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Das Thema Der Wahnsinn beginnt

Stand: 16.04.2013 | Archiv

Sofort nach dem Machtantritt Adolf Hitlers beginnen die Nationalsozialisten, ihre politischen Gegner einzuschüchtern. Den Brand des Reichstags am 27. Februar 1933 nimmt die Regierung zum Anlass, den Grundrechtskatalog der Weimarer Verfassung außer Kraft zu setzen (Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. 2. 1933). Damit hat Hitler freie Hand bei der Verfolgung und Verhaftung politischer Gegner. Zusätzlich werden die obersten Landesbehörden dem Reich nachgeordnet. Nun ist es möglich, Bürger in "Schutzhaft” zu nehmen, das heißt, ohne richterlichen Haftbefehl einzusperren. Es kommt zu einer Verhaftungswelle, betroffen sind vor allem Mitglieder von KPD und SPD.

Das System der Konzentrationslager

Im gesamten Reich errichtet die SA, die den Status einer Hilfspolizei erhält, "wilde" Konzentrationslager, in denen Oppositionelle eingesperrt und misshandelt werden. Auch einige SS-Führer lassen Menschen in private Folterzentren verschleppen. Sogar alte Schleppkähne und ehemalige Abteien wie Brauweiler bei Köln werden "umgenutzt". Bald gibt es erste Todesopfer.

Dachau - Himmlers "Vorzeige-KZ"

In Bayern übernimmt Heinrich Himmler 1933 zunächst das Polizeipräsidium München, dann die Politische Polizei Bayerns. Sein langfristiges Ziel ist es, die Überwachung und Verfolgung politischer Gegner zu systematisieren und reichseinheitlich zu organisieren. Er stoppt zwar die Exzesse einzelner SA-Führer, schafft aber auf dem Gelände einer ehemaligen Pulverfabrik nahe Dachau ein Lager, in dem er verhaftete Sozialdemokraten und Kommunisten inhaftieren lässt. Das Lager Dachau bauen Himmler und sein engster Mitarbeiter Reinhard Heydrich (1904-42) zu einem Muster-KZ aus und entwickeln einen Terrorapparat, der auf dem engen Zusammenspiel von Gestapo, SS und KZ basiert. Die Gestapo erhält die Erlaubnis, "Schutzhaftbefehle" zu erlassen und Menschen auf unbestimmte Zeit in KZ zu schicken. Ausgestellt werden "Schutzhaftbefehle" vom Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa). Weder Richter noch Staatsanwälte können dagegen einschreiten. Sogar untergeordnete Gestapostellen dürfen "Schutzhaft" verhängen, jedoch nur für die Dauer von sieben Tagen. Bestätigt das Gestapa die Haft nicht, muss der Häftling am achten Tag wieder auf freien Fuß gesetzt werden.

Theodor Eicke - Kein Erbarmen für "Staatsfeinde"

1933/34 werden die "wilden" KZ aufgelöst und durch Lager ersetzt, die der SS unterstehen. Den Auftrag zur Neuordnung der KZ bekommt Theodor Eicke (1892-1943). Eicke, ein radikaler Gegner der Weimarer Republik, wird Anfang der 1920er Jahre aus dem Polizeidienst entlassen und hält sich danach als Sicherheitsbeauftragter bei den IG-Farbwerken über Wasser. Der NSDAP gehört er seit 1928 an, der SS seit 1930. Während des so genannten "Röhm-Putsches" erwirbt sich Eicke das Vertrauen Himmlers, als er den Stabschef der SA am 1. Juli 1934 im Gefängnis von Stadelheim erschießt, nachdem dieser sich weigert, Selbstmord zu begehen. Am 4. Juli 1934 tritt Eicke sein Amt als Inspekteur der Konzentrationslager und SS-Wachverbände an. Er vereinheitlicht die Struktur der KZ, entwirft Ausbildungspläne und Dienstanweisungen für die Wächter und verfasst Richtlinien für Haft- und Prügelstrafen bis hin zur Erschießung von Häftlingen. Dem KZ-Personal schärft er ein, dass "Staatsfeinde" mit Härte behandelt werden müssen; den "Minderwertigen" gegenüber erwartet er "Gewalt und Kaltblütigkeit". Von den Kommandanten der Lager verlangt Eicke blinden Gehorsam. Außerdem führt der KZ-Inspekteur für das Führungspersonal ein Rotationssystem ein, sie wechseln häufig auf verschiedene Posten in andere Lager. Neben Dachau lässt Eicke, der 1943 bei einem Flugzeugabsturz in Russland ums Leben kommt, zwei neue Großlager in Buchenwald bei Weimar und Sachsenhausen bei Berlin errichten.

