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Nürnberger Gesetze Antisemitismus in der Weimarer Republik

Stand: 06.09.2010 | Archiv

Die existentielle Verunsicherung durch die Schrecken des Ersten Weltkriegs, die deutsche Kriegsniederlage und die folgende Revolution steigerte die Empfänglichkeit in der deutschen Bevölkerung für antijüdische Erklärungsmuster. Schon vor Kriegsende hatten antisemitisch-völkische Gruppen den Juden die Schuld für die deutsche Niederlage gegeben. Während des revolutionären Umbruchs in Deutschland nach dem Krieg setzten sich linke und liberale Parteien, zu deren führenden Köpfen viele Juden gehörten, für einen politischen Systemwechsel ein. Rechte, nationalistisch und antisemitisch eingestellte Kreise dagegen beschimpften die aus der Revolution hervorgegangene Weimarer Republik als "Judenrepublik". Dabei betrieben rechtsextreme völkische Organisationen, wie die 1920 aus der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) hervorgegangene Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), eine Radikalisierung des Antisemitismus. Stellvertretend für die Radikalität der politischen Auseinandersetzungen in der frühen Weimarer Republik steht das tödliche Attentat auf den jüdischen Außenminister Walther Rathenau. Der linksliberale Politiker wurde 1922 von zwei antisemitischen, rechtsradikalen ehemaligen Offizieren in seinem Dienstwagen erschossen.

Judenhass als Kern der nationalsozialistischen Ideologie

Mit ihrer antijüdischen Ideologie knüpften Adolf Hitler und die Nationalsozialisten an die Thesen des im 19. Jahrhundert entstandenen, rassistisch argumentierenden, modernen Antisemitismus an: In ihrem sozialdarwinistischen Weltverständnis betrachteten die Nationalsozialisten die Geschichte als "Rassenkampf" und Juden als "Untermenschen" und gefährliche "Gegenrasse" der "arischen" deutschen "Herrenrasse". Eines ihrer zentralen Anliegen war deshalb die "Lösung der Judenfrage". Hitler setzte den Antisemitismus zur Propaganda ein und gab dabei mit seiner Behauptung von einer "jüdischen Weltverschwörung" den in der Bevölkerung weit verbreiteten, existentiellen Ängsten Nahrung. Wobei er die Juden immer wieder mit dem von vielen gefürchteten Bolschewismus gleichsetzte und mit dem Kapitalismus, der 1929 in eine weltweite Krise stürzte. Während dieser Weltwirtschaftskrise, in deren Folge in Deutschland 1932 über sechs Millionen Menschen arbeitslos gemeldet waren, gelang den Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen 1930 der Aufstieg von einer Splitterpartei zur zweitstärksten Fraktion im Reichstag. Mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 und der Übernahme der politischen Macht durch die in ihrem Judenhass fanatischen Nationalsozialisten wurde der Antisemitismus im Deutschen Reich zum einem Grundprinzip der Regierungspolitik.

Machtübernahme durch die Nationalsozialisten

Nach dem 30. Januar 1933 begannen die Nationalsozialisten nicht nur mit der systematischen Verfolgung politischer Gegner wie Kommunisten, Sozialdemokraten und bekennender Christen und ihrer Inhaftierung in Konzentrationslagern. Es kam auch zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen jüdische Mitbürger, im Deutschen Reich vor allem seitens der SA. Die NSDAP ordnete einen Boykott von "jüdischen" Geschäften, Ärzten und Anwälten ab dem 1. April 1933 an, der offiziell am 3. April abgebrochen wurde, da er nicht die von den Nationalsozialisten erhoffte Wirkung auf die Bevölkerung hatte. Am 7. April folgte das erste Gesetz der von Hitler geführten Reichsregierung, in das der programmatische Antisemitismus der Nationalsozialisten einfloss: das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" sah vor, dass Beamte „nicht-arischer Abstammung“ in den Ruhestand versetzt werden, und diente den Nationalsozialisten als Grundlage für die Entlassung von Juden und politischen Gegnern aus dem öffentlichen Dienst.

