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Das Thema Die großen Rückschläge

Stand: 15.07.2013 | Archiv

Undatiertes Porträt des chinesischen Staatsmannes Mao Zedong | Bild: picture-alliance/dpa

Politisch hat sich Mao am Ende der 1950-er Jahre als führende Kraft der Revolution durchgesetzt. Doch sein Versprechen, China zu modernisieren und die Überlegenheit des kommunistischen Systems zu beweisen, hat er bislang noch nicht eingelöst.

Der Große Sprung verfehlt sein Ziel

Das Land stagniert, die industrielle Produktion bleibt hinter den Erwartungen zurück, der revolutionäre Elan erlahmt. Mao braucht einen neuen Aufbruch, eine neue Welle kollektiver Begeisterung, einen neuen Horizont, den der Große Steuermann als Ziel kollektiver Anstrengung verheißen kann. Es ist Zeit für einen großen Sprung.

Stahl statt Feldarbeit

1958 nimmt Mao den propagierten Satz nach vorne in Angriff. In nur 15 Jahren, so lautet sein Plan, soll China vom rückständigen Agrarstaat zu einer wirtschaftlichen Großmacht heranwachsen und mit den kapitalistischen Industrienationen gleichziehen. Der entscheidende Parameter in diesem Wettrennen der Systeme, das Maß der wirtschaftlichen Leistung, ist die Stahlproduktion. Sie soll nach Maos Willen von rund fünf Millionen Tonnen pro Jahr in nur anderthalb Jahrzehnten auf mehrere Hundert Millionen Tonnen jährlich steigen und damit sogar England überflügeln. Die Hauptlast des "Großen Sprungs" bürdet Mao den Bauern auf. In jedem Dorf, in jedem Hinterhof, in jedem Winkel sollen sie aus Lehm und Ziegelsteinen gefügte Kleinsthochöfen betreiben und auf mittlere Sicht 80 bis 90 Prozent der benötigten Stahlmenge selbst herstellen. Um die maßlos überzogenen Vorgaben zu erfüllen, schmelzen die Kommunen nun Töpfe, Messer, Gartenzäune, Werkzeug und sogar Haarnadeln ein. Das Ergebnis ist kläglich: Die primitiven Hochöfen produzieren allenfalls minderwertiges, völlig unbrauchbares Eisen.

Die Hungerkatastrophe der Jahre 1959 bis 1961

Das eigentliche Desaster der Stahlkampagne ist jedoch die Vernachlässigung der zur Nebensache degradierten Landarbeit. Da alle Kräfte für den Bau und das Beschicken der Öfen, für die Beschaffung des Heizmaterials oder rasch aus dem Boden gestampfte Fabriken abgezogen werden, sinkt die Reis- und Getreideproduktion dramatisch. Weil China zudem erhebliche Getreidemengen in die Sowjetunion ausführen muss, um dringend benötigte Warenlieferungen zu bezahlen, sind die Bauern gezwungen, das Gros der Ernte abzugeben. Für die Deckung des Eigenbedarfs bleibt kaum etwas übrig, für den Zukauf fehlt das Geld. So kommt es in den Jahren 1959 bis 1962 zu einer Hungerkatastrophe unvorstellbaren Ausmaßes. Etwa 36 Millionen Chinesen sterben an Unterernährung, in ihrer Not essen die darbenden Massen wahllos Unkraut, Baumrinden und Erde. Auf dem Höhepunkt der Hungerwelle gehen Verzweifelte sogar zum Kannibalismus über.

Der Steuermann korrigiert den Kurs

Anfangs wagt niemand, die Fehlentwicklung des Großen Sprungs als eigentliche Ursache des Desasters anzuprangern. Öffentlich über den Hunger zu sprechen, galt als reaktionär und lebensgefährlich. Berichte aus den betroffenen Provinzen wurden zunächst unterdrückt, vertuscht oder beschönigt und lange Zeit offiziell nicht zur Kenntnis genommen. Zuletzt lässt sich das Debakel nicht mehr vertuschen. Hochrangige Parteigenossen machen sich selbst ein Bild der Lage und kehren mit erschütternden Berichten nach Peking zurück, Nachfragen ausländischer Diplomaten und Politiker erhöhen den Druck zusätzlich. Als Mao schließlich mit den Folgen seiner verfehlten Politik konfrontiert wird, verweigert er zunächst jede Einsicht und intensiviert die Vorgaben der "Sprung-Kampagne". Am Ende siegen die Tatsachen. Mao gesteht das Scheitern des Großen Sprungs ein und verkündet 1961 das Ende der Kampagne.


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