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Militärische Eliten Ein Fall von Selbstgleichschaltung

Der neue Reichskanzler Hitler und die alten miltärischen Eliten aus dem Kaiserreich hatten vor allem ein gemeinsames Interesse: die Revision des Versailler Vertrags. Doch einer Kooperation stand zunächst noch die SA entgegen, die paramilitärische Kampfgruppe der Nationalsozialisten.

Published at: 22-7-2019 | Archiv

Die alten Eliten und der neue Mann

Nach seiner Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 konnte Hitler auf die Unterstützung durch weite Kreise der alten militärischen Eliten aus dem Kaiserreich bauen. Der Versailler Vertrag hatte dem Militär nur noch 100.000 Soldaten und 15.000 Mann Marine zugestanden. Für eine Offizierskarriere und eine Rückkehr Deutschlands unter die europäischen Großmächte waren das hoffnungslose Bedingungen. Die Armee der Weimarer Zeit hieß Reichswehr. Sie hatte weder chemische Waffen noch schwere Artillerie, keine Panzer, keinen Generalstab und auch keine Luftwaffe. Insgesamt hatte die Reichswehr sieben Divisionen.

Ein Großteil der militärischen Elite war von den Weimarer Regierungen enttäuscht, mussten doch gerade die Weimarer Politiker international auf der Grundlage des verhassten Friedensvertrags arbeiten. Mit Hitlers Regierungsantritt keimten bei ihnen deshalb einige Hoffnungen auf. Und tatsächlich: Die Jahre unter Hitler bis zum Kriegsausbruch 1939 brachten eine gewaltige Aufrüstung der Reichswehr. Am 16. März 1935 wurde sogar die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt, und die Reichswehr wurde umbenannt in Wehrmacht. Zum Kriegsausbruch am 1. September 1939 waren aus den sieben Divisionen Reichswehr ganze 102 Divisionen Wehrmacht geworden.

Am 3. Februar 1933, nur wenige Tage nach seiner Wahl zum Reichskanzler, hielt Hitler eine geheime Rede vor den Befehlshabern der Reichswehr, die durch Aufzeichnungen eines der Teilnehmer belegt ist. In dieser Rede kündigte Hitler als wichtigste Aufgabe seiner Politik die Aufrüstung des Militärs an. Den Grund bezeichnet Hitler so:

"Wie soll politische Macht, wenn sie gewonnen ist, gebraucht werden? Vielleicht Erkämpfung neuer Exportmöglichkeiten, vielleicht - und wohl besser - Eroberung neuen Lebensraums im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung."

Was genau darunter zu verstehen war, und zu welchem Zeitpunkt er eine solche Politik durchsetzen wollte, hatte Hitler nicht näher erklärt. Doch die Militärs waren fasziniert. Die Aussicht auf Bedeutungszuwachs und Hitlers entschlossener Ton gegenüber den Versailler Bestimmungen sprachen für sich. Und der neue Kanzler schien keine leeren Worte zu machen. Wieder nur wenige Tage später kündigte Hitler auf einer Regierungssitzung an: Die „Wiederwehrhaftmachung des deutschen Volkes“ müsse immer und überall im Vordergrund stehen. Auch die nun einsetzenden Maßnahmen zur Senkung der Arbeitslosigkeit müssten mittel- oder unmittelbar auf Aufrüstung bezogen sein.

Solidaritätswettlauf mit der SA

Einem einträchtigen Bündnis von Militär und Nationalsozialisten stand allerdings noch ein wichtiger Faktor im Weg: Hitlers SA. Unter der Führung von Ernst Röhm hatte es die paramilitärisch organisierte Kampftruppe aus der Zeit des Aufstiegs der NSDAP zu einer waffentragenden Konkurrenz der Reichswehr im Inneren gebracht. Die Reichswehr-Offiziere waren ernsthaft in Sorge. Was tun, wenn Hitler für seine großen Pläne lieber auf eine ideologisch durchtrainierte Milizarmee bauen sollte - auf die SA?

In dieser Situation beschlossen die Reichswehreliten eine Strategie mit bitteren Konsequenzen: Sie suchten den Solidaritätswettlauf mit der SA um die Gunst Hitlers. Das Ergebnis war eine Art Selbstgleichschaltung. Schnell übernahm die Reichswehrführung das Begriffs-Arsenal der NS-Ideologie - Hitlerworte und Parteischulungsmaterial für militärische Führung. Schon im September 1933 war entsprechendes Unterrichtsmaterial zusammengestellt. Der parteilose Kriegsminister Blomberg, ein Mann der alten Eliten, war bereit, die Soldaten an die neue Weltanschauung heranzuführen. Blomberg im Jahr `34:

"Das erste Jahr der nationalsozialistischen Staatsführung hat die Grundlagen für den politischen und wirtschaftlichen Neubau der Nation gelegt. Das Zweite Jahr stellt die Notwendigkeit der geistigen Durchdringung der Nation mit den Leitgedanken des nationalsozialistischen Staates in den Vordergrund. Eine entsprechende Schulung ist darum auch eine wichtige Aufgabe aller den neuen Staat mit ihren Willen tragenden Organisationen. Dies gilt im besonderen Maße für die Wehrmacht, die der Hüter und Schützer des nationalsozialistischen Deutschlands und seines Lebensraums nach außen ist."