Ein weiteres ebenfalls am 7. April 1933 erlassenes Gesetz erlaubte es, Rechtsanwälten "nicht-arischer Abstammung" die Zulassung zu entziehen. Nach diesem Prinzip des sogenannten "Arierparagraphen" folgte die Verdrängung von Juden aus weiteren Berufen. Das betraf jüdische Ärzte ebenso wie Juden, die in Presse, Rundfunk und Theater tätig waren oder als Musiker und bildende Künstler. Juden wurden aus Sportvereinen ausgeschlossen und ihre Aufnahme an Schulen und Hochschulen beschränkt und schließlich verboten.

Die Nürnberger Gesetze

Eine weitere Steigerung der legalisierten Diskriminierung der deutschen Juden leiteten die Nationalsozialisten im September 1935 ein. Schon in ihrem Parteiprogramm aus dem Jahr 1920 hatte die NSDAP den Ausschluss der Juden aus der Gemeinschaft der deutschen "Volksgenossen" propagiert. Mit den beiden sogenannten "Nürnberger Gesetzen", die am 15. September 1935 auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg verabschiedet wurden, setzten die Nationalsozialisten schließlich ihr Ziel um, die rechtliche Gleichstellung der deutschen Juden rückgängig zu machen: Durch das "Reichsbürgergesetz" und eine dazugehörige Verordnung wurden Juden im Verhältnis zu "Reichsbürgern" herabgestuft zu bloßen Staatsangehörigen. Damit verloren sie die "vollen politischen Rechte", denn die waren gemäß dem in Nürnberg erlassenen Gesetz allein "Reichsbürgern" vorbehalten, und diese mussten nach der Definition des Gesetzes "deutschen oder artverwandten Blutes" sein.

Das "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre", kurz als "Blutschutzgesetz" bezeichnet, verbot Eheschließungen und außerehelichen Verkehr "zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes". Im Fall von Zuwiderhandlungen drohten Zuchthausstrafen wegen "Rassenschande". Darüber hinaus untersagte das "Blutschutzgesetz" Juden, "weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren" in ihrem Haushalt zu beschäftigen.

Nationalsozialistische Rassenpolitik

Die erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 definierte, wer als Jude betrachtet wurde: "Jude ist, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt." Darüber hinaus galt nach der Verordnung als Jude, "der von zwei volljüdischen Großeltern abstammende staatsangehörige jüdische Mischling", der beim Erlass des Gesetzes der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hatte oder danach in sie aufgenommen wurde; der beim Erlass des Gesetzes mit einem Juden verheiratet gewesen war oder danach einen Juden heiratete; der aus einer Ehe mit einem Juden im Sinne des Absatzes 1 des Gesetzes stammte, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes geschlossen wurde; der aus dem außerehelichen Verkehr mit einem Juden im Sinne des Absatzes 1 des Gesetzes stammte und nach dem 31. Juli 1936 außerehelich geboren wurde.

Grundlage für die Einstufung einer Person als "Jude" im Rahmen des "Reichsbürgergesetzes" war letztlich die Religionszugehörigkeit ihrer Großeltern. Das offenbarte den Irrsinn der nationalsozialistischen Vorstellung, es gäbe vermeintlich wissenschaftlich definierbare Rasse-Kriterien dafür, wer Jude sei.

Die Nürnberger Gesetze machten die deutschen Juden zu einer rechtlich stark benachteiligten Bevölkerungsgruppe und bildeten die Grundlage für ihre Verfolgung und ihre gesetzliche, gesellschaftliche und politische Ausgrenzung, die mit einer Fülle weiterer Gesetze und Verordnungen fortgesetzt wurde. In der sich radikalisierenden Rassepolitik der Nationalsozialisten stellen die Nürnberger Gesetze einen entscheidenden Schritt dar auf dem Weg zum millionenfachen Mord an den europäischen Juden.


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