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Das Thema Wahnsinn mit System

Stand: 16.04.2013 | Archiv

Zeitzeugen beschreiben Heinrich Himmler als eher farblose Erscheinung. Der kurzsichtige, mittelgroße, untersetzte SS-Chef entsprach keinesfalls dem Ideal des "nordischen Herrenmenschen". Ein fliehendes Kinn, das er als junger Mann oft mit der Hand zu verbergen versuchte, prägte sein meist verkniffen wirkendes Gesicht.

Effektiv und machtversessen - Heinrich Himmler

Himmler war kein Demagoge wie Goebbels, kein Landsknechtstyp wie Röhm, kein Volkstribun und Lebemann wie Göring. Als Charismatiker trat er nie in Erscheinung.

Doch kaum hatte ihm Hitler, wie der Historiker und Publizist Joachim C. Fest betont, die "große Vision" vermittelt, bewies er Organisationstalent und einen enormen Machtinstinkt. Gezielt baute er die SS zum Eliteorden auf und schuf die "Sicherheitsarchitektur" des NS-Staates. Sein Reichsicherheitshauptamt bündelte die Aktivitäten von Schutzpolizei, Kriminalpolizei, Gestapo und SD. Gegen Kriegsende bemächtigte sich die SS auch der Abwehr, des Auslandsgeheimdienstes. Die SS schuf ein Wirtschaftsimperium, kontrollierte die Konzentrationslager, organisierte die Ermordung der europäischen Juden und spielte eine wichtige Rolle in der Siedlungs- und Vertreibungspolitik. SS-Kampftruppen bildeten im Zweiten Weltkrieg das Rückgrat der Ostfront. 1946 erklärte der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg die SS zur verbrecherischen Organisation.

  • Himmler verstand es glänzend, sich an das System "Führerstaat" anzupassen. Gegenüber Hitler war der "getreue Heinrich" stets loyal und präsentierte sich als williger Befehlsempfänger. Ideologisch stand er mit seinem "Führer" auf einer Linie.
  • Sobald sich die Gelegenheit bot, raffte Himmler Kompetenzen an sich. In ihrer Kombination entfalteten sie, so der Himmler-Biograf Peter Longerich, eine "furchtbare Wirkung". Der Polizeichef Himmler ließ beispielsweise Juden und Polen ermorden, weil er sie als Sicherheitsrisiko betrachtete; dem "Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums" waren Juden und Polen bei seinen Umsiedlungsaktionen im Wege.
  • Himmler fand für sich und seine SS stets neue Aufgaben, auch in den Bereichen Wirtschaft und Militär. Gegen Kriegsende wurden unter Federführung der SS sogar neue Waffensysteme wie der Senkrechtstarter "Natter" entwickelt.
  • Geschickt wählte Himmler sein Führungspersonal aus. Junge, ehrgeizige Akademiker hievte er ebenso in Schlüsselpositionen wie Personen mit gescheiterten Lebensentwürfen, die für eine zweite Chance ewig dankbar waren. Diese Männer verstanden sich bald als Elite des NS-Regimes und entwickelten auf ihren Posten Eigeninitiative.
  • Himmler zeigte als Vorgesetzter Präsenz. Er nutzte moderne Verkehrsmittel wie Flugzeug, Auto und Sonderzug für Inspektionsreisen. Er besichtigte Konzentrationslager, ließ sich Exekutionen vorführen und verfasste präzise Arbeitsanweisungen.
  • Engagierten Wehrmachtsoffizieren, die in der Truppe als Querdenker aneckten, bot Himmler Karrierechancen beim Aufbau der Waffen-SS.
  • Als Elitetruppe mit Totenkopf-Emblem und schicken Uniformen entfaltete die Waffen-SS bei Jugendlichen Anziehungskraft. In den Kasernen und Junkerschulen wurden die jungen Männer ideologisch geschult, von den Eltern entfremdet, oft zum Kirchenaustritt bewegt und zu bedingungslosem Gehorsam erzogen.
  • Dass die Waffen-SS trotz hoher Verluste an einem rabiaten Kampfstil festhielt und auch vor Kriegsverbrechen nicht zurückschreckte, stärkte Himmlers Position im NS-Machtgefüge zusätzlich.

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