Um den Solidaritätswettlauf zu gewinnen, "übersahen" die alten Eliten derweilen die Nebeneffekte der neuen Zeit: SA-Willkür, Gestapomethoden, Schutzhaftpraxis, Konzentrationslager und Judenboykotte. Dann, am 30. Juni 1934, fiel die wesentliche Entscheidung. Es kam zum so genannten Röhm-Putsch. Hitler entledigte sich seines alten Kampfgefährten Ernst Röhm und beendete damit alle Hoffnungen der SA-Spitze, aus der Kampftruppe eine NS-Volksarmee zu machen. Die Reichswehreliten hatten den Wettlauf um Hitlers Gunst gewonnen.

Antisemitismus wird Schulungsinhalt

Doch der Erfolg hatte die Armee verändert. Schon 1933 war im "Militärischen Wochenblatt" die Rede vom …

"…unlöslichen Zusammenhang von Volk und Rasse, somit der Notwendigkeit edler Menschenzucht und deshalb der Bekämpfung alles Rassefremden und -schädlichen."

Und 1937 erschienen Schulungshefte mit dem Titel "Richtlinien für den Unterricht in politischen Tagesfragen" zu Rassenpolitik und Judenfrage: Darin wird überlegt:

"Gibt es auch gute Juden?…Die Aufklärungsarbeit im vergangenen Jahrzehnt hat die Verfechter solcher Meinungen zusammenschrumpfen lassen."

Antisemitismus gab es zwar auch in den Armeen anderer Staaten. Zum regulären Schulungsinhalt gehörte er dort allerdings nicht. Solcher Unterricht lag dafür ganz auf der Linie von Hitlers antisemitischer Rhetorik. In einer berüchtigten Reichstagsrede vom 30. Januar 1939 hieß es etwa:

"Ich will heute wieder ein Prophet sein. Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa."

Adolf Hitler

Vernichtung und Ausmerzung waren Begriffe, die nun auch von der Wehrmachtsführung verwendet werden konnten. 1939 erschien ein Aufsatz "Der Jude in der deutschen Geschichte" in den "Schulungshefte[n] für den Unterricht über nationalsozialistische Weltanschauung und nationalpolitische Zielsetzung". Darin heißt es: Der Abwehrkampf gegen das Judentum gehe auch dann weiter, wenn der letzte Jude Deutschland verlassen habe…

"Denn es bleiben zwei große und wichtige Aufgaben: 1. Die Ausmerzung aller Nachwirkungen des jüdischen Einflusses, vor allem in der Wirtschaft und im Geistesleben, 2. der Kampf gegen das Weltjudentum, das alle Völker der Welt gegen Deutschland aufzuhetzen trachtet."

Die Blomberg-Fritsch-Krise

Doch so eindeutig diese willfährige aggressive Rhetorik wirkt - völlig blauäugig sind die alten militärischen Eliten dem Führer und Reichskanzler Hitler dann doch nicht in den Krieg Richtung Osten gefolgt. Am 5. November 1937 bahnte sich eine entscheidende Wende in der Vorgeschichte des Krieges an. Hitler kündigte bei einer Besprechung in der Reichskanzlei mit den Oberbefehlshabern der Wehrmacht und dem Außenminister an, als nächstes ginge es darum, Österreich und die Tschechoslowakei dem Reich einzuverleiben, auch durch einen Angriffskrieg.

Hitlers Wehrmachtsadjutant Oberst Friedrich Hoßbach hat wenige Tage nach dem Treffen eine Niederschrift über die Sitzung angefertigt. Diese so genannte "Hoßbach-Niederschrift", manchmal auch fälschlich "Hoßbachprotokoll", lag 1945 dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg als Beweis vor, um die planmäßige Vorbereitung eines Angriffskriegs zu belegen.

Mit dem Plan, die Österreich und die Tschechoslowakei dem "Dritten Reich" einzuverleiben, sprengte Hitler nun allerdings endgültig den Horizont der traditionellen Versailles-Revisionisten in der Armee und im Außenamt. Weder Österreich noch die Gebiete der Tschechoslowakei hatten vor dem Ersten Weltkrieg zum Deutschen Reich gehört. Vor allem Kriegsminister Blomberg und Heereschef Fritsch wandten ein, dass Hitlers Absichten ein großes Kriegsrisiko beinhalteten. Und ein solcher Krieg, am Ende noch ein Zweifrontenkrieg, schlimmsten Falls auch noch gegen die USA - sei wohl kaum zu gewinnen. Das zeigte die Erfahrung des Ersten Weltkriegs.

Das Ergebnis dieser Meinungsverschiedenheit zwischen Hitler und seinen alten Helfern aus Militär und Außenamt war die Blomberg-Fritsch-Krise. In den nächsten Wochen entledigte sich Hitler seiner Kritiker. Kriegsminister Blomberg und Heereschef Fritsch mussten gehen. Gesundheitliche Gründe. Außenminister Neurath ging auch. Für ihn wurde nun endlich Joachim Ribbentrop Außenminister, Hitlers Schattenmann für Außenpolitik. Zum neuen Oberbefehlshaber der gesamten Wehrmacht machte Hitler sich selbst. Mit dem Jahr 1938 begann endgültig die Phase von Hitlers Hochrisikopolitik Richtung Osten. Die nächsten Stationen hießen tatsächlich Österreich, dann die Tschechoslowakei und schließlich - Polen.


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