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Das Thema Die Entstehung der Ritterkultur

Stand: 08.04.2013 | Archiv

Waffenkammer auf Burg Reichenstein | Bild: picture-alliance/dpa

Krieg, Gewalt und Kampf stehen am Anfang des realgeschichtlichen Rittertums, Imageverlust, Bedeutungslosigkeit und Anachronismus markieren sein Ende.

Himmel und Erde im Einklang - Die höfisch ritterliche Kultur

Hätte es damit sein Bewenden, wäre der Ritter nicht mehr als ein militärisches Phänomen des Mittelalters und längst verdientem Vergessen anheim gefallen. Dass es anders gekommen ist, verdankt die Kriegerkaste nicht ihrer historischen Leistung auf den Schlachtfeldern, sondern der literarischen Überhöhung durch die ritterlich-höfische Kultur.

Der Hof - Das Ferment der Ritterkultur

Schauplatz, Brennpunkt und Projektionsfläche dieser Überhöhung ist der hochmittelalterliche Hof (curia). Am Ende des 12. Jahrhundert steigen die Sitze der geistlichen und weltlichen Herren zu Zentren des politischen und kulturellen Lebens auf. An diesen Höfen versammeln sich Bildungs- und Kriegerelite auf engstem Raum, hier fließen lateinische und volkssprachliche Traditionen zusammen, hier treffen gelehrte Kleriker auf zunehmend schriftkundige Mitglieder des Ritterstandes. Durch den regen Austausch zwischen beiden bislang getrennten Welten entsteht um die Wende des 12. zum 13. Jahrhundert mit der Ritterepik und der Minnelyrik die erste christliche Laienkultur der abendländischen Geschichte.

Eine Wertegemeinschaft sucht und findet sich selbst

In ihren Grundzügen ist die höfische Dichtung der erzählerische Entwurf einer Laienethik, in der christliche und weltliche Tugenden zum Ausgleich gelangen. Die großen thematischen Linien streifen sämtliche Aspekte der Selbstvergewisserung eines Standes, der in Konkurrenz zum bislang kulturell dominanten Klerus nun mit erstaunlicher Bestimmtheit seinen Eigenwert formuliert. Zum Protagonisten des literarischen Eroberungszuges der Stauferzeit avanciert der Ritter. Zum einen, weil sowohl die Urheber als auch das Publikum und die Auftraggeber dem Rittertum angehören, zum andern und hauptsächlich deshalb, weil sich im Rittertum wesentliche Stränge der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung überscheiden. Politisch ist der Ritter ein Vertreter des Feudalsystems mit seinen stets prekären Spannungen zwischen Dienst und Herrschaft. Gesellschaftlich ist er Mitglied eines neuen Standes, der sich rechtlich von anderen Schichten abgrenzt und im Hofleben auf konsensfähige Strategien der Konfliktbewältigung und Statusdefinition angewiesen ist. Kulturell gehört der Ritter einer aufstrebenden Laienschicht an, die sich erstmals aus der Vormundschaft des Klerus emanzipiert und nach eigenen, standesgemäßen Ausdrucksformen strebt. Die Abenteuerfahrten der literarischen Ritter sind daher die narrativen Experimentierfelder einer höfischen Gesellschaft auf der Suche nach sich selbst.


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