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Vertrieben aus Eden

Was die Bibel über die Evolution verrät Vertrieben aus Eden

Stand: 28.12.2017

Adam und Eva, Ölbild von Lucas Cranach dem Älteren (1526) | Bild: picture-alliance/dpa

Man kann die Geschichte von Adam und Eva, vom Sündenfall und der Vertreibung aus dem Garten Eden unterschiedlich lesen. Zum Beispiel theologisch, symbolisch, philosophisch, mythologisch. Oder so, wie Carel van Schaik und sein Mitautor Kai Michel: als Erinnerungsspur der nomadischen Lebensform einer untergegangenen Jäger-und Sammlerkultur und als Echo einer zivilisatorischen Umwälzung ersten Ranges.

Leben als Sühne und Fluch

Entwicklungsgeschichtlich statt moralisch oder theologisch interpretiert, entpuppt sich das Paradies als schattenhafte Kollektiverinnerung an eine weitgehend herrschafts- und besitzfreie Phase der Menschheitsgeschichte: Es gibt kein Eigentum, es gibt keinen Geschlechterkampf, es gibt keine zivilisatorischen Errungenschaften wie Kleider, Werkzeuge oder Rechtstitel. Was die Menschen brauchen, schenkt die Natur. Das Ende dieser paradiesischen Verhältnisse ist ein Umbruch, der auf alle Lebensbereiche durchschlägt. Die Sesshaftwerdung erschüttert das Sozialgefüge der Sammler- und Jägergruppen. Neue Hierarchien, Abhängigkeit und Machtverhältnisse entstehen. Eigentum und Landbesitz manifestieren rechtliche Ungleichheiten. Schließlich verteidigen die Besitzenden ihre Privilegien und Ansprüche mithilfe bewaffneter Schergen, religiöser Konzepte und staatlicher Strukturen. Letztlich greifen der Vorgang und seine Ergebnisse so tief in die Geschicke der gesamten Menschheit ein, sind derart folgenschwer und unentrinnbar, dass sie nur als Fluch, Verfluchung und Strafe eines allmächtigen Gottes gedeutet werden können.

Die Geburtswehen der Zivilisation

Abwegig ist die von Carel van Schaik und Kai Michel entwickelte Interpretation keinesfalls: Sie deckt sich widerspruchsfrei mit allem, was Anthropologie und Evolutionsbiologie über die neolithische Nomadenkultur und ihre Ablösung durch eine sesshafte Lebensweise wissen. Eine erste augenfällige Entsprechung liefert die Frage der Nahrungsbeschaffung. Wie unsere umherstreifenden Sammler- und Jägerahnen betreiben auch Adam und Eva keine Landwirtschaft oder Ackerbau. In diesem Punkt ist das 1. Buch Mose bemerkenswert präzise: "Als der Herr Himmel und Erde machte, gab es auf der Erde noch keine Feldsträucher und wuchsen noch keine Feldpflanzen […] und es gab noch keinen Menschen, der den Ackerboden bestellte." Feldarbeit ist auch gar nicht nötig. Denn Gott hat den Stammeltern "alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten" zur Nahrung übergeben. Diese Wohltaten wachsen wild, Adam und Eva brauchen sie nur zu sammeln. Einfach so, ohne Landwirtschaft, Tierhaltung und Agrarkultur.

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Asiatische Nomaden vom Stamm der Amu auf der Wanderung durch die Wüste. Zeichnung von J.F. Champollion aus dem Grab des Chnumhotep bei Beni Hassan, Ägypten | Bild: picture-alliance/dpa zum Thema Was die Bibel über die Evolution verrät Das Tagebuch der Menschheit

Haben wir die Bibel stets zu schlampig gelesen? Ja!, sagt Carel van Schaik. Der Anthropologe ist auf eine bisher unbemerkte Botschaft gestoßen: Er interpretiert die "Paradise Papers" als Dokument der Sesshaftwerdung des Menschen. [mehr]