der menschlichen Vorfahren.

Der Exodus

Die Savannen im großen Grabenbruch von Ostafrika verströmen heute noch einen paradiesischen Hauch. So viele verschiedene Tier- und Pflanzenarten sind sonst nur in den tropischen Regenwäldern anzutreffen. Wie vor Millionen von Jahren bevölkern riesige Tierherden die akazienbeschirmten Steppen. Warum der frühe Mensch aus diesem Paradies in die Welt aufgebrochen ist und sie sich unterworfen hat, ist den Fachleuten noch immer ein Rätsel.

Out-of Africa

Mindestens drei Mal sollen unsere Vorfahren nach der so genannten ‘Out-of-Africa’-These emigriert sein und zwar jeweils im Abstand von rund 500.000 Jahren. Viele Forscher glauben jedoch, dass einzig der Homo erectus Afrika vor einer Million Jahren verlassen, sich über die ganze Welt ausgebreitet und in regionale Rassen differenziert habe. Eindeutig belegen lässt sich weder die eine noch die andere Theorie. ‘Out-of-Africa’ kann sich immerhin zusätzlich auf indirekte Indizien stützen wie etwa auf genetische Unterschiede der heutigen Rassen oder auf weltweite Sprachähnlichkeiten.

Der Stand des Wissens ist jedoch wenigstens so weit gediehen, dass alteingefahrene Vorurteile den letzten Rest an Plausibilität verlieren: der Mensch ist in Afrika entstanden, war also ursprünglich dunkelhäutig. So ist denn der angeblich überlegene weiße Mann nur ein ausgebleichter Schwarzer.

Der Streit der Anthropologen

Trotz der dürftigen Beweislage fügen die Anthropologen aus relativ wenigen Fossilien einen Stammbaum der Gattung Homo zusammen, der einen gewaltigen Zeitraum umfasst. Das mutet an wie ein Puzzle aus tausend Teilen, von denen allenfalls ein paar Dutzend schon gelegt sind.
 
Die fehlenden Glieder im Stammbaum der Hominiden werden schon seit jeher mit den unterschiedlichsten Theorien aufgefüllt. So stand die Anthropologie von Anfang an im Dienst imperialistischer und nationalistischer Interessen. Begonnen haben damit, wenn auch zufällig, die Deutschen. Kurz vor der Reichsgründung 1871 fielen Arbeitern in einer Höhle des Neandertals bei Düsseldorf beiläufig Knochen eines menschlichen Urahns in die Hände. Es waren die ersten Fossilien überhaupt, die nicht mehr einem ‘Höhlenbären’ untergeschoben, sondern, wenn auch damals noch unter starken Protesten einer früheren Form des Menschen zugeordnet wurden. Charles Darwin hatte nämlich gerade einige Jahre zuvor sein Aufsehen erregendes Buch über die Entstehung der Arten verfasst, in dem er die Abstammung des Menschen vom Affen nahe legte und der Spezies Homo damit anders als die Bibel eine Entwicklungsgeschichte zubilligte. Das war der Beginn der wissenschaftlichen Paläoanthropologie.


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