Die Lager füllen sich

Nach Auffassung der NS-Führung gehören in erster Linie vier Gruppen von Menschen in ein KZ: politische Gegner, Angehörige "minderwertiger Rassen" bzw. "rassenbiologisch Minderwertige" (vor allem Juden, Sinti und Roma), Kriminelle und "Asoziale" (nach SS-Verständnis Landstreicher, Zuhälter, "Arbeitsscheue" etc.). Betroffen von KZ-Haft sind auch Homosexuelle, kirchliche Regimegegner und Bibelforscher (Zeugen Jehovas; sie verweigern Eidesleistungen und Wehrdienst). Die Häftlinge werden mit Markierungen auf der Kleidung unterschieden: Sie tragen eine Nummer und einen farbigen Dreieckswinkel an der linken Brustseite sowie am rechten Hosenbein (in Auschwitz werden die Nummern am linken Vorderarm eintätowiert). Rot ist die Farbe der politischen Häftlinge, grün für Kriminelle, violett für Bibelforscher, schwarz für "Asoziale", rosa für Homosexuelle. Juden tragen ein gelbes Dreieck. Bei Ausländern werden vor dem Dreieckswinkel die Anfangsbuchstaben der Nationalität angebracht (z. B. T für Tscheche, N für Niederländer). Innerhalb der Lager entsteht bald eine vom Wachpersonal geförderte strenge Hierarchie. Als "Kapos" kommen - eine Idee Himmlers - meist Kriminelle aus Zuchthäusern zum Einsatz.

Das Grauen wächst und wächst

Im Zeitraum 1935/36 werden mehr als 7.000 "Marxisten" eingesperrt. Eine große Verhaftungswelle spült im Juni 1938 Tausende "Asoziale" in die KZ. Nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 inhaftiert das Regime ca. 30.000 jüdische Männer. Während des Zweiten Weltkriegs werden die KZ systematisch ausgebaut, um Häftlinge als billige Arbeitskräfte in der Rüstungswirtschaft auszubeuten. Den Einsatz der Arbeiter koordiniert das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA). Dessen Chef, der SS-General Oswald Pohl (1892-1951) verlangt, den Gefangenen ein Maximum an Arbeitsleistung abzuverlangen. Viele Häftlinge, die erkranken oder die geforderte Arbeitsleistung nicht mehr erbringen können, werden umgebracht. Außerdem führen Ärzte medizinische "Experimente" an Häftlingen durch. Die Luftwaffe lässt beispielsweise Unterkühlungsversuche durchführen, um Rettungsmethoden für ins Meer gestürzte Flieger zu entwickeln. Dazu werden Häftlinge in kaltes Wasser getaucht und die Körperfunktionen gemessen, bis sie sterben.

Neue KZ wie Auschwitz, Neuengamme, Mauthausen, Ravensbrück, Stutthof oder Majdanek entstehen. Jedes dieser Lager schafft zahlreiche Außen- und Nebenlager, in denen auch ausländische Zwangsarbeiter inhaftiert werden. Schließlich gibt es 24 Hauptlager mit mehr als 1.000 Außenlagern in Deutschland und den besetzten Ländern. Hinzu kommen Arbeitserziehungslager und andere Haftstätten, die nicht formal zum KZ-System gehören. So unterhalten zum Beispiel Wehrmachtseinheiten in Russland zwischen 1941 und 1944 eigene Lager, in denen Kriegsgefangene (als Arbeitskräfte) und Zivilisten (als Geiseln) gefangen gehalten werden.

Massenvernichtung in den Lagern der SS

Einige KZ konzipiert die SS als Vernichtungslager zur "Sonderbehandlung" von Häftlingen und versieht sie mit Erschießungsanlagen und Gaskammern. Um die polnischen Juden zu töten, ordnet Himmler im Oktober 1941 den Bau eines Vernichtungslagers in Belzec (Bezirk Lublin) an. In den kommenden Monaten entstehen zusätzlich die Vernichtungslager Sobibor und Treblinka. Die monströseste Todesfabrik der Nazis ist Auschwitz. Hier gibt es schon im September 1941 "Probevergasungen" an sowjetischen Kriegsgefangenen mit dem Entlausungsmittel Zyklon B. Nach der Wannsee-Konferenz (20. Januar 1942), auf der die "Umsiedlung" der Juden in den Osten beschlossen wird, bestimmt Himmler Auschwitz zum Zentrum für die Judenvernichtung. Für den Standort sprechen ein günstiger Schienenanschluss, das Krematorium I im Stammlager und das große Krematorium II im nahe gelegenen Lager Birkenau. Ab Sommer 1942 werden fabrikmäßig Menschen ermordet, oft bis zu 8.000 pro Tag. Um die Kapazität des Vernichtungslagers zu steigern, entstehen 1943 zusätzlich die Krematorien III, IV und V. Allein in Auschwitz-Birkenau sterben ca. 700.000 Menschen, überwiegend Juden. Der Todesmaschinerie fallen auch ca. 20.000 Sinti und Roma und 15.000 sowjetische Kriegsgefangene zum Opfer.

Den Opfern nimmt man Kleidungsstücke, Haare, Zahnfüllungen, Goldbrillen und andere Wertsachen ab. Edelmetall lässt das WVHA einschmelzen und die Barren bei der Deutschen Bank deponieren (Sonderkonto "Max Heiliger"). Allein die Beute aus den Lagern Belzec, Sobibor und Treblinka beträgt ca. 178 Millionen Reichsmark. Oswald Pohl, der Verantwortliche für die ökonomische Seite der Massenvernichtung in den KZ, taucht bei Kriegsende unter und gibt sich als Bauernknecht aus. Im Mai 1946 wird er verhaftet und vor ein amerikanisches Militärgericht gestellt. Im Prozess erklärt er, die Existenz von Konzentrations- und Todeslagern sei in Deutschland kein Geheimnis gewesen. Jeder, auch der kleinste Angestellte, habe gewusst, was in den KZ geschah. Pohl wird am 3. November 1947 zum Tode verurteilt und am 8. Juni 1951 gehängt.